Dies ist die Übersetzung und Zusammenfassung eines Artikels von bonpourlatete.com.
Eine zunehmende Zahl von Paaren ist unfruchtbar und sehnt sich nach einem Kind. Auch viele alleinstehende Frauen wünschen sich irgendwann eine Mutterschaft.
Sanitas nutzt dieses Bedürfnis, um ein ein gut verpacktes Ergänzungsprodukt auf den Markt zu bringen: die neue Zusatzversicherung «Kinderwunsch». Kommerziell clever, aber ethisch bedenklich: Auf heimtückische Weise werden Frauen ermutigt, die Illusion einer verlängerten Fruchtbarkeit aufrechtzuerhalten.
Auf Facebook wird wie folgt geworben: «Für diejenigen, die morgen ein Kind wollen … Sie wollen eine Familie, aber noch nicht heute … Sie haben noch nicht den passenden Partner … Ihre Zeit ist noch nicht reif …»
Was ist also zu tun? Wie löst man das grausame Dilemma des «richtigen Zeitpunkts», das Tausende, weltweit gar Millionen von Frauen in Angst und Schrecken versetzt? Ganz einfach: mit der neuen Zusatzversicherung «Kinderwunsch» kann die moderne Frau ihren Familienwunsch absichern. Ist das nicht grossartig?
Aus der Angst Kapital schlagen
Man muss das kommerzielle Gespür der Produktdesigner loben. Das Durchschnittsalter der Frauen bei der Geburt des ersten Kindes steigt stetig an (in der Schweiz derzeit 32 Jahre), während sich bei den Männern gleichzeitig die Spermienqualität verschlechtert. Mit anderen Worten: Paare, die sich ein Kind wünschen, stellen einen kolossalen Zukunftsmarkt dar. Aber es musste ein Weg gefunden werden, wie aus diesen Ängsten Kapital geschlagen werden kann.
Mission erfüllt: Die verbale Verpackung der Kinderwunschversicherung ist clever. Konkret bezahlt diese Police jedoch nur 75% der Kosten von maximal drei Versuchen der künstlichen Befruchtung. Aber in der Werbung wird den Frauen weisgemacht, dass sie sich bis zum 44. Lebensjahr sozusagen jederzeit den Kinderwunsch mittels moderner Technik erfüllen können.
Subtext der Werbung: Ihre Dreissiger schreiten in vollem Galopp voran? Haben Sie Angst, den richtigen Zeitpunkt zu verpassen? Möchten Sie Ihre biologische Uhr austricksen? Bloss keine Sorgen, die Reproduktionsmedizin ist für Sie da!
Auf der Website der Versicherung ist das Versprechen jedoch realistischer formuliert: Angeboten wird, die Erfolgschancen zu erhöhen, schwanger zu werden.
Doch es gibt eine Realität in der Reproduktionsmedizin, welche die Betroffenen gerne überspielen. Grob gesagt: für die zugestandenen 3 Versuche besteht im Alter von 25 Jahren eine 66% Möglichkeit der Schwangerschaft, mit 35 Jahren noch 33%, und im Alter von 40 Jahren noch 10%. Die Sanitas versichert Frauen bis zum Alter von 44 Jahren, natürlich mit entsprechend gestaffelten Prämien. Aber in der Produktbeschreibung wird die geringe Erfolgswahrscheinlichkeit für Personen über 35 Jahre nicht erwähnt.
Auch das zweite deprimierende Detail wird nicht angesprochen: Die angegebenen Erfolgsraten beziehen sich auf Schwangerschaften, nicht auf Geburten. Und das Risiko wird mit den Jahren immer größer: Im Alter von 20 Jahren liegt das Risiko einer Fehlgeburt bei 10 %. Ab 40 sind es 80 %. Das bedeutet, dass Frauen in diesem Alter nicht nur die maximale Prämie zahlen, sondern mit den maximal drei gestatteten Versuchen faktisch chancenlos sind, sich den Kinderwunsch zu erfüllen.
Die biologische Realität lässt sich nicht auf magische Weise aushebeln. Alles im Kalender unseres Lebens neigt dazu, sich zu verlängern: die Teenagerjahre, die Dauer der Ausbildung, die körperliche Fitness, das Sexualleben. Alles, bis auf eine Sache: die biologische Uhr der Frau. Im dritten Jahrtausend ist ihr Fortpflanzungskalender völlig aus dem Gleichgewicht geraten. Das Fruchtbarkeitsmaximum liegt bei 25 Jahren. Und dann beginnt der Niedergang, der sich ab dem Alter von 30 Jahren beschleunigt ...
Die Illusion der unbegrenzten Fruchtbarkeit
Diese Diskrepanz zwischen der Biologie und der Evolution der Moral ist schmerzhaft und erzeugt existenzielle Tragödien. Manchmal schafft es die Medizin, sie zu korrigieren, aber sie ist weit davon entfernt, allmächtig zu sein. Ist es ethisch vertretbar, die Illusion unbegrenzter Fruchtbarkeit aufrecht zu erhalten? Wäre es nicht dringend notwendig, junge Menschen besser über die harte Realität der biologischen Uhr zu informieren?
Diese Wahrheit ist für viele Frauen so abstossend, dass sie gar nicht daran interessiert sind, sie zu hören. Vor ein paar Jahren startete ein italienischer Gesundheitsminister eine Informationskampagne zu diesem Thema. Er musste erkennen, wie schmerzhaft es für seine Landsfrauen war. Sie empfanden diese Kampagne als unerträglichen Eingriff in ihre Privatsphäre.
Die Diskrepanz zwischen der Biologie und der Evolution der Moral ist ein gesellschaftliches Drama, das uns ohnmächtig werden lässt. Es ist an der Zeit, das Thema als das zu thematisieren, was es ist: ein epochales Übel, nicht ein individuelles und medizinisches Problem. Ein wenig Zurückhaltung könnten wir auch von denen erwarten, die davon profitieren.
Dieser Text wurde uns von «bonpourlatete.com» zur Verfügung gestellt, dem führenden alternativen Medium der französischsprachigen Schweiz. Von Journalisten für wache Menschen.