Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.
Carl Schmitt
Liebe Leserinnen und Leser
Giorgio Agamben ist für mich ein Schlüsseldenker, wenn es darum geht, die politische Gegenwart zu verstehen. Der italienische Philosoph und Universitätsprofessor hat das Regierungskonzept des Ausnahmezustands weiterentwickelt.
Seit der Neuzeit und vor allem durch den Prozess der Nationenbildung in der Moderne ist Sicherheit eines der grossen Themen einer Staatsregierung geworden. Sicherheit ist eine zentrale Legitimationsfigur sowohl für ihre Existenz als auch für ihre Handlungen.
Im Zuge des nahezu weltweit synchronisierten Corona-Regimes hat Agamben sich wiederholt kritisch in der Öffentlichkeit geäussert, als sich Regierungen anschickten, Bürgerrechte zu beschneiden und dies immer mit Gesundheit bzw. Sicherheit zu rechtfertigen versuchten. Er sprach sogar im italienischen Parlament.
Die Regierung einer liberalen Demokratie muss normalerweise, so zumindest die Idee, immer zwischen Freiheit und Sicherheit abwägen. Nach Agambens Ansicht hat der Corona-Ausnahmezustand dieses Prinzip missachtet. Und Agamben geht noch weiter. Nicht nur dass die Freiheitsrechte ausgesetzt würden und im Gegenzug die kolportierte Sicherheit durch die Massnahmen gar nicht eintrete, sondern dass die Regierung die Unsicherheit erst schüre.
Ich stimme mit Agamben überein. So einer Regierung geht es weder um Freiheit noch um Sicherheit. Ihr geht es darum, Unsicherheit zu bewirtschaften, um ihre Kontrolle auszubauen. Sie braucht den permanenten Ausnahmezustand als Regierungsparadigma, um den ordentlichen Staatsbetrieb der demokratischen Spielregeln und Gewaltenteilung zu umgehen.
So einer Regierung kommt es gelegen, wenn Medien regierungskonform sind und die Parlamentarier im vorauseilenden Gehorsam nach Hause gehen, so geschehen zum Beispiel in der Schweiz im März 2020, als die Frühlingssession abgebrochen wurde. So eine Regierung kann sich über das Totalversagen ihrer Kontrollinstitutionen eigentlich nur freuen.
Wenn Gleichschaltung so einfach vonstatten geht, müssen wir uns ernsthaft fragen, in was für einer Gesellschaft wir leben. Denn das Corona-Regime hat gezeigt: Von einem Rechtsstaat oder einer liberalen Demokratie, so wie in unserem Selbstverständnis immer wieder bekräftigt, kann nicht die Rede sein.
Vor allem dann nicht, wenn immer «Werte» wie die Redefreiheit hochgehalten werden, dann aber vom Regierungsnarrativ abweichende Meinungen pausenlos mit perfidester Propaganda diffamiert oder zensiert werden und eine echte öffentliche Debatte nie stattfindet.
Und eines ist auch gewiss: Die moralische Transzendenz unserer Gesellschaft ist verwahrlost. Wenn das anders wäre, so wäre es nicht möglich, die Menschen wie kleine Kinder zu bevormunden, damit sie verängstigt alles mit sich machen lassen – bis hin zur staatlichen Nötigung medizinischer Eingriffe und der Aufgabe eines der höchsten Güter überhaupt: die körperliche Unversehrtheit.
Die moralische Verwahrlosung und der damit einhergehende Verlust von Sinn hat dazu geführt, dass ein grosser Teil der Gesellschaft sich in einem kollektiv-hysterischen Hyper-Wahn in den Sog der Virus-Gesundheit-Angst-Tod-Ideologie ziehen liess und dabei alles geopfert hat, was angeblich noch vor 2020 heilig war.
Das Corona-Regime hat im Namen der Wissenschaft eines der gefährlichsten Verbrechen an der wissenschaftlichen Integrität begangen. Völlig irrational hat es behauptet, mithilfe der Wissenschaft die Gesellschaft steuern und der Politik Vorgaben machen zu können. Damit hat das Corona-Regime als Instanz auch den höchsten Wert der Politik absolut gesetzt. Diese szientistische Legitimierung hat tiefreligiösen Charakter.
Wenn es keine andere Ziele und Zwecke als das «nackte Überleben» (Agamben) mehr gibt, wird das Leben sinnlos. Lohnt es sich zu sterben, ohne gelebt zu haben? Darüber können und dürfen in einer offenen Gesellschaft weder Wissenschaft noch Politik befinden. Das, sollte man meinen, müsste man aus der Geschichte insbesondere des letzten Jahrhunderts gelernt haben.
Mit dem Corona-Regime kam «endlich» etwas Orientierung zurück, auch wenn sie mit allen Implikationen höchst absurd und widersprüchlich war. Keine lästige Verantwortung mehr, mit Freiheit verantwortungsvoll umgehen zu müssen. Die staatliche Kriegsrhetorik gegen die eigene Bevölkerung spaltete diese und gab die Marschrichtung vor: da die Guten, dort die Bösen.
Wir brauchen daher dringend eine Rehabilitation der Moral, oder besser, der Tugend. Damit meine ich nicht die woke Pseudo-Moral, nicht die affektive moralische Empörung, sondern unter anderem aufgeklärtes, kritisches Denken.
Lediglich eine Aufarbeitung der Corona-Zeit wird nicht ausreichen, um Ähnliches in Zukunft zu verhindern, denn dann hätte die ganze Geschichte auch jetzt nicht passieren können – es waren hierzu ja formal alle Instrumente vorhanden: «freie» Medien und Wissenschaften, horizontale und vertikale Gewaltenteilung, Rechtsstaat, verfassungsgarantierte Abwehrrechte des Bürgers usw.
Die Tugend ist ein Mittelweg zwischen einem Individualismus, der heute gerne als Narzissmus oder Egoismus missverstanden wird, und der in der heutigen Form kaum politische Gemeinschaft ermöglichen kann, und einem missbräuchlichen Kollektiv, das totalitär ausgerichtet ist und alle Politik einem willkürlichen Zweck unterordnet.
Diese Tugend kommt einerseits dem moralisch-transzendenten Bedürfnis des Menschen nach und ermöglicht dadurch sinnvolle Orientierung, die politisch an ein Gemeinwesen anschlussfähig ist, andererseits stärkt sie durch ihre rationale Begründung die Autonomie und schützt vor blindem Mitläufertum. Einer der berühmtesten Tugendlehrer war der griechische Philosoph Aristoteles.
Mehr Tugend also. Ansonsten werden quasireligiöse Ideologien zunehmend den Kurs der Politik bestimmen, die immer vorgeben, einem guten Zweck zu dienen und dabei das menschliche Bedürfnis nach dem Guten stillen, aber tatsächlich nur finanzielle und politische Machtgelüste partikularer Gruppen befriedigen. Der Ausnahmezustand droht sich dann zu verselbstständigen.
Herzliche Grüsse
Armin Stalder
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