Von allen Welten,
die der Mensch erschaffen hat,
ist die der Bücher
die gewaltigste.
Heinrich Heine
Liebe Leserinnen und Leser
«Leute, lest!» – Das empfahl am Freitag in Leipzig eine Schauspielerin, die Hörbücher einspricht, jungen Nachwuchsjournalisten auf eine entsprechende Frage. Sie tat das im Pressezentrum der Leipziger Buchmesse und ich habe das gewissermassen nebenbei mitbekommen, so dass ich ihren Namen leider nicht weiss.
Aber ich stimme ihr uneingeschränkt zu, nicht nur, weil ich mich selbst gerade auf der Buchmesse befinde und das Ereignis von Mittwoch bis Sonntag natürlich der passende Anlass ist. Ja, Lesen bildet, erweitert den Horizont, eröffnet neue Perspektiven, vermittelt neue Erfahrungen – wenn auch nur im wahrsten Wortsinn vermittelt – und regt zum Denken an.
Das gilt vor allem, wenn ich Bücher, Texte, Gedichte und was auch immer gedruckt werden kann lese, die mir Sichten, Gedanken und Erfahrungen eröffnen, die ich aus verschiedenen Gründen bisher nicht wahrnahm oder kannte. Ein Ereignis wie die traditionelle Buchmesse ist ein hervorragender Ort, um gewissermassen mit neuen Büchern, die mir all das vermitteln können, Kontakt aufzunehmen.
Und so will die diesjährige Buchmesse in der sächsischen Metropole ein Ort der Literaturvielfalt sein, wie eine Pressemitteilung am Mittwoch verkündete. Doch in der Realität hapert es damit gewaltig, wie ich seit Donnerstag vor Ort sehe und erlebe.
Es gibt eine unfassbare Vielfalt der literarischen Angebote in Form, Genre und Themen – bis hin zur gleichzeitigen Manga-Comic-Convention in zwei Messehallen, die mindestens die Hälfte der bisher fast 90’000 Besucher in den ersten beiden Tagen anzog. Doch es gibt eine spürbare Einseitigkeit, die sich in den vielen Hunderten Veranstaltungen des Begleitprogramms «Leipzig liest» ebenso zeigt wie in den Buchregalen der Verlagsstände.
Da ist zum einen das offizielle Bekenntnis der deutschen Buchbranche zur «Demokratie», das sich in der Initiative «#DemokratieWählenJetzt» zur Buchmesse zeigt. Dazu hängen in den Messehallen an den Decken Transparente, die fordern «Demokratie wählen». O-Ton der entsprechenden Pressemitteilung:
«Vor dem Hintergrund zunehmender Angriffe auf demokratische Grundwerte wie die Menschenwürde, Freiheit und Toleranz und im Hinblick auf die Europawahl sowie drei Landtagswahlen in diesem Jahr möchten die Initiatoren ein starkes Signal von der Frühjahrsmesse der Buch- und Medienbranche aussenden.»
Dazu sollen sich Messebesucher an Stellwänden mit dem Motiv «Demokratie wählen. Jetzt.» an Fotowänden in drei Hallen fotografieren und die Bilder auf den Plattformen posten. Immer wenn ich an einer der Wände vorbeikam, war dort niemand zu sehen, der sich so fotografieren liess.
Die Einseitigkeit zeigt sich noch an anderen Details: Am Eingang zu den Messehallen wehen die Fahnen aller Länder, die in irgendeiner Form auf der Buchmesse vertreten sind. Neben der bundesdeutschen Flagge hängen aber nicht etwa die Fahnen der Niederlande und der belgischen Region Flandern, in diesem Jahr gemeinsames «Gastland» in Leipzig.
Neben dem Schwarz-Rot-Gold weht zuerst das Blau-Gelb der Ukraine und dann die Fahne Israels – wenn das mal kein klares Bekenntnis ist. Und es fehlt die Fahne Russlands, ebenso wie russische Verlage und Medien in diesem Jahr nicht vertreten sind.
Die Suche nach Büchern und Veranstaltungen zu Russland fördert entsprechend nur solche zu Tage, in denen dieses Land wegen des Krieges in der Ukraine kritisiert und verurteilt wird – bis hin zur Stigmatisierung des russischen Präsidenten Wladimir Putin als dem «absolut Bösen», wie ihn die ukrainischstämmige Kateryna Stetsevych von der Bundeszentrale für politische Bildung am Freitag bei einer Veranstaltung bezeichnete. Die deutsche Journalistin Sabine Adler erklärte am Abend desselben Tages bei der Vorstellung ihres neuen Buches, wie «unglaublich kriminell» Russland als Staat sei und wie gleichzeitig unterwürfig die russischen Menschen seien, weil sie nicht aufbegehren und Putins Macht nicht hinterfragen.
Die beiden Beispiele geben den Grundtenor wieder, wenn es auf der Buchmesse um Russland geht. Schon die Suche nach nüchterner Analyse zu dem Land ergibt nur Leerstellen, ebenso die nach Literatur, die nicht von Autoren stammt, die als «Dissidenten» gelten.
Ähnlich sieht es auch bei der Suche nach Verlagen oder Ständen aus, die mit Büchern und anderen Publikationen eine kritische Sicht auf die hiesigen Verhältnisse wiedergeben. Es gibt sie, so unter anderem vom österreichischen Verlag Promedia, von der Zeitschrift Hintergrund oder der Tageszeitung junge Welt. Aber solche sind nicht zu finden beim Blick auf die Stände und Präsentationen der grossen Verlage.
Dafür gibt es um so mehr Literatur der verschiedensten Art «gegen Rechts» und natürlich gegen den «Antisemitismus», der sich laut einem Buchtitel nun auch als «Israelphobie» aus der «Edition Tiamat» zeigt. Und in den Warnungen des Chefredakteurs der Zeitung Jüdische Allgemeine, Philipp Peymann Engel, nicht nur vor dem rechten und dem muslimischen «Antisemitismus», sondern auch dem, der von links komme.
Aber wie gesagt, das sind in der grossen formalen und thematischen Vielfalt dieser Buchmesse, die auch an allen vier Tagen nicht vollständig ermessbar ist, nur einzelne Punkte. Sie stehen aber für Grundtendenzen, die ich nicht erst in diesem Jahr beobachte.
Ich bin kein «Demokratie-Leugner», aber es machte mich stutzig, als ich in der Pressemitteilung zur Eröffnung der Buchmesse lesen musste, diese sei ein «Ort der Demokratie und Literaturvielfalt». Die Reihenfolge der beiden Begriffe irritierte mich, denn ohne Vielfalt gibt es keine Demokratie, zu der eben auch die anderen Sichten und Perspektiven gehören, der Widerspruch, ohne den es keine Entwicklung gibt.
Diese Einseitigkeit und der (selbstauferlegte) Bekenntniszwang, der sich in Leipzig zeigt, ist gefährlich. Ein Verleger sagte mir dazu, das seien Zeichen für einen heraufziehenden Krieg. Ihn erinnere das an die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als die Stimmung ähnlich war und selbst Thomas Mann eine «grosse Reinigung» für notwendig hielt.
Eine Buchmesse sollte zuerst ein Ort der Literaturvielfalt sein, weniger ein Ort der politischen Bekenntnisse. Nur ein Bekenntnis sollte voranstehen: «Leute, lest!». Das empfehle ich Ihnen zum Schluss auch mit Blick auf die neuen Beiträge bei Transition News.
Herzliche Grüsse aus Leipzig
Tilo Gräser
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