Auf der Westschweizer Plattform Bon pour la tête kritisiert der bekannte Westschweizer Journalist Jaques Pilet das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), das die Schweiz wegen «mangelnder Massnahmen gegen den Klimawandel» verurteilt. Es habe die Schweizer Öffentlichkeit gespalten. Während Linke und Grüne jubelten, äussere die klassische Rechte Kritik und die nationalistische Rechte sei empört. Doch dieses Urteil biete gleichzeitig der rechten nationalistischen Bewegung ein Argument gegen Europa, einschliesslich der EU und des Europarats.
Pilet kann man keine Affinität zur nationalistischen Rechten nachsagen. Trotzdem kritisiert er in seinem in französischer Sprache verfassten Essay das Urteil scharf.
Die Entscheidung des EGMR, die Schweiz wegen angeblich mangelnder Massnahmen gegen den Klimawandel zu verurteilen, habe zu Recht zu einer Debatte über die Rolle des Gerichts geführt. Er weist auch auf etwas hin, was in den Leitmedien in Bezug auf das Urteil kaum erwähnt wurde: Dass einige Richter am EGMR gar keine Juristen sind, sondern Vertreter der Zivilgesellschaft, die folglich eigene Prioritäten haben.
Pilet schreibt weiter:
«Was die politische Verankerung und die demokratische Erfahrung dieser Weisen betrifft, so lassen sie einen zumindest ratlos zurück, wenn es um die Lektionen geht, die sie erteilen. Von Aserbaidschan bis Bosnien-Herzegowina, von Bulgarien bis Albanien (...).»
Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Recht auf Achtung des Privat‑ und Familienlebens) stipuliert:
- (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat‑ und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.
- (2) Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.
Nur eine sehr breite Interpretation des Artikels 8 der Menschenrechtskonvention durch den EGMR ermöglicht es, den Kampf gegen den Klimawandels unter «nationale oder öffentliche Sicherheit, (…) zum Schutz der Gesundheit (…) zu subsummieren und so Individualrechte einzuschränken.
Immerhin steht am Ende des 2. Absatzes des Artikels 8 auch «zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer». Die Europäische Menschenrechtskonvention stammt aus dem Jahre 1950. Es ist somit kaum denkbar, dass deren Autoren die Absicht hatten, bei einer Interessenabwägung zwischen den Individualrechten und dem Kampf gegen den Klimawandel gegen fundamentale Menschenrechte zu entscheiden.
Also hat der Gerichtshof nach der politischen Grosswetterlage entschieden und sich in die inneren Angelegenheiten der Schweiz eingemischt, sagt Pilet. Diese Entscheidung wirft also Fragen über die Souveränität der Schweiz und ihre Abhängigkeit von internationalen Gerichten auf. Und sie reiht sich in eine Reihe von Versuchen internationaler Organisationen ein, demokratische Prozesse nach ihren eigenen politischen Präferenzen zu übersteuern.
Die Entscheidung des EGMR, die Schweiz wegen ihres angeblich mangelnden Engagements in Sachen Klimaschutz zu verurteilen, hat weitreichende Folgen für andere Länder und ihre rechtlichen Rahmenbedingungen – auch wenn sie nicht sofort bindend ist. Sie könnte dazu führen, dass Gerichte zunehmend politische Entscheidungen treffen und sich von einer objektiven Rechtsprechung entfernen.
Die aktuellen Herausforderungen im Umweltschutz erfordern komplexe Lösungen, die nicht allein durch rechtliche Mittel erreicht werden können, bilanziert Pilet. Die Gerichte sollten sich daher auf ihre Rolle als unparteiische Schiedsrichter beschränken und politischen Entscheidungsträgern die Verantwortung für die Entwicklung umfassender Umweltpolitiken überlassen.
Das Urteil des EGMR gegen die Schweiz sei ein warnendes Beispiel dafür, wie Gerichte in politische Fragen eingreifen und die demokratischen Prozesse untergraben können. Es sei an der Zeit, dass die Mitgliedstaaten des Europarats ihre Souveränität verteidigen und sicherstellen, dass politische Entscheidungen weiterhin von gewählten Vertretern getroffen werden.
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