Die Selbstgerechten,
das sind wohl die grössten Räuber der Tugend!
Konfuzius
Liebe Leserinnen und Leser
Falls Sie es noch nicht wussten: Wir sind die Guten. Das ist eine ernorm beruhigende Tatsache. Denn mit diesem Hintergrundwissen lebt es sich unbeschwerter. Es entbindet uns auch weitgehend vom Denken und erleichtert das Argumentieren in jeder diskussionsähnlichen Situation.
Bleibt allerdings die Frage, wer «wir» ist. Oder andersrum, wer eben nicht zu «uns» gehört. Aber auch dies ist gar nicht so schwer zu beantworten. Vorwiegend sind alle aussen vor, die eine falsche Meinung haben oder in einem falschen Land leben. Manchmal klärt sich dies jedoch nur durch eine Kombination beider Kriterien.
Die falsche Meinung im richtigen Land disqualifiziert Sie direkt. Dagegen schliesst Sie dieselbe Einstellung im falschen Land in den Kreis der Guten ein. Ist doch ganz einfach, oder? Und zur Klärung der Frage, was jeweils falsch ist, gibt es ja die staatlich geprüften Faktenchecker.
Eine Demonstation der Anwendung dieser Logik bekommen wir immer wieder mal, wenn es um den Telegram-Messenger geht. Die Tagesschau ist auf dem Gebiet recht aktiv. Man könnte sie geradezu als Expertin bezeichnen.
So würdigte das Medium gestern den zehnten Geburtstag von Telegram durch einen Beitrag mit dem Titel «Messengerdienst mit zweifelhaftem Ruf». In Russland sei der Dienst schon immer populär gewesen und habe sich schnell zu einer «Erfolgsgeschichte» entwickelt. Seit dem «Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine» sei Telegram weiter gewachsen und zu einer «intensiv genutzten Informationsquelle» geworden, die auch Oppositionelle nutzten.
Folgen wir dem im Beitrag eingebauten Verweis auf einen früheren Artikel der Tagesschau, so lernen wir noch mehr über «die App der Opposition»: In Belarus sei sie ein Massenmedium und ein wichtiges Instrument der Opposition. Im Kontext der dortigen Wahlen 2020 hätten sich Protestler nur auf Telegram untereinander verständigen und die Welt um Hilfe anrufen können. Dagegen seien freie Medien blockiert gewesen, Facebook und Twitter ebenso und das Staatsfernsehen habe die Proteste verschwiegen.
Wir sehen: Protest und Opposition sind gut. Ein Kommunikationswerkzeug ist wichtig. Zensur ist schlecht. In Russland und Belarus, wohlgemerkt. Oder auch in China. Nicht so jedoch in Deutschland.
In Deutschland stehe Telegram vor allem in der Kritik, weil die Plattform von «Demokratiefeinden aller Art» genutzt werde. Der Messenger-Dienst sei in der Vergangenheit nicht konsequent gegen die Verbreitung von «Hass» und «Hetze» im Netz vorgegangen. Die Tagesschau weiss darüber hinaus schon länger, dass die Zusammenarbeit mit den deutschen Strafverfolgern nicht funktioniere, weil Telegram nicht kooperiere. Das sei bei Facebook, Instagram, TikTok oder Twitter deutlich besser.
Inzwischen habe sich das Bundesamt für Verfassungsschutz der Frage gewidmet, wie sehr soziale Medien wie Telegram zur «Radikalisierung» von Menschen beitragen, und wie «extremistische Inhalte und Verschwörungsmythen» in die Gesellschaft hineingetragen würden.
Mit ungeschminkter Doppelmoral sowie einer unglaublichen Arroganz und Geschmeidigkeit macht man sich die Welt, wie sie einem gefällt. Was nicht ins eigene Schema passt, wird verbogen und bekämpft. Die Verbreitung des Grundgefühls «Wir sind die Guten» sei die wirkungsvollste Methode der Manipulation, sagt Albrecht Müller.
Unter dem Titel «Wir sind die Guten» wehren sich auch Mathias Bröckers und Paul Schreyer gegen die mediale Darstellung der «Wirklichkeit als Schwarzweissfilm mit eindeutiger Rollenverteilung in Gute und Böse». Ihr Buch über den historischen Hintergrund des Ukraine-Konflikts und den antirussischen Eskalationskurs erschien übrigens lange vor Beginn der aktuellen militärischen Auseinandersetzung.
Indes kehre bitte jeder vor seiner eigenen Tür. Die Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen, verhindere vor allem eines: Gerechtigkeit, warnte kürzlich Kerstin Chavent. Zuhören, Respekt, Toleranz und Empathie sind elementare Bausteine für ein gerechteres Miteinander. Vergessen wir das nicht.
Herzliche Grüsse
Andreas Rottmann
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