Es ist eigentlich wie ein Wunder,
dass der moderne Lehrbetrieb die heilige Neugier
des Forschens noch nicht ganz erdrosselt hat;
denn dies delikate Pflänzchen bedarf neben Anregung
hauptsächlich der Freiheit;
ohne diese geht es unweigerlich zugrunde.
Albert Einstein
Liebe Freundinnen und Freunde
Medienkritik ist ausserhalb des Mainstreams üblich. Etwas vernachlässigt wird ein anderer wichtiger Faktor, der unsere Gesellschaft massgeblich prägt. Er bereitet den Nährboden, auf dem das Vertrauen in Institutionen und Mainstream-Medien gedeiht: das sogenannte Bildungssystem.
Am ersten Schultag bin ich in der Klasse auf dem Tisch herumgesprungen und habe geschrien: «Ich will nicht in die Schule!» Man musste mich physisch bändigen. Ich konnte meine Abneigung damals nicht rational begründen. Heute weiss ich, dass es die militärische Struktur und der Zwang waren, die mir instinktiv zuwider waren. Die Schule hat mir die Freude am Lernen gründlich verdorben. Ich brauchte Jahre, um die Erfahrung abzuschütteln und diese Freude wiederzufinden.
Das heutige Schulsystem entstammt den kirchlichen Priesterseminaren und den Militärakademien. Glaube und Disziplin. Das ist heute noch der wahre Zweck der Schule, wobei sich der Glaube von der Religion auf die Politik, die Wirtschaft, die Wissenschaft und die Gesellschaft verlagert hat. Zum einen ist da die Substanz, der Inhalt des Lehrplans, der die herrschende Ideologie wiedergibt. Zum anderen die Form, die Struktur der Schule, die wahrem Lernen abträglich ist und die Kinder drillt. Die Schule führe zu einem kollektiven Gehorchen, sagte der Historiker und Kindheitsforscher Michael Hüter.
Die Schule schreibt vor, wo, wann und worüber man denken soll. Sie trennt die Kinder von der Familie und der Arbeitswelt. Um ein guter Musiker zu werden, sollte man schon im Kindesalter anfangen zu musizieren. Nicht nur Noten lernen. Das ist bei jeder Tätigkeit so. Heute übt die junge Generation hingegen frühestens mit 14 bis 15 Jahren zum ersten Mal eine berufliche Tätigkeit aus. Manchmal erst mit 30 Jahren. Ich plädiere natürlich nicht für Kinderarbeit. Es geht ums Lernen.
Die Schule trennt auch die Kinder selbst nach Alter. Völlig unnatürlich. Und sie raubt das Selbstvertrauen: Nur durch die Vermittlung von spezifisch ausgewählten Informationen seitens dafür geschulter Erwachsener kann ich vollkommen werden. Sicherlich, es hat sich einiges verbessert. Der Lehrer haut heute nicht mehr mit dem Stab auf die Finger der Kleinen. Es gibt Reformschulen, wenn die Eltern sie sich leisten können. Und es gibt sehr gute Lehrer, doch auch diese können nur im vorgegebenen Rahmen agieren. Es ist trotzdem noch Schule.
Um einem Kind Lesen, Schreiben und Arithmetik beizubringen, benötigt man durchschnittlich etwa hundert Stunden. Das ginge locker während der Sommerferien hier im Tessin. Durchschnittlich zwei Stunden am Tag, fünf Tage die Woche, zweieinhalb Monate lang. Dann, wenn das Kind selbst es will. Denn nur so kann wahres Lernen stattfinden. Und dann hat das Kind alle Werkzeuge, um selbst weiter zu lernen. Heute reichen manchmal neun Schuljahre nicht, um diese drei Fähigkeiten zu erwerben. Nicht, weil die Schüler zu dumm wären. Die Struktur der Schule ist die Ursache.
Ein Kind kann in den ersten Lebensjahren mehrere Sprachen sprechen lernen, wenn es oft genug mit ihnen in Kontakt kommt. Ohne Grammatik zu büffeln. Leonardo da Vinci hatte nie eine Schule besucht. «Jetzt ist fertig gespielt, jetzt fängt der Ernst des Lebens an!» Dieser Satz zeugt von Ignoranz bezüglich des Lernprozesses. Spielen ist für das Kind Lernen. Und nur wenn es etwas mit Freude tut, also spielend, kann es nachhaltig lernen.
Ein Kind beim Spielen zu unterbrechen, bedeutet, es beim Lernen zu unterbrechen. Und das ist Gewalt, wie der Musiker und Autor André Stern sagt: Es sei für das Kind schmerzhaft. Es erfahre, dass seine Bedürfnisse und Interessen in den Hintergrund rücken und dass die Anliegen der anderen wichtiger sind. Auch Stern hat nie eine Schule besucht.
Nun werden den Kindern an den Schulen noch mehr Freiheiten geraubt. Diese inakzeptable Situation bietet vielleicht eine Chance, das gegenwärtige «Bildungssystem» grundlegend in Frage zu stellen und sich davon zu lösen. Als erstes sollten Schul- und Unterrichtspflicht fallen. Doch wenn es sein muss, durch kollektiven Ungehorsam.
Herzlich
Konstantin Demeter
Mehr zum Thema:
Verein Bildung zu Hause Schweiz
Videos:
Bücher:
- Deschooling Society , Ivan Illich, 1971
- Schooling In Capitalist America: Educational Reform And The Contradictions Of Economic Life , Samuel Bowles und Herbert Gintis, 1970
- Dumbing Us Down: The Hidden Curriculum of Compulsory Schooling , John Taylor Gatto, 1991
- Weapons of Mass Instruction: A Schoolteacher’s Journey Through The Dark World of Compulsory Schooling , John Taylor Gatto, 2008
- The Underground History of American Education: An Intimate Investigation Into the Prison of Modern Schooling , John Taylor Gatto, 2000
- Kindheit 6.7: Ein Manifest , Michael Hüter, 2018
- Jedes Kind ist hoch begabt , Gerald Hüther und Uli Hauser, 2013
- Begeisterung: Die Energie der Kindheit wiederfinden , André Stern, 2019
************
Bildquelle: Franklin University Switzerland/AP
Hinweise:
«Stromausfall – unabhängig bleiben – aber wie?»
Donnerstag, 12. Aug. 2021, 19.00 Uhr
Gasthaus Storchen, Hauptstrasse 26, 5044 Schlossrued
Eine Veranstaltung des «Freiheits-Stubentischs»
**************
Tag der offenen Gärten auf der Schweibenalp
Seit zehn Jahren wird auf der Schweibenalp hoch über dem Brienzer See alpine Permakultur praktiziert. Wie wird Gemüse in kurzer Vegetationszeit kultiviert? Welche Eigenschaften zeichnen Kräuter in einer Höhe von 1000 m.ü.M. aus? Zwei von vielen Fragen, auf die es am Tag der offenen Gärten am 14. August Antworten gibt. Weitere Infos
**************
Wie kreieren wir eine bessere Zukunft? Vortrag und Gespräch mit Uwe Burka.
Samstag, den 14. August 14 h
Quellenhof, Mättenbach 67, 4934 Madiswil
Infos