Warum so erhaben! – Oh, ich kenne dies Getier!
Freilich gefällt es sich selber besser, wenn es auf
zwei Beinen «wie ein Gott» daherschreitet, – aber
wenn es wieder auf seine vier Füße zurückgefallen
ist, gefällt es mir besser: Dies steht ihm so
unvergleichlich natürlicher.
Friedrich Nietzsche, Mörgenröte, Aph. 261
Liebe Leserinnen und Leser!
Irgendwie hat es etwas Schizophrenes: Auf der einen Seite ist es Allgemeingut, dass der Mensch ein Säugetier ist. Andererseits würden viele Menschen immer noch auf die Frage, ob der Mensch ein Tier sei, mit einem klaren Nein antworten.
Dass sich nach wie vor viele Menschen über die Tiere gestellt sehen, macht sich auch an Redewendungen bemerkbar. Heißt es doch etwa, wenn einem etwas sehr Schlimmes widerfahren ist, man sei behandelt worden wie ein Tier. Da schwingt dann leider irgendwie auch mit, es sei natürlich oder zumindest nicht weiter oder nicht arg so schlimm oder unumgänglich, dass Tiere «mies» behandelt werden.
Wenn sich aber die Menschen nicht mehr über den Tieren wähnen, sondern als Gleiche unter Gleichen betrachten würden, dann gäbe es wohl auch nicht ehr so abartig schlimme Dinge wie die Massentierhaltung.
Und so braucht der Industriemensch die erhabene Haltung, den Blick herab von oben auf das Tierreich, um Dinge wie die Massentierhaltung möglich zu machen.
Wo aber kommt diese Haltung bloß her? Zum einen sicher aus der Bibel, in der es heißt: «Macht euch die Erde untertan und herrschet über die Fische des Meeres, die Vögel des Himmels, über das Vieh und alles Getier.»
Zum anderen hat sie ihre Grundlage in den Theorien des französischen Philosophen René Descartes (1596 bis 1650), einem der Wegbereiter der «Aufklärung». Er meinte doch tatsächlich, dass die menschlichen Handlungsfähigkeiten weitreichender seien als die Tierischen.
Er behauptete, dass Tiere ohne jedes Bewusstsein seien und rein «aufgrund der Anordnung ihrer Organe» agierten. In Tieren sah er lediglich gefühllose Automaten, er verglich sie mit Uhrwerken, welche nach vorgegebenen Prinzipien fungieren.
«Cogito ergo sum» – «Ich denke, also bin ich» – war auch der erste Grundsatz von Descartes. Damit stellte er das Denken, die Ratio, das Bewusstsein an die oberste Stelle. Das hat womöglich den Erfindergeist des Menschen beflügelt. Doch das Rationale derart ins Zentrum zu rücken, hat auch fundamentale Nachteile, denn damit wird übersehen, dass es die Gefühlswelt ist, die «stärker» ist als das Denken und unglaublich viel lenkt und den eigentlichen Reichtum des Lebens ausmacht.
Friedrich Nietzsche drehte es daher um und schrieb in seinem Buch «Die fröhliche Wissenschaft» in Aphorismus 276: «Sum ergo cogito» – ich bin, also denke ich. Wenn man sich sich dem gedanklich hingibt, entsteht automatisch mehr Demut vor dem Leben – und es verhindert, dass man sich über andere Lebewesen stellen kann, nur weil man so stolz ist, dass es der Mensch vollbracht hat, Computer und Wolkenkratzer mithilfe seiner Ratio zu bauen.
Abgesehen davon verfügt im Grunde jedes Tier über Eigenschaften wie Schnelligkeit, Stärke, Ausdauer, Sprung- und Sehkraft, Geruchs- und Flugfähigkeit usw., die denen des Menschen weit, weit überlegen sind. Doch kein Tiere würde auf die Idee kommen, so behaupte ich mal, sich einzigartig zu sehen und sich über den Rest der Tierwelt zu stellen.
Warum auch? Um glücklich zu sein, braucht es so eine Haltung ja nicht!
Im Übrigen setzt sich auch immer mehr in der Wissenschaft durch, dass Tiere in Sachen Bewusstsein mit dem Tier Mensch mithalten können. Die Zeitung Welt hat dies kürzlich zum Thema gemacht und den Artikel «Bewusstsein bei Tieren: Und sie empfinden doch» gebracht. Darin heißt es:
«Haben Tiere ein Bewusstsein? Eine internationale Koalition aus mehreren Dutzend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sieht zumindest eine „realistische Möglichkeit“ dafür – und hat die „New Yorker Erklärung zum Bewusstsein von Tieren“ unterzeichnet. Deren Ziel ist, mehr Forschung hierfür anzuregen und das Bewusstsein für Tierschutz zu stärken.
Die Verfasser der Erklärung konzentrieren sich in ihrem Verständnis von Bewusstsein auf Empfindungsvermögen. „Hier geht es um die Frage, welche Tiere subjektive Erfahrungen haben können“, schreiben sie. Dazu könnten sensorische Erlebnisse – etwa bei einer bestimmten Berührung oder beim Schmecken – gehören, oder auch Erfahrungen, die sich gut oder schlecht anfühlen, wie bei Freude, Schmerz und Angst.»
Als Beispiel werden Oktopusse erwähnt, die Schmerzen meiden und Schmerzlinderung schätzen würden. Zu diesem Ergebnis sei eine 2021 in iScience veröffentlichte Studie gelangt. Im Experiment dafür hätten die Kraken eine Kammer gemieden, in der sie eine Essigsäureinjektion bekommen hatten. Hätten die Tiere in dieser Kammer eine lokale Betäubung bekommen, hätten sie hingegen eine Vorliebe dafür entwickelt.
«Bei einer Ratte oder einem Menschen würden wir aus diesem Muster schließen, dass die Säureinjektion Schmerzen verursachte, die durch das Lidocain gelindert wurden, sodass wir bereit sein sollten, die gleichen Schlussfolgerungen für einen Oktopus zu ziehen», wie es auf der Seite der New Yorker Erklärung heisse.
Interessant in diesem Zusammenhang ist auch der Welt-Beitrag «Die erstaunlichen Parallelen zwischen Mensch und Oktopus».
Als weiteres Beispiel genannt werden Strumpfbandnattern, die sich in einer abgewandelten Form des Spiegeltests selbst zu erkennen scheinen. Die Welt:
«Die Idee hinter dem Anfang der 1970er Jahre entwickelten Spiegeltest ist, herauszufinden, ob das Testsubjekt über Selbstwahrnehmung verfügt. Dafür wird ihm eine Markierung an einer Stelle des Körpers angebracht, die es nur im Spiegel sehen kann, und dann das Verhalten beobachtet: Erkundet das Tier die markierte Stelle am Körper vor dem Spiegel oder versucht, sie abzureiben, gilt das als Beleg dafür, dass es sein Spiegelbild als sich selbst erkannt hat.»
Alles Gute – trotz allem!
Torsten Engelbrecht
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