Wir müssen uns auf einen Kampf
gegen erschreckende Hindernisse einstellen,
die sowohl von uns selbst
als auch von der Natur geschaffen wurden.
Und der erste Schritt besteht darin,
sich vom Massenwahn
des positiven Denkens zu erholen.
Barbara Ehrenreich
Liebe Leserinnen, liebe Leser
Wie alljährlich an Silvester beglückten uns die Regierungschefs auch diesmal mit ihren Neujahrsansprachen. Mit viel Pathos, Kalenderblatt-Weisheiten, Ermunterungen à la Positive-Thinking-Workshop und einer gehörigen Portion Hypokrisie fassten sie das vergangene Jahr zusammen und verkündeten ihre Wünsche für das neue. Konkrete und sinnvolle Lösungen für die enormen Herausforderungen unserer Zeit sucht man vergebens. Das überrascht nicht, wenn man bedenkt, dass diese Spitzenpolitiker ebendiese Probleme in grossem Masse selbst verursacht haben.
So beschwört der Schweizer Bundesrat Alain Berset die «Kultur des Dialogs», während er als Gesundheitsminister nicht nur den Dialog mit Kritikern der Corona-Massnahmen unterdrückt, sondern auch die Gesellschaft nach Impfstatus der Bürger gespalten hat. «Alain Tigrillo» zufolge haben uns die Krisen der letzten Jahre dennoch gelehrt, dass «wir zusammenhalten, wenn es darauf ankommt». Und selbstverständlich lobte er als Gesundheitsminister das Gesundheitswesen, obwohl es massgeblich von Privatinteressen beeinflusst wird, wie sich in der «Pandemie» definitiv herausgestellt hat.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz warb ebenfalls um Zusammenhalt und Zuversicht. Er fokussierte seine Rede auf den Krieg in der Ukraine und dessen Folgen für Deutschland. Putin führe mitten in Europa einen «imperialistischen Angriffskrieg». Abermals nennt dies Scholz eine Zeitenwende, als ob Russland solche Kriege erfunden hätte – wobei sich darüber streiten lässt, ob der Begriff für den Krieg in der Ukraine überhaupt zutrifft angesichts dessen Vorgeschichte.
Der Kanzler pries das neue Terminal für Flüssiggas in Wilhelmshaven an der Nordsee an. Schon in den kommenden Wochen und Monaten würden weitere solche Terminals in Betrieb gehen. Stolz erklärte er:
«Damit machen wir unser Land und Europa dauerhaft unabhängig von russischem Gas. Und zugleich kommen wir so durch diesen Winter.»
Das sei auch den gut gefüllten Gasspeichern und dem «gemeinsamen» Energiesparen der letzten Monate zu verdanken und bleibe auch in den kommenden Monaten wichtig. Dafür bedankte sich der Kanzler schon im Voraus. Was er den Bürgern allerdings vorenthielt: Das Flüssiggas ist wesentlich teurer als das Pipelinegas.
Selbst die NZZ stellt fest, dass es sich Scholz in seiner Neujahrsansprache zu einfach machte. Er habe «das Gute im Schlechten» gesucht und auf Optimismus gesetzt, doch sein Bild der Lage im Land gehe an der Realität vorbei.
Auch der ukrainische Präsident lobte derweil sein Land in höchsten Tönen und beteuerte: «Ukrainer, ihr seid unglaublich! Seht, was wir getan haben und was wir tun!». Im üblichen martialischen Outfit hielt es Wolodimir Selenski für unmöglich, zu vergessen, was Russland getan hat. Vergeben könne er ebenfalls nicht.
Vielleicht das Wichtigste in seiner Rede: Erstmals räumte er die ukrainische Verantwortung bei der Explosion auf der Krim-Brücke im Oktober ein. Er stellte sie in eine Liste von Erfolgen des ukrainischen Militärs. Bislang hatte sich die Ukraine nicht zu dem Anschlag bekannt, wie die New York Times feststellt.
Über Verhandlungen mit Russland sprach Selenski nicht. Auch nannte er keinen konkreten Zeitplan für ein Ende des Krieges. Nur das Ziel ist klar: Alle Gebiete zurückerobern, inklusive der Krim. Keine guten Aussichten für einen Frieden.
Der russische Präsident Wladimir Putin scheute nationalistischen Pathos ebenfalls nicht: «Die Verteidigung unseres Vaterlandes ist die heilige Pflicht, die wir unseren Vorfahren und Nachkommen schulden», sagte er den Russen. Er warf dem Westen Lügen und Aggression vor. Dieser versuche, den Konflikt in der Ukraine zu instrumentalisieren. Dem kann man allerdings nur schwer widersprechen.
In einem Fernseh-Auftritt mit seiner Frau überbrachte auch der US-Präsident die Botschaft des Optimismus. Joe Biden sei in seiner ganzen Karriere noch nie optimistischer gegenüber «Amerika» gewesen. Man sei durch so viele Schwierigkeiten gegangen wie zum Beispiel die «Pandemie», und das amerikanische Volk hätte zurückgeschlagen und sei aufgestanden. Nichts könne es unten halten. Ich vermute, er spielte damit nicht auf die Menschen an, die gegen totalitäre Corona-Massnahmen aufgestanden sind.
«Wir sind das einzigartigste Land auf der Welt, ein Produkt der Möglichkeiten. Das ist es, woran wir glauben», verkündetet der Achtzigjährige weiter. Auch hier schleicht sich ein leiser Verdacht ein: dass er sich dabei nicht auf die Möglichkeit bezieht, einen halben Kontinent zu erobern, dessen Ureinwohner zu dezimieren und die überlebenden in Konzentrationslager zu stecken; ebenso wenig auf die Möglichkeit, jedes beliebige Land in Grund und Boden zu bomben.
Nach soviel an maskulinen Plattitüden und Kriegsrhetorik rettete First Lady Jill Biden den letzten Tag des Jahres, indem sie die Bürger mahnte, sich um ihre Gesundheit zu kümmern. Dumm nur, dass sie damit nicht etwa einen gesunden Lebensstil meinte, denn sie fügte hinzu:
«Lasst euch diese Covid-Impfung und eure Grippeimpfung geben.»
«Sleepy Joe» strahlte daraufhin plötzlich und riet mit erhobenem Zeigefinger, auf sie zu hören.
Das alles macht klar: Wenn wir wollen, dass es ein gutes Jahr wird, müssen wir selbst darauf hinarbeiten. Dabei eine positive Einstellung zu haben ist wichtig; doch wenn damit die Realität und Probleme verdrängt werden, ist sie kontraproduktiv.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen 2023 alles Beste!
Herzlich
Konstantin Demeter
[email protected]
***************
Hinweise:

Hier gibt’s mehr Infos rund um das Jahrbuch 2022 von Transition Media.
Bestellung in CHF hier, und in EUR hier.
***************
Sie können mit einer finanziellen Zuwendung zu unserer journalistischen Unabhängigkeit beitragen. Wir existieren als Medium nur dank Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Vielen Dank für Ihre Unterstützung.

Unser Speziallangebot haben wir nochmals um einen Monat verlängert: Beim Abschluss eines Spenden-Abos bis zum 31. Januar 2022 erhalten Sie unser Jahrbuch 2022 als Geschenk.
***************
