Gelegentlich stolpern die Menschen über eine Wahrheit,
aber sie richten sich auf und gehen weiter,
als sei nichts geschehen.
Winston Churchill
Liebe Leserinnen und Leser
Es dürfen natürlich auch Frauen sein. Und weiss müssen sie auch nicht unbedingt sein. Aber dieser Newsletter ist ein Plädoyer gegen den Trend, immer jüngere Frauen und Männer in verantwortungsvolle Ämter zu wählen.
Betrachten wir zuerst Sanna Marin. Sie war von 2019 bis 2023 die jüngste Ministerpräsidentin Finnlands. 38-jährig trat sie zurück und gab überraschend auch ihr Parlamentsmandat ab. Warum dieser frühe Rückzug aus der Politik? Das sah man sehr schnell: Seit kurzem arbeitet die Sozialdemokratin als Beraterin für das Institute for Global Change des früheren britischen Premierministers Tony Blair.
Oder Alain Berset: Bis Ende 2023 war Bundesrat Alain Berset Vorsteher des wichtigen Departements des Innern und damit auch für die Gesundheitspolitik der Schweiz verantwortlich. Der Freiburger trat Ende 2023, nach elf Jahren in der Landesregierung, zurück. Man weiss noch nicht, was er beruflich machen wird. Aber er wird sich kaum aus dem öffentlichen Leben zurückziehen und nur seine Memoiren schreiben.
Über Jahrzehnte war es in der Schweiz so: Mitglied des Bundesrats, also der Bundesregierung, wurde man am Ende der Karriere. Mit dem Rücktritt zog man sich aus dem öffentlichen Leben zurück und trug Sorge dafür, den Nachfolgerinnen und Nachfolgern nicht in die Parade zu fahren. Zur Politik äusserte man sich kaum mehr.
Das gibt es immer noch, es ist aber nicht mehr die Regel. Der Druck, immer jüngere Politiker in das Siebnergremium zu wählen, führt dazu, dass diese Politiker ihre Karriere nach ihrem Bundesratsmandat fortführen.
Den Anfang machte Ruth Metzler: 34-jährig in den Bundesrat gewählt und vier Jahre später abgewählt, schlug sie eine Karriere in der Wirtschaft ein. Weitere vier Jahre später erwischte es den Übervater der Schweizerischen Volkspartei (SVP), Christoph Blocher. Er setzte sich auch nicht aufs Altenteil. Ebenfalls jung in den Bundesrat gewählt, scheint auch Adolf Ogi nach seinem Rücktritt Ambitionen gehabt zu haben, die sich aber nicht wirklich erfüllten.
Aus diesen Gründen ist zu erwarten, dass man von Alain Berset, der während der Coronazeit die Gesundheitspolitik der Schweiz mit harter Hand, Notrecht und Übertragung von Kompetenzen vom Parlament zur Exekutive gestaltete, noch hören wird. Es würde überraschen, hätte er die nächsten Schritte nicht schon geplant. So wie Sanna Marin, die wohl schon bei ihrem Rücktritt wusste, wie es mit ihrer Karriere weitergeht – von Helsinki nach London.
Ein historisches Beispiel: Bundesrat Ulrich Ochsenbein, perfekt zweisprachig, war Jurist, Anwalt und Offizier. 1854 wurde er erst 43-jährig aus dem Schweizer Bundesrat abgewählt. Da er den französischen Kaiser Napoleon III gut kannte, wurde er nach seinem Ausscheiden aus dem Amt General in französischen Diensten (Kriegsdienst in fremden Armeen war damals in der Schweiz noch erlaubt). Seine Truppe war für den Einsatz im Krimkrieg vorgesehen, wurde dann aber dort nicht eingesetzt. Zurück in der Schweiz scheiterte der Wiedereinstieg in die Politik.
Hingegen: Das beste Beispiel eines alten, weissen Mannes, der, mutmasslich am Ende seiner Karriere die Last seines Landes auf seine Schultern nahm, war Winston Churchill. Er war seit der Jahrhundertwende mehrmals Kabinettsminister. In den 1930er Jahren schien seine Karriere beendet. Er war, wie das Eingangszitat zeigt, zu oft auf Wahrheiten gestossen und nicht einfach daran vorbeigegangen. Er war längere Zeit einfacher Unterhausabgeordneter und betätigte sich als Schriftsteller.
Erst bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erhielt der unermüdliche Warner vor der aggressiven Politik Deutschlands wieder einen Posten im Kabinett. 1940, Grossbritannien kämpfte allein, wurde der bereits 65-jährige Premierminister. Der Rest der Geschichte ist bekannt.
Diese Beispiele zeigen: Wer seine Karriere planen will oder muss, ist weniger unabhängig als jemand, der am Ende seiner Laufbahn steht. Das gilt nicht nur in der Politik, sondern auch in Wissenschaft und Kultur.
Gerade in der Coronazeit waren die Mutigsten oft Menschen am Ende ihrer Karriere. Dies hat wohl nicht nur mit ihrer grossen Lebenserfahrung zu tun, sondern auch mit ihrer notgedrungen grösseren Unabhängigkeit.
Dies alles sollten wir bedenken, wenn wir wählen.
Bitte bleiben Sie, geneigte Leserin, geneigter Leser, Transition News auch im Jahr 2024 gewogen!
Daniel Funk
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