Mancher fühlt sich als Priester der Wahrheit
und ist nur Knecht im Tempel seiner Selbstgefälligkeit.
Peter Sirius
Liebe Leserinnen, liebe Leser
Wer hätte gedacht, dass ich mal Fan von Klaus Schwabs WEF-Website werde? Aber in Sachen utopische Zukunftsvisionen ist das Weltwirtschaftsforum einfach nicht zu toppen. Man könnte meinen: Gott ist nah, wenn man dank der anregenden Artikel in Schwabs «Schöne Neue Welt» eintaucht.
Anfang Oktober hat das WEF seine Anhänger mit einem Artikel über die Atomkraft beglückt. Roberto Bocca, Mitglied des Exekutivausschusses, lobte die Atomenergie als emissionsfreien und umweltfreundlichen Klimaretter über den grünen Klee. Damit hatte der Mann sofort meine Aufmerksamkeit.
Kernkraft habe ein «Imageproblem», stehe aber vor einem «Neustart», verkündet Bocca. Seine Zugpferde für die Ankurblung der Atomkraft nennen sich Small Modular Reactors (SMR), also kleine modulare Reaktoren.
«SMR sind einfacher, sicherer und billiger als herkömmliche Reaktoren – und sie produzieren weniger Abfall», begeistert sich Bocca.
Gleich präsentiert er den unbedarften Lesern eine «leicht verständliche» Illustration zum schwierigen Thema. Damit macht er klar: Diese niedlichen und klimafreundlichen Mini-Reaktoren müssen niemandem mehr Angst machen.
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Und wem verdankt die Kernkraft das glorreiche Revival – oder die «Schicksalswende» –, wie Bocca das nennt? Es sei «eine Kombination aus neuen Nukleartechnologien, dem Streben nach Dekarbonisierung und dem zunehmenden Wunsch nach Energieunabhängigkeit nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine», teilt er mit.
Dass einzig und allein Wladimir Putin an der prekären Energielage der Welt schuld ist, betont er in dem Artikel gleich zweimal. Dass der Klimawahn vom WEF vorangetrieben und der vom Westen geschürte Krieg gewisse Interessen beflügelt, lässt er dagegen aussen vor.
Weltweit seien derzeit mehr als 50 Kernreaktoren im Bau, fast die Hälfte davon in China und Indien. Länder wie Japan hätten den geplanten Ausstieg aus der Kernenergie rückgängig gemacht, weiss Bocca.
Nur gut, dass Ursula von der Leyen auch die EU auf Spur hält. Schon im Juli wurde die Kernenergie als «grüne Energiequelle» eingestuft und in die Liste nachhaltiger Investitionen aufgenommen (wir berichteten). Das mache die Kernenergie «attraktiver», freut sich Bocca.
Überschwänglich beschreibt er die Vorteile der Atomkraft: Sie sei eine «immer einsetzbare, zuverlässige und emissionsfreie Energiequelle», die im Gegensatz zu anderen erneuerbaren Energien auch abliefere, wenn der Wind nicht wehe oder die Sonne nicht scheine.
«Kernkraftwerke stossen keine Treibhausgase aus, was bedeutet, dass sie die weltweiten Bemühungen unterstützen, Netto-Null-Emissionen zu erreichen», meint Bocca.
Doch dann muss er in den sauren Apfel beissen: Was geschieht mit dem Atommüll, der bis zu 300’000 Jahre lang radioaktiv bleiben kann, wie er selbst zugibt? Lösungen hat er parat: Als Entsorgungsmethoden schlägt er «das Abschiessen ins All oder das Vergraben tief unter dem Meeresboden» vor.
Die vermessene Idee, den Atommüll im Weltall zu entsorgen, ist nicht neu. Auch im «Government in 2071: Guidebook», das 2018 im Rahmen des Weltregierungsgipfels (World Government Summit/WGS) in Dubai veröffentlicht wurde, prophezeien die Vorreiter der Vierten Industriellen Revolution, dass es in Zukunft viel mehr Kernkraftwerke geben und der Atommüll im All entsorgt wird.
Wie der Zufall es will, ist dieser Weltregierungsgipfel, der 2013 ins Leben gerufen wurde, eng mit Klaus Schwab und seinem Weltwirtschaftsforum verbandelt (wir berichteten).
Auch bei der Finanzierung dieser technologischen Entwicklungen trifft man auf alte Bekannte: So errichtet TerraPower, ein Unternehmen von Bill Gates, derzeit seinen ersten kleinen modularen Reaktor in einer Stadt im US-Bundesstaat Wyoming, die historisch mit dem Kohlebergbau verbunden ist (hier und hier).
Was soll man sagen? Gates ist eben der Inbegriff der Philanthropie: «gute» Werke tun, gehört zu seinem Alltag wie das Zähneputzen.
Die schöne, neue WEF-Welt ist ein Quell der Freude und eine Inspiration – und immer muss ich sofort an dieses Foto von Schwab im futuristischen Outfit denken, das seit gefühlten «Pandemie-Ewigkeiten» durch die sozialen Netzwerke geistert.
Man schaut es sich an und erkennt: Das ist ein Mann, der genau weiss, was er will – und welche Klamotte seine Persönlichkeit unterstreicht. Dem muss man vertrauen.
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Herzlich
Wiltrud Schwetje
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