Wenn man Mitleid fühlt,
so fragt man nicht erst andere Leute,
ob man es fühlen soll.
Georg Christoph Lichtenberg
Liebe Leserinnen und Leser
Wissen Sie, was «Nudging» ist? Bestimmt wissen Sie das, wenn Sie uns schon länger lesen. Seit geraumer Zeit ist das Wort in aller Munde, gemeinhin im Sinne einer harmlosen respektive verharmlosenden Variante von Verhaltensmanipulation. Meistens geht es dabei um Marketing oder um «erwünschte» Verhaltensveränderungen. Natürlich ist die Frage immer: Erwünscht von wem und warum? Und wer soll sich wie ändern?
Der Begriff kommt aus den sogenannten Wirtschaftswissenschaften, genauer aus der «Verhaltensökonomik». Das ist eine Verbindung aus Wirtschaftswissenschaften, Sozialwissenschaften und Psychologie. Eine sehr dubiose Kombination. Aber das ist nur meine Meinung.
«Nudging» also, auf deutsch etwa «Anstupsen», hat mich allerdings schon auf die Palme gebracht, als ich das erste Mal davon gehört habe. Allein der Begriff ist entwürdigend, weil er im besten Falle verniedlichend ist, im schlimmsten Fall aber Menschen zu Tieren oder gar Objekten degradiert, deren Verhalten man mittels «Stupser» nach Belieben steuern kann.
Akademisch ausgedrückt: Es handelt sich dabei um «libertären Paternalismus». Das heisst: Der Staat, die Firma, der Chef, die «Experten», also alle, die alles immer besser wissen als Sie und ich, schubsen uns mehr oder weniger elegant in eine Richtung, die sie selbst für «gut» und richtig halten. Das ist wesentlich unauffälliger und zudem rechtlich schwammiger zu fassen als etwa ein gebrüllter Befehl, ein Aufforderungsschreiben oder eine von oben verhängte Pflicht zu irgendwas. Wobei wir in den letzten vier Jahren gesehen haben, dass irgendwann doch härteres Geschütz aufgefahren wird: «Pflicht», Sie wissen schon, da war doch was?!
Das Problem dabei ist: Es funktioniert tatsächlich. Jedenfalls bis zu einem gewissen Grad. Das haben wir, wie gesagt, die letzten vier Jahre in vivo beobachten dürfen und können es auch weiterhin beobachten. Und zwar bei nahezu jedem Thema, das in den Medien moralisierend hochgekocht wird. Es geht fast immer darum, sich so und so dazu zu verhalten.
Ein entscheidender Faktor des Nudging wurde nun in einem kürzlich erschienen Interview auf Apolut thematisiert. Im Text dazu heisst es zuspitzend:
«Das Hauptziel beim Nudging ist das Ausschalten beziehungsweise Minimieren der menschlichen Fähigkeit, sich in andere einzufühlen, Empathie zu empfinden. (...) Nudging ist die operative Entfernung von Mitgefühl und Menschlichkeit.»
Daran wird deutlich, dass es sich keineswegs nur um ein harmloses Tool für Marketing-Experten oder paternalistische höhere Angestellte handelt, sondern vielmehr um eine psychologische Kriegswaffe. Was aus Sicht des Nudging «gut» ist, muss also nicht aus einer mitfühlenden Sicht heraus gut sein. Mehr noch: Es kann aus empathischer Sicht gar nicht gut sein, da die Empathie, das Mitgefühl gerade ausgeschaltet wird. Oder es wird auf lediglich eine bestimmte Gruppe beschränkt. Genau das haben wir bei Corona gesehen und sehen es nun beim Ukraine-Konflikt und dem Krieg in Gaza: Mitgefühl, Empathie ist immer nur für eine bestimmte Gruppe «erlaubt». Für alle anderen muss es gleichsam ausgeschaltet werden.
Gänzlich immun ist niemand gegen derlei Manipulationen. Auch das ist keine gute Nachricht. Aber dennoch kann man sich immer bewusst fragen, warum man wann Mitgefühl empfindet. Und vor allem, wann und für wen nicht. In keinem Fall sollte ein Dritter, ein «Experte» oder Vorgesetzter darüber entscheiden dürfen, was Sie empfinden, und ob das gut oder richtig ist. Und auch nicht, welche Handlungen daraus folgen oder eben nicht folgen.
Herzliche Grüsse
Susanne Schmieden
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