Zu glauben, dass man – als zionistischer, jüdischer unabhängiger Staat am Ende des 20. Jahrhunderts – ein anderes Volk über Generationen hinweg beherrschen kann, ohne dass dies irgendwelche Konsequenzen hat, ist lächerlich.
Ehud Barak
Liebe Leserinnen und Leser
Bin ich ein Antisemit? Das muss ich mich als Journalist derzeit zwangsläufig fragen. Ich schreibe nämlich oft über den israelisch-palästinensischen Krieg. Einige Leser haben nun Transition News verlassen, weil sie unsere Berichterstattung als «antisemitisch» empfinden.
Wir bedauern natürlich sehr, dass sich Leser von uns entfernen, besonders wenn es aus diesem Grund geschieht. Nicht nur, weil Leser verlorengehen: Es schmerzt auch, wenn man einen Vorwurf gegen sich als ungerechtfertigt empfindet, noch dazu einen so heiklen wie den des Antisemitismus. Dass eigentlich nicht nur die Juden, sondern auch die Araber Semiten sind, lassen wir an dieser Stelle mal beiseite.
Es ist ein Unterschied, ob der Vorwurf eine Waffe der «üblichen Verdächtigen» ist, um berechtigte Kritik an Israel zu verunglimpfen, oder ob er von Lesern kommt, die das tatsächlich so empfinden. So muss ich gegenüber Letzteren eine Kluft in der Wahrnehmung feststellen, die ich nicht überwinden kann.
Das weiss ich, weil ich mich regelmässig hinterfrage und auf die eingangs gestellte Frage mit Sicherheit antworten kann: Nein. Ich stehe dem Judentum genauso kritisch gegenüber wie allen anderen Religionen, und das hat ausserdem nichts mit meiner Kritik an Israel zu tun. Meine Haltung dazu: Jeder soll glauben, was er will – doch er soll das den anderen ebenfalls erlauben. Denn die Probleme entstehen mit der Intoleranz.
In meinem letzten Newsletter hatte ich kurz meinen fast anderthalbjährigen Aufenthalt In Israel und Palästina in den Jahren 1991 und 1992 thematisiert. Dieser ermöglichte mir einen persönlichen Einblick in die verzwickte Situation im «Gelobten Land».
Als ich dort ankam, war ich das, was man als pro-palästinensisch bezeichnen würde. Zuvor hatte ich in der Schweiz an Kundgebungen gegen das israelische Vorgehen in Palästina teilgenommen. Jassir Arafat, der 2004 verstorbene Vorsitzende der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), gehörte zu den wichtige Figuren meiner Jugend. Motivation war meine instinktive Abneigung gegen Unrecht, das meines Erachtens den Palästinensern angetan wurde und wird.
In dieser Hinsicht hat mein Leben im Heiligen Land meine Einstellung nicht fundamental verändert. Es hat jedoch zu einer differenzierteren Ansicht geführt. Zum einen habe ich gelernt, dass auch auf palästinensischer Seite nicht alles redlich ist. Zum anderen wurde mir durch meine Freundschaften auf beiden Seiten die grosse Bedeutung einer Heimat bewusst.
Damit meine ich: Neben allen politischen, geopolitischen und religiösen Faktoren, ist es das Normalste der Welt, dass man sich zuerst um seinen eigenen Umkreis sorgt, insbesondere wenn er bedroht ist: Familie, Bekanntschaften und Mitbürger. Und diejenigen, die in einem umstrittenen Land wie Israel geboren wurden, tragen keine Schuld daran, dass sich ihr Umfeld dort befindet – nicht einmal die Kinder radikaler Siedler im Westjordanland.
Nichtsdestotrotz lehnten die meisten meiner israelischen Bekannten die Politik ihrer Regierung gegenüber den Palästinensern ab, zumindest bis im Juli 1992 die Mitte-links-Koalition um den Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin an die Macht kam. Einige gingen sogar dagegen auf die Strasse. Trotzdem hatten fast alle ihren Militärdienst geleistet oder waren gerade dabei. Das hatte allerdings auch mit der Gefängnisstrafe zu tun, die droht, wenn man sich diesem entzieht.
Auf palästinensischer Seite sah es etwas anders aus: Dort habe ich die Zustimmung für die eigene Führung, die PLO, als grösser wahrgenommen. Damals war die erste Intifada im Gange und die 1987 gegründete Hamas war noch nicht sehr einflussreich.
Man kann es nämlich drehen und wenden wie man will, Tatsache bleibt: Die Palästinenser wurden 1917 bei der Balfour-Deklaration und 1947 beim UN-Teilungsplan für Palästina nicht nach ihrer Meinung zu einem Staat Israel gefragt. Die restlichen Araber lehnten den UN-Plan ab.
Es muss auch klar gesagt werden: Wenn man die Hamas eine Terrororganisation nennt, dann muss Israel angesichts seiner Gräueltaten mindestens als Terrorstaat bezeichnet werden. Und eine Demokratie, wie gerne behauptet wird, ist das Land schon gar nicht.
Ilan Pappé weist in seinem Buch «Ten Myths About Israel» auf den israelischen Geografen Oren Yiftachel von der Ben-Gurion-Universität hin, der Israel als Ethnokratie bezeichnete: «Ein Regime, das einen ethnisch gemischten Staat regiert, in dem eine ethnische Gruppe rechtlich und formal gegenüber allen anderen bevorzugt wird», erläuterte Pappé. Andere seien noch weiter gegangen und hätten Israel als «Apartheidsstaat» oder als «Siedlerkolonialstaat» definiert.
Die Transition News-Redaktion ist der Ansicht, weder antisemitisch noch antizionistisch oder tendenziös über den israelisch-palästinensischen Konflikt zu berichten. Wir beziehen uns regelmässig auf israelische und jüdische Publikationen wie Haaretz, die Jerusalem Post, Times of Israel oder Tablet, jedoch zum Beispiel auch auf Beiträge von Al Jazeera. Unser Ziel ist eine neutrale und unparteiische Berichterstattung, also das, was Journalismus grundsätzlich leisten sollte.
Manches ist allerdings eine Sache der Perspektive. Deshalb interessiert uns Ihre Meinung dazu, liebe Leserin und lieber Leser. Sie können uns diese an [email protected] mitteilen.
Herzlich
Konstantin Demeter
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- Wieviele zivile israelische Opfer gab es beim Angriff der Hamas am 7. Oktober tatsächlich? 9:44
- Was ist das strategische Ziel der Hamas? 11.42
- Befindet sich das militärische Hauptquartier der Hamas tatsächlich im Al Shifa-Spital? 13:49
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- Was sagt das Bundesamt für Gesundheit zu den geleakten Pfizer-Verträgen? 23:44
- Was ist los mit Mutter Erde? Vulkanausbrüche und Erdbeben häufen sich. 28:18
Redaktion und Moderation: Christoph Pfluger
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Intelligent – kann Maschine Mensch sein? Ausgabe 175 des Zeitpunkt
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