Diejenige Regierung ist die beste, die sich überflüssig macht.
Wilhelm von Humboldt
Liebe Leserinnen und Leser
Am Donnerstag habe ich über die parlamentarische Farce-Debatte geschrieben. Thema der ausserordentlichen Session war die nachträgliche Bewilligung des 109 Milliarden Franken schweren Kreditpakets der Regierung im Kontext der von ihr per Notrecht angeordneten Zwangsfusion der Banken UBS und Credit Suisse (CS).
Obwohl der Nationalrat seine Zustimmung verweigerte, gilt das Kreditpaket als rechtsverbindlich. So zumindest die Ansicht der Eidgenössischen Finanzverwaltung. Ganz anders sieht dies Andreas Kley, Professor für öffentliches Recht an der Universität Zürich. Er sagt:
«Der Bundesrat braucht die Zustimmung des Parlaments. Dieses hat rechtsverbindlich das letzte Wort – und nicht die Finanzdelegation, welche die Kredite vorläufig und dringlich genehmigt hat.»
So dürfe der Bundesrat den Vertrag mit der UBS über neun Milliarden Franken nicht unterschreiben. Und er müsste vom bereits unterzeichneten Vertrag über die 100 Milliarden Franken an Garantien von der Nationalbank gegenüber der UBS zurücktreten.
Kley ist ein profilierter Kritiker des Notrechts. Bereits bei der UBS-Rettung 2008 und während der Corona-Krise liess er kein gutes Haar an der Praxis der Behörden. Er hat auch ausführlich zu Zaccaria Giacometti (1893–1970) geforscht und publiziert.
Giacometti war ein Spross der bekannten Giacometti-Familie aus dem bündnerischen Bergell und als Rechtsprofessor ein vehementer Gegner des Vollmachten-Regimes des Bundesrats, mit dem sich dieser ab 1939 Befugnisse jenseits seines Kompetenzbereichs sicherte, und das weit über den Zweiten Weltkrieg hinaus.
Dem Bundesrat wurde gestattet, rechtsetzende Verordnungen ohne Gesetzes- und Verfassungsgrundlage zu erlassen. Erst 1952 wurden die letzten Vollmachtenerlasse durch die Bundesversammlung aufgehoben, nachdem eine direkte Volksinitiative Druck gemacht hatte.
Die Sanktionsmöglichkeiten des Parlaments gegenüber dem Bundesrat seien beschränkt, sagt Kley. Es könne ihn höchstens bei den nächsten Wahlen im Herbst abwählen.
Kley steht mit seiner Haltung nicht alleine da. Auch andere Rechtsprofessoren, wie Marcel Niggli (Universität Fribourg) oder Peter V. Kunz (Universität Bern), haben jüngst das Verhalten des Bundesrats bezüglich Rechtssicherheit (zum Beispiel bei Corona, Russland-Sanktionen, UBS-CS-Fusion) öffentlich kritisiert.
Ihre Beobachtungen stützen eine These des politischen Philosophen Giorgio Agamben: Der Ausnahmezustand wird immer mehr zum Paradigma des Regierens.
Herzliche Grüsse
Armin Stalder
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Hinweise:
Apropos Ausnahmezustand: Kinder und Jugendliche haben während der Coronakrise besonders unter Zwangsmassnahmen gelitten. Die «Kinderschutzinitiative» will dies in Zukunft verhindern und sammelt in mehreren Kantonen Unterschriften mit dem Ziel, das Volksschulgesetz anzupassen. Im Kanton Zürich läuft die Sammelfrist am 20. April ab, alle Informationen hier.
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