«Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus.»
Ignazio Silone
Liebe Leserinnen und Leser
«Das Parlament hat im Zuge von Corona komplett versagt», sagte mir ein Kollege, den ich schon seit Monaten nicht mehr gesehen hatte, am vergangenen Wochenende während einer intensiven Gesprächsrunde im Restaurant. «Das sehe ich auch so», entgegnete ich.
«Die haben allesamt ihre Arbeit nicht gemacht. Besonders enttäuschend ist insbesondere auch die FDP», fuhr mein Kollege fort. Wieder hatte ich nichts einzuwenden. Dazu muss ich hinzufügen: Mein Kollege hat nichts mit der FDP am Hut und ist politisch schwer, jedoch sicherlich eher dem linken Spektrum einzuordnen.
«Dass die FDP und weite Teile der restlichen Parteien einen Vorwurf wie ‹Berset ist ein Diktator› ohne wirklichen Gegenangriff einfach hinnehmen, das geht zu weit», fuhr mein Kollege fort und spielte auf die Kritik von Christoph und Magdalena Blocher ab, die den SP-Gesundheitsminister im Februar so bezeichneten. SVP-Politiker, die so reden, hätten im Parlament nichts mehr zu suchen, meinte mein Kollege.
«Das ist doch das gute Recht oppositioneller Politiker, ihre Meinung frei zu äussern und den Druck auf die Regierung zu erhöhen», entgegnete ich leicht verblüfft und befand mich plötzlich in der ungewöhnlichen Situation, in diesem Fall quasi Partei für die SVP zu ergreifen. Schliesslich habe es das Parlament zu Beginn der «Pandemie» komplett versäumt, gegen die Machtakkumulation der Regierung ein Gegengewicht zu bilden – und zwar alle Parteien, meinte ich. «Nein, das ist ein Angriff auf die Institutionen», erwiderte mein Kollege.
Das Hin und Her ging dann noch eine Weile weiter. Im Nachhinein ging mir die Konversation nochmals durch den Kopf. Kritik an einzelnen Bundesräten als «Angriff» auf die Institutionen zu bezeichnen: Hatte nicht auch Bundesrätin Karin Keller-Suter im Februar ähnlich argumentiert? Als sie meinte, «Personen und Institutionen» niederzureissen, «das ist gefährlich».
Und müsste der Blick bei der Frage, wer gerade demokratische Institutionen oder zivilisatorische Errungenschaften niederreisst, nicht in erster Linie in Richtung Regierung gehen? Klar: Die SVP benutzte den «Diktatur»-Begriff gezielt, um den politischen Gegner zu desavouieren. Und ja: Die Schweiz ist nicht Hitler-Deutschland, auch leben wir nicht in den Philippinen unter Duterte oder in sonst einem autokratischen Staat, wo politische Gegner erschossen werden.
Trotzdem: Kann man den Diktatur-Vorwurf lediglich als einen schlechten Witz abtun? Laut der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung kennzeichnet sich eine Diktatur durch acht Merkmale:
- Eine Person, Gruppe oder Organisation hat das Machtmonopol.
- Eine Gewaltenteilung ist nicht gewährleistet.
- Grundrechte werden abgeschafft.
- Der gesellschaftlich-politische Pluralismus wird ausser Kraft gesetzt. (Ausschaltung einer Opposition)
- Schaffung einer Einheitspartei mit Massenorganisationen.
- Eine Ideologie wird zur herrschenden und beansprucht alle Bereiche des menschlichen Lebens.
- Die Freiheit der Presse wird abgeschafft, Medien gleichgeschaltet und durch Zensur ein Informationsmonopol gesichert.
- Die Macht wird durch aussergesetzliche Gewalt staatlicher und parastaatlicher Repressionsapparate abgesichert.
Ich frage mich: Wie viele dieser Merkmale treffen 2021 auf die Schweiz zu? Ich frage mich: Wie viele waren es vor 2020? Was denken Sie? Die Frage muss jeder für sich beantworten. Mir scheint, es ist höchste Zeit, aktiv zu werden, damit es nicht noch mehr werden.
Herzlich
Rafael Lutz