Journalismus bedeutet etwas zu bringen, von dem andere wollen, dass es nicht veröffentlicht wird. Alles andere ist PR.
Liebe Leserinnen, liebe Leser
Der gegenwärtige Zustand der Mainstream-Presse könnte kaum schlechter sein. Vertrauensverlust, sinkende Abozahlen und schlechte Arbeitsbedingungen gehören zum Alltag. Nicht verwunderlich also, dass sich die grossen Zeitungen nach den «guten alten Zeiten» zurücksehnen.
Da kommt es gerade recht, dass sich der Beginn der Watergate-Affäre zum 50. Mal jährt. Mehrere grosse Medien nutzten die Gelegenheit, um auf die wichtige Rolle der Presse hinzuweisen (siehe hier, hier). Die Heuchelei könnte kaum offensichtlicher sein. Doch davon gleich mehr.
Am 17. Juni 1972 brachen mehrere Männer in den Watergate-Gebäudekomplex in Washington ein, wo sich die Wahlkampfzentrale der Demokratischen Partei befand. Etwas mehr als zwei Jahre später war die Ära von Richard Nixon Geschichte.
Der 37. Präsident der USA entpuppte sich als Fanatiker, der zu seinem Machterhalt alle Mittel einsetzte. Er baute eine eigene Spezialabteilung auf, die «Klempner». Sie sollten die Leaks zu den Medien stopfen, aber auch andere Aufträge ausführen: Abhöraktionen bei politischen Gegnern, Einschleusen von Spitzeln oder das Sammeln von kompromittierendem Material.
«Spionage und Sabotage sind nur dann illegal, wenn sie sich gegen die Regierung richten», sagte Nixon. Die jungen Washington Post-Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein deckten die illegalen Machenschaften Nixons damals auf. Sie trugen damit wesentlich zum Sturz des Präsidenten bei. Bis heute wird die Watergate-Affäre als Triumpf der Pressefreiheit gedeutet. Für ihre Berichterstattung werden Woodward und Bernstein zu Recht noch immer gefeiert.
Gleichzeitig ist die Selbstbeweihräucherung der etablierten Medien in diesem Zusammenhang nur schwer auszuhalten. Denn eins ist klar: Die gleichen Medien sind sich derzeit nicht zu schade, die Bernsteins und Woodwards von heute mit allen Mittel zu beschmutzen und zu diffamieren.
Man denke nur an Julian Assange. Die britische Regierung will den WikiLeaks-Gründer, der unzählige Kriegsverbrechen der US-Regierung aufdeckt hat, an die USA ausliefern. Dort drohen im 175 Jahre Gefängnis. Eine Schande.
2020 hatte ich die Gelegenheit, mit dem Anwalt Aitor Martinez zu sprechen. Er vertritt Assange im spanischen Verfahren gegen UC Global. Die Sicherheitsfirma hatte Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London im Auftrag der US-Geheimdienste bespitzelt (über die Affäre schrieb ich damals eine dreiteilige Serie für Infosperber, mehr dazu hier, hier und hier). Die Spione schreckten auch nicht vor dem Gedanken zurück, Assange zu entführen oder gar zu töten.
Wie positionierten sich die grossen Medien in der Causa Assange? Sie unterstützten die Hexenjagd gegen den WikiLeaks-Gründer über mehrere Jahre hinweg. Darunter zum Beispiel auch The Guardian; eine Zeitung, die anfangs noch eng mit Assange zusammengearbeitet hatte.
Verwunderlich? Eigentlich nicht. Die grossen Medienhäuser schrieben schon immer überwiegend im Auftrag der Mächtigen. Stichwort «Operation Mockingbird»: Während des Kalten Krieges gelang es dem US-Auslandsgeheimdienst CIA, mehrere hundert namhafte Journalisten einzuspannen, um antisowjetische Desinformationskampagnen im Auftrag der US-Regierung zu führen.
Es war einmal mehr kein Geringerer als Carl Bernstein, der das Ausmass der Operation 1977 aufdeckte. An den engen Verbandelungen zwischen Regierungen und Alpha-Journalisten hat sich bis heute wenig geändert. Im Gegenteil. Auch das zeigte Assange mit seiner Arbeit auf. Man feiert die Helden von gestern, während man die Helden von heute verachtet.
Herzlich
Rafael Lutz
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