Die Öffentlichkeit hat eine unersättliche Neugier,
alles zu wissen, nur nicht das Wissenswerte.
Oscar Wilde
Liebe Leserinnen und Leser
Am 3. Mai wird mit dem Internationalen Tag der Pressefreiheit jährlich auf Verletzungen derselbigen hingewiesen und die grundsätzliche Wichtigkeit einer freien Berichterstattung für demokratische Gesellschaften hervorgehoben. So auch gestern.
Schön und gut. Aber was heisst frei? Sind angestellte Journalisten frei? Dürfen sie sich erlauben, zu schreiben, was ist? Unabhängig von Zeitungseigentümern und Inserenten? Unabhängig von politischer Korrektheit? Sind Journalisten frei von ihren eigenen blinden Flecken? Sind sie immun gegen reproduktive Propaganda? Sind sie frei von der «Schere im Kopf»? Frei von Konformitätsdruck?
Gewiss sind Journalisten in formellen Demokratien zumindest nicht direkt mit dem Leben bedroht wie in vielen Ländern der Welt (ausführliche Analysen dazu hat «Reporter ohne Grenzen» am 3. Mai publiziert). Aber reicht das, um ernsthaft davon sprechen zu können, es existiere eine Pressefreiheit, die dem Namen gerecht wird, wenn dabei viele relevante strukturelle Bedingungen ausgeblendet werden?
Es kommt darauf an, wo man den Massstab ansetzt, wie man «Pressefreiheit» definiert. Je nachdem kollidiert dann das begriffliche Verständnis mit der Realität. Gab es zum Beispiel während Corona nicht eine frappante Uniformität in der Berichterstattung mit Regierungen, die das gefördert haben? Gerade auch in Ländern mit hohen Platzierungen auf dem Index der Pressefreiheit?
Für jemanden in China ist Pressefreiheit vermutlich gegeben, wenn es bedeutet, nicht zu «verschwinden», wenn man den Staatspräsidenten kritisiert. Dieses Niveau ist für formelle Demokratien deutlich zu tief. Da muss man die Ansprüche höher ansetzen. Man «verschwindet» zwar nicht, verliert dafür aber vielleicht seinen Job. Man stirbt den sozialen Tod. Ist das Pressefreiheit?
Zum Verständnis der Pressefreiheit gibt es auch in westlichen Ländern ausreichend Fragen. Zum Beispiel in Deutschland: Eine den Grünen nahestehende Denkfabrik finanziert mit Steuergeld Projekte, um kritische Medien zu diffamieren. Es dominiert Doppelmoral und Klientelismus. Es werden wohlklingende Bundesprogramme (z.B. «Demokratie leben») aufgelegt, damit diejenigen Akteure offiziell für bekloppt erklärt werden, die sich um Meinungsvielfalt bemühen.
Pressefreiheit ist vor allem ein schönes Wort für politische Sonntagsreden. Wenn es ans Eingemachte geht, ist sie auch im Westen schnell Schall und Rauch. Folgendes Beispiel kann das unterstreichen: Just am 3. Mai wollte eine Sprecherin des Weissen Hauses nicht über Julian Assange reden.
Assange hat US-Kriegsverbrechen aufgedeckt, sitzt deswegen in England im Hochsicherheitsgefängnis und soll an die USA ausgeliefert werden. Laut Index der Pressefreiheit ist die USA eines der «freisten» Länder (lesen Sie dazu hier Auszüge aus einem Interview mit seiner Frau und Anwältin Stella).
Die Sprecherin suchte sichtlich nach Ausreden. Pressefreiheit sei wichtig für die Demokratie, sofern man Demokratie wolle, aber sie möchte jetzt doch bitte nichts zu Julian Assange sagen. Pressefreiheit ist wichtig, aber man möchte nicht kommentieren, weshalb man jemanden verhaften lässt, der dieses Recht ausübt. So sieht eine moralische Bankrotterklärung aus, oder einfach simple Machtpolitik. Man schafft Fakten. Das gilt auch für die meisten anderen «westlichen Werte».
Herzliche Grüsse
Armin Stalder
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