Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg,
bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind,
besonders die, die nicht hingehen müssen.
Erich Maria Remarque
Liebe Leserinnen und Leser
Die guten Steuermänner lernt man erst im Sturm kennen. Eine Binsenweisheit. Gewiss. Sicher ist aber auch: Gegenwärtig braucht es sie mehr denn je, die guten Steuermänner.
Denn die Welt ist aus den Fugen geraten. Frankreich brennt. Deutschland schafft gerade seinen Wohlstand ab, wirkt orientierungslos. In Osteuropa wird weiter munter aufgerüstet. Die Ukraine versinkt im Krieg.
Russland bleibt unberechenbar. Und die politische Schweiz? Sie hat den Kompass komplett aus den Augen verloren. Sie ist gerade dabei, den wichtigsten aussenpolitischen Pfeiler über Bord zu werfen: die Neutralität.
Das Wahnsinnige daran? Die Spitzen in Politik und Wirtschaft merken dies offenbar gar nicht mehr. Noch immer reden sie ständig von der Neutralität – ob Thierry Burkart, der Präsident der FDP, oder der Schweizer Bundesrat. Alle glauben sie, noch immer neutral zu sein – trotz Wirtschaftssanktionen, Selenski-Rede im Parlament und Nato-Annäherung.
Die Kluft zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung könnte nicht grösser sein. Jüngstes Beispiel hierfür: die «Friedensgespräche» in Kopenhagen. Die Schweiz? Glänzt durch Abwesenheit. Eine Einladung für die Alpenrepublik? No Way. Aber nicht vergessen: Wir sind «neutral».
Stattdessen wählte die Ukraine Dänemark aus. In der dänischen Hauptstadt trafen sich letztes Wochenende Vertreter von rund 15 Staaten, um die Organisation einer möglichst baldigen Friedenskonferenz zu beraten.
Darunter Teilnehmer aus der EU, den USA, Kanada, Deutschland, Frankreich, Italien und Grossbritannien – inklusive neutraler Staaten wie Brasilien, Indien und Südafrika.
Für die Geldeliten in Russland ist die Schweiz zwar wirtschaftlich noch immer lukrativ. Politisch ist der Kleinstaat im Herzen Europas für Putins Machtapparat bedeutungslos geworden. Russland betrachtet die Alpenrepublik als «Feind-Staat». Friedensgipfel in der Schweiz sind chancenlos. Als Mekka für Diplomatie und Mediation hat die Schweiz maximal an Bedeutung verloren.
Sowohl für die Ukraine wie auch für Russland ist klar: Die Schweiz ist Kriegspartei. «Die Schweiz hat leider ihren Status als neutraler Staat verloren. Sie kann nicht mehr als Vermittlerin oder Interessenvertreterin auftreten», sagte Sergueï Garmonine heute gegenüber Le Temps. Garmonine ist russischer Botschafter in Bern. Eine schweizerische Mediation kommt für ihn nicht in Frage.
Ehrlicher wäre es für die Schweiz, sich dies selbst einzugestehen: Wer sich selbst anlügt und sich etwas vorgaukelt, den nimmt niemand ernst. Mitverantwortlich an vorderster Front für diese verzerrte Wahrnehmung sind die grossen Medien.
Seit 2022 schreiben sie unaufhörlich, dass die bisherige Neutralität ausgedient habe. Gleichzeitig bilden sie sich noch immer ein, neutral zu bleiben. Dabei ignorieren sie gekonnt, dass die Schweiz auf dem diplomatischen Parkett nicht mehr gefragt ist. Bezeichnend ist: Die Schweizer Abwesenheit in Kopenhagen ist grossen Deutschschweizer Medien bisher kaum eine Schlagzeile wert.
Aber immerhin: Innerhalb der Bevölkerung macht sich Unmut breit. Viele Bürger möchten nicht, dass die Schweiz Partei ergreift. Das müssen auch Polit-Establishment und Medien zur Kenntnis nehmen.
Das Gute ist: Die Neutralitäts-Debatte kommt mehr und mehr in die Gänge. Der Ukraine-Krieg zwingt die Schweiz, sich zu positionieren und ehrlich zu sein.
Herzliche Grüsse
Rafael Lutz
[email protected]
***********************
Hinweise:
Unterstützen Sie uns mit einem individuellen Betrag oder einem Spenden-Abo. Damit leisten Sie einen wichtigen Beitrag zu unserer journalistischen Unabhängigkeit. Wir existieren als Medium nur dank Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Vielen Dank!

***********************

Hier finden Sie unsere neuen Podcasts.
***********************

Die TTV-News vom 23. Juni 2023 mit folgenden Themen:
???? Kurznachrichten (01:27)
???? Zum Rücktritt von Alain Berset (02:35)
???? Satire: Berset feiert Geburtstag im Home-Office (06:17)
???? Dritte Abstimmungsniederlage: Ist die Bürgerrechtsbewegung lernfähig? (22:11)
???? Wirtschaftsforum St. Petersburg (24:04)
???? Una-Bomber Ted Kaczynski, ein frühes Opfer der CIA und Technologie-Kritiker, ist tot (28:43)
???? Was wir von der Raupe lernen können (34:23)
Redaktion und Moderation: Christoph Pfluger
Sie finden uns auf folgenden Kanälen und Plattformen:
Telegram│Rumble│Instagram│Facebook│YouTube
***********************