Die Kabarettistin Christine Prayon ist den Fernsehzuschauern aus der ZDF-Satiresendung heute-show bekannt. Sie trat dort von 2011 bis 2022 in der Rolle der Reporterin Birte Schneider auf. Vor knapp einem Jahr wurde bekannt, dass sie die Sendung freiwillig verlassen hatte. Die Gründe dafür nannte Prayon kürzlich in einem Fernsehinterview: Während der Corona-Krise habe sie zunehmend bemerkt, dass sich in der Sendung der Spott nicht mehr gegen die Obrigkeit richtete, sondern gegen Andersdenkende, insbesondere gegen Leute, die sich nicht «impfen» lassen wollten.
Ihre Erfahrungen hat Prayon in dem Werk «Abwesenheitsnotiz» verarbeitet. Was auf den ersten Blick wie ein Sachbuch erscheint, erweist sich schon nach wenigen Seiten als autofiktionale Literatur, als vertracktes Spiel mit autobiografischen Fakten und erfundenen Ereignissen. Der Erwartungshorizont wird durchbrochen, mit einer vielschichtigen Darstellungsweise, bei der die Autorin verschiedene Textsorten collagiert und immer wieder mehrere Meta-Ebenen einbaut.
Wer die Lektüre verstehen und an ihr Spass haben möchte, muss «Abwesenheitsnotiz» also im autofiktionalen Modus lesen. Die Signale dafür finden sich im Untertitel: «Long Covid, Short Story». Damit sind Inhalt und Form benannt. Short Story bedeutet im Deutschen «Kurzgeschichte» und gehört als spezielles Literatur-Genre zur Gattung der Prosa. Die Leser erhalten somit einen kleinen Hinweis darauf, dass das Buch fiktionale Elemente enthält. Es gibt aber auch reichlich autobiografische Fakten, die sich mit Prayons eigenen Aussagen wie dem oben erwähnten Interview abgleichen lassen.
«Long Covid» oder «Post Vac»?
In den Angaben zur Autorin am Ende des Buches findet sich zudem dieser Satz: «Prayon ist seit der Impfung gegen und der Infektion mit Covid-19 an Long Covid beziehungsweise Post Vac erkrankt.» Das gilt auch für die Protagonistin der «Short Story», die ebenfalls Christine heisst. Diese will auf der Handlungsebene ihre Erfahrungen rund um die Erkrankung in einem Buch verarbeiten und korrespondiert diesbezüglich mit ihrer Lektorin Gabi.
Die Kommunikation erfolgt über einen regen E-Mail-Verkehr, der zugleich den roten Faden bildet. Zwischendurch reicht Christine Textentwürfe ein, wobei sie nicht über das erste Kapitel hinauskommt, weil Lektorin Gabi ständig etwas auszusetzen hat. In den handschriftlichen Kommentaren bittet sie wiederholt darum, nicht zu politisch zu werden, das umstrittene Thema Corona möglichst auszusparen und nicht in den «Querdenker»-Duktus zu verfallen. Ganze Passagen werden gestrichen und am Rand mit «SA» versehen, einem Kürzel, das für «Schwurbel-Alarm» steht.
Während Gabi den Spagat übt zwischen Autorinnenpflege und Verlagsinteressen, indem sie beide vor medialem Shitstorm und Cancel Culture schützen möchte, versucht Christine, den Vermarktungswünschen entgegenzukommen, ohne sich selbst zu verraten. Denn es hat sich viel Frust und Ärger aufgestaut in den Jahren seit Corona, so viel lässt sich den eingereichten Entwürfen entnehmen.
Betroffene werden mit der Krankheit alleingelassen
Die Erkrankung beeinträchtigt ihr Leben massiv. Die Liste der Symptome ist lang: «Muskelzittern. Muskelschwäche. Muskelzucken», schreibt Christine in einer E-Mail an Gabi. «Taubheitsgefühle. Kribbeln. Missempfindungen in Händen und Beinen. Starkes Herzklopfen. Herzstolpern. Herzschmerzen. Druck auf der Brust. Engegefühl. Schwindel. Blutdruckschwankungen. Innere Unruhe. Massive Schlafstörungen. Depressive Verstimmungen.»
Obwohl die Symptome schon nach der «Impfung» aufgetreten sind, wird offiziell die spätere Infektion mit SARS-CoV-2 dafür verantwortlich gemacht. «Long Covid», heisst es, doch Christine vermutet eher «Post Vac». Auf der Suche nach Aufklärung, stellt sie zunehmend fest, dass Betroffene wie sie mit der Krankheit alleingelassen werden und «Long Covid» als Label für so ziemlich alles dient.
«Wenn man dann aber erwähnt, dass man einige der Symptome bereits nach der Impfung und nicht erst nach der Infektion hatte», heisst es an einer Stelle, «schliessen sich in der Regel auch die wenigen restlichen Türen, die noch offen zu stehen schienen. Als Impfgeschädigter hat man eine Krankheit, die es offiziell nicht gibt. Zu dem gesundheitlichen Schaden gesellt sich also noch die gesellschaftliche Tabuisierung des Problems.»
Auf diese Weise wird die gesellschaftspolitische Misere der letzten Jahre aufgearbeitet. Erwähnt werden Aspekte wie indirekter Impfzwang, Widersprüche in den vielzähligen Corona-Narrativen oder der Umgang mit Massnahmenkritikern und das Versagen der Medien.
Gleiche Muster zeigen sich im Hinblick auf den Ukraine-Krieg, was Christine in ihren Manuskriptentwürfen ebenfalls erwähnt, dann aber wie gewohnt von Gabi mit dem Kürzel «SA» gestrichen bekommt. Die Lektorin geht in ihrer Vorsicht so weit, dass sie sich genötigt sieht, im E-Mail-Verkehr sicherheitshalber zu erklären, dass das Kürzel nichts mit der paramilitärischen Kampforganisation der NSDAP zu tun hat.
Köstliche Satire auf der Metaebene
Mit humorvollen Episoden fängt Prayon treffend den Zeitgeist ein und zeigt sich dabei als das, was sie eigentlich ist: eine Kabarettistin. Bei allem Ernst, den ihr Buch enthält, dominieren doch die satirischen Elemente. «Abwesenheitsnotiz» bietet köstliche Unterhaltung mit leichtfüssigen Pointen und schrägen Einfällen, die vor allem auf der Metaebene ihre Wirkung entfalten.
Die Komik beginnt bereits bei der Figurierung der Gabi. Die politisch korrekte Lektorin mit Hang zu Korrekturen achtet im E-Mail-Verkehr weder auf Interpunktion noch auf Rechtschreibung noch auf Tippfehler. Christines Entwürfe liest sie mit einer Schere im Kopf, die auch die Fähigkeit wegschneidet, Satire zu erkennen. Ebenso witzig ist Prayons Spiel mit Pseudonymen, Wortschöpfungen und Fussnoten, die sie nicht nur im Text, sondern auch in den Fussnoten selbst setzt, um dieses Verfahren in einer weiteren Fussnote zu erläutern.
Auch wenn Christines Manuskript eine Veröffentlichung versagt bleibt, Prayons Buch hat es auf den Markt geschafft – und somit haben es auch die Entwürfe ihrer Protagonistin. Dafür gebührt dem Westend-Verlag ein grosser Dank.
«Abwesenheitsnotiz» ist nicht nur originell und witzig. Es ist auch ein schönes Beispiel dafür, dass man sich mit den gegenwärtigen Missständen kritisch auseinandersetzen kann, ohne belehrend den Zeigefinger zu erheben.