Verantwortlich sein heisst, zum Antworten bereit sein.
Erich Fromm
Liebe Leserinnen und Leser
Immer wenn ich glaube, dass mich nichts mehr erschüttern kann, werde ich eines Schlechteren belehrt. Diesmal war es eine kurze Unterhaltung mit einem FDP-Gemeindepolitiker mittleren Alters, die die Grenzen meiner Fassungslosigkeit aufs Neue zu sprengen vermochte.
Nein, ich hätte nicht erwartet, dass der Mann ein flammendes Plädoyer für liberale Gesellschaftsideale angesichts einer drohenden Pseudogesundheits-Diktatur halten würde. Schon vor 2020 hegte ich den Verdacht, dass sich Partei-«Liberale» hauptsächlich für die Freiheit der Grosskonzerne interessieren. Ein kurzer Austausch über die Lage der Nation lag mir trotzdem am Herzen und führte zu folgenden niederschmetternden Ergebnissen:
Wir waren uns zwar immerhin einig, dass der Faktor Geldscheffeln in der aktuellen Impfgeschichte keine unwesentliche Rolle spiele. Für weitergehende Bedenken zur bevorstehenden Menschheitserlösung per Heiliges Vakziment war mein Gesprächspartner jedoch durchaus nicht empfänglich. Alles Quatsch, bzw. andere Impfungen hätten auch ihre Risiken.
Und der Zwang und die Ausgrenzung, die all jenen droht, die sich nicht impfen lassen können/dürfen/wollen? Darauf werde es wohl hinauslaufen, meinte der «Liberale» lapidar. Was könne man da schon machen. «Beispielsweise sich wehren? Gute Gegenvorschläge anbringen? Die gibt es ja zuhauf», entgegnete ich. Ach was.
Vielleicht bin ich ja einfach nur naiv, und mein FDPler hat im Gegensatz zu mir längst gründlich durchschaut, dass da eine Übermacht am Werk ist, die unbeirrt und auf Teufel komm raus ihre Agenda durchziehen wird? Jedenfalls schien er die offensichtliche Fehlentwicklung bereits voll und ganz als unverrückbare Tatsache akzeptiert zu haben. Und dies mit einer fatalistischen Abgeklärtheit, die mich konsterniert zurückliess.
Ich weiss nicht, ob ich das Recht dazu habe, aber angesichts eines bestehenden oder bevorstehenden Unrechts glaube ich bei gesunden Menschen zumindest einen kleinen Funken von Nietzsches «Wehr- und Waffeninstinkt» erwarten zu dürfen: Den natürlichen Impuls, sich zu verteidigen; für seine Rechte, für seine Würde, für seine Integrität einstehen zu wollen.
Und wenn schon nicht für sich selbst, dann zumindest für diejenigen, die sich weniger gut wehren können: Benachteiligte, Schwächere, Kinder. Ich habe nie wirklich begriffen, wie dieser Gerechtigkeitsinstinkt bei manchen Menschen abhanden kommen kann. Obwohl natürlich einige brillante Denkerinner und Denker viel Geistreiches zum Thema geschrieben haben.
Beispielsweise der grossartige Erich Fromm, der – weniger martialisch als Nietzsche – es ganz einfach das Verantwortungsgefühl nannte: «Verantwortungsgefühl ist keine Pflicht, die dem Menschen von aussen aufgezwungen wird, sondern meine Antwort auf etwas, von dem ich fühle, dass es mich angeht», so Fromm. Manchen scheint dieses Gefühl zu fehlen. Mitmenschen und Umwelt scheinen sie nichts anzugehen. Von ihnen dürfen wir keine konstruktiven Ideen erwarten.
Was für ein ermutigender Gegensatz sind da die phantastischen Persönlichkeiten, die in Prisca Würglers wunderbarem Buch «Unser Jahr unter Corona» zu Wort kommen: Da äussern sich Menschen, die fühlen und verstehen, dass die sehr, sehr fragwürdigen Ereignisse da draussen sie sehr wohl etwas angehen. Sie sind bereit, darauf zu antworten. Und sie haben lebensbejahende Antworten. Das sind die Anführerinnen und Anführer der Zukunft, die ich mir wünsche!
Mit besten Grüssen,
C.S. Rodriguez