Innerhalb der außerparlamentarischen Opposition hat sich eine bunte wie facettenreiche Kulturszene herausgebildet. In fast allen Bereichen setzen sich die Künstler mit den Missständen der Gegenwart auseinander, stilistisch versatil und mit einem jeweils unterschiedlichen inhaltlichen Akzent, aber immer kritisch und mit einer eigenen Handschrift.
Beispielhaft für diese Entwicklung ist die Internationale Agentur für Freiheit, ein Verein in Berlin, der seit seiner Gründung im Jahr 2022 unter seinem Dach unangepasste Akteure aus der bildenden Kunst vereint. Das Kollektiv wächst stetig. Durchschnittlich vergeht kein Monat, ohne dass sich ein weiterer Künstler der IAFF anschließt. Einer dieser neuen Mitglieder ist André Kramer. Der Maler nahm kürzlich zum zweiten Mal bei einer gemeinsamen Ausstellung des Vereins teil. Es war die bereits dritte und fand in diesem Jahr in der Berliner Musikbrauerei statt (wir berichteten über die kurzfristige Absage einer IAFF-Vernissage).
Setzten sich die ersten beiden Ausstellungen mit der Corona-Politik und dem Wert der Freiheit auseinander, stand dieses Mal das Thema Krieg im Fokus. «Make Art not War», lautete das Motto. Den dahinterstehenden Gedanken, drückt Kramer so aus: «Alles ist schöner als Krieg. Bevor du dich für Waffengewalt entscheidest, mach lieber Kunst.» Der Maler ist quasi die Personifikation dieser Botschaft. Er selbst hat den Weg vom Soldaten zum Künstler bestritten und will nie mehr zurückgehen. «Ich weiß, was Krieg bedeutet. Es ist ein absolut grausamer Zustand», sagt er.
Militäreinsatz im Kosovo
Als junger Mann absolvierte Kramer in den späten 1990er Jahren den Wehrdienst und erklärte sich anschließend bereit für einen Militäreinsatz im Kosovo. Die Situation im ehemaligen Jugoslawien spitzte sich zu dem Zeitpunkt zu, und der Berliner glaubte damals noch, dass er mit seiner Teilnahme zur Verteidigung der Demokratie beitragen würde. Seinem Kontingent kam die Aufgabe zu, vor Ort militärische Präsenz zu zeigen, damit kein Machtvakuum entstand. Aber das reichte aus, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie Menschen in einer Kriegssituation agieren.
Er erlebte testosterongesteuerte Männer, die willkürlich ihre Kalaschnikow abfeuerten, psychisch lädierte Sanitäter und aggressive Piraten. Er buddelte Leichen aus, geriet in einen offenen Schusswechsel und entwaffnete Soldaten. «Ich war zwar in keinem offenen Gefecht, aber habe alles gesehen, was dem vorgelagert ist», sagt Kramer.
Frieden lässt sich niemals mit Waffengewalt herstellen – diese Erkenntnis hat er aus Kosovo mitgenommen. «Wenn ein Panzer da ist, wird er auch eingesetzt», erklärt der Maler. «Es ist ein Eskalationsakt. Alles andere ist Augenwischerei.» Der Mensch zeigt im Krieg immer seine grausame Seite, so viel hat Kramer gelernt. Deswegen liegen seine Hoffnungen in der Kunst. Sie vermöge es, «Brücken zu bauen, Verständnis zu fördern und die Menschlichkeit in den Mittelpunkt zu stellen».
Aufmerksamkeit wird auf die schönen Dinge gelenkt
In seinen Bildern thematisiert er Krieg mal direkt, mal ex negativo, indem er sich beispielsweise den schönen Dingen des Lebens widmet und die Aufmerksam darauf lenkt. Dargestellt werden Alltagsszenen oder Momente des menschlichen Miteinanders. Auf einem seiner Werke ist zu sehen, wie sich ein Mann von seiner Frau wegen eines Militäreinsatzes verabschiedet. Auch das ist eine Form des Leides, die der Krieg produziert.
André Kramer: «Abschied»
Er zerstört aber auch die Freiheit, wie Kramer in einem anderen Bild am Beispiel Julian Assanges zu vermitteln beabsichtigt. Dafür hat er das Gesicht der US-amerikanischen Freiheitsstatue durch das Konterfei des WikiLeaks-Gründers ersetzt. «Liberty is not a Statue» heißt das Bild. Es war einer seiner zwei Beiträge zur jüngsten IAFF-Ausstellung in der Musikbrauerei, wo neben Kramer auch Künstler wie Michal Lezian, Kathrin Henneberger, Raymond Unger, Marie Finkel oder Clement Loisel ihre Werke präsentierten.
André Kramer, «Liberty is not a Statue»
Letzterer, ein IAFF-Mitglied der ersten Stunde, bringt sich in seinen neuen Bildern selbst ein, als irritierten Touristen in aktuellen Situationen, beispielsweise in einer völlig zerbombten Straße. Seine Kollegin Jill Sandjaja hat Collagen angefertigt, auf denen unter anderem Bundeskanzler Scholz als Marionette der US-Regierung erkennbar wird. Diese benutzt ihn für die eigenen Kriegsziele, bis er wie eine Zitrone ausgepresst ist. Marie Finkel hingegen sendet auf ihren Bildern eine Friedensbotschaft, indem sie das Motiv der Taube variiert.
Jill Sandjaja: «Er kann sich nicht erinnern»
Künstlerkatalog zur Ausstellung
Gebündelt werden diese und andere Exponate der Ausstellung in dem dazugehörigen Künstlerkatalog, der sich über die Homepage der IAFF bestellen lässt. Es ist ein Zeitdokument, das in der gegenwärtigen Debatte um Krieg und Frieden sowohl einen kritischen als auch erbaulichen Beitrag leistet. Wer die Ausstellung verpasst hat, kann sich im Katalog einen Eindruck verschaffen, wie die IAFF-Künstler sich mit diesem brisanten Thema auseinandersetzen. Neben ihren Werken findet sich jeweils eine kurze Selbstvorstellung, mal mit einem bissigen Statement, mal mit ermutigenden Worten.
Künstlerkatalog IAFF
Ebenso Teil des Künstlerkatalogs sind Texte, Lieder und Statements von Künstlern anderer Disziplinen, die während der Ausstellungstage für ein Rahmenprogramm sorgten. Dazu gehören etwa ein Gedicht von Sabine Winterfeldt, die Songlyrics von Martin Kelly oder eine «Ode an den Frieden» des Aktivisten und DJs Captain Future.
Aus diesen verschiedenen und vielschichtigen Beiträgen ergibt sich das Mosaik einer pulsierenden Künstlerbewegung, die beherzt vor Augen führt, was Kunst ist: ein Medium der Verständigung. Oder, um es mit André Kramer zu sagen: «ein unersetzliches Werkzeug auf dem Weg zu einem friedvollen Miteinander».