Es kommt nicht darauf an
was man ist
Moslem, Christ, Jude, Freigeist:
Ein Mensch
der ein Mensch ist
kann nicht schweigen
zudem was geschieht
Erich Fried in: Worauf es ankommt
Liebe Leserinnen und Leser
Der Mitteldeutsche Rundfunk hatte am Freitag ein Weihnachtskonzert für seine Zuschauer im Programm: Das Weihnachtskonzert der drei italienischen Tenöre Il Volo. Das war nicht eines von vielen Konzerten, sondern ein besonderes, weil es 2022 in der Jerusalemer Davidszitadelle aufgezeichnet wurde.
Da sangen die drei Tenöre Weihnachtslieder und erwärmten die Herzen derer, die ihnen zusahen und zuhörten. Die Lieder und die Stimmen rührten an, die Kulisse beeindruckte.
Ich hörte davon, auch von der Wirkung davon auf Menschen, die das Konzert sahen. Und dachte: Und nebenan – in Gaza, aber auch im Westjordanland – ist Krieg, werden Menschen verjagt und getötet, werden Wohnungen und Häuser zerstört, auf das dort nie wieder ein Mensch leben kann!
Auch wenn der gezeigte Auftritt der drei Tenöre aus dem Jahr 2022 stammt, erscheint es mir unpassend, ihn zum jetzigen Zeitpunkt zu senden. Ganz unabhängig von der christlichen Überheblichkeit, dort, wo Menschen vor allem jüdischen und islamischen Glaubens leben, nur die eigenen Lieder singen zu lassen.
Angebrachter erschien und erscheint es mir, dass deutsche TV-Sender ein Friedenskonzert zeigen, bei dem Sängerinnen und Sänger aus den drei Glaubensrichtungen gemeinsam auftreten. Doch dieser Weihnachtswunsch von mir wird nicht erfüllt, soweit ich weiss.
Vielleicht hat das auch mit der Nähe der deutschen Medien, ob öffentlich-rechtlich oder privat, zur deutschen Politik zu tun. Die weigert sich bis heute, einen Waffenstillstand im Vernichtungskrieg zu fordern, den Israel derzeit gegen die Palästinenser im Gaza-Streifen führt.
Nicht anders kann ich nennen, was dort geschieht: Wenn mit den Ereignissen vom 7. Oktober begründet wird, dass den Angaben nach bisher fast 20’000 Menschen, vorrangig Zivilisten und die meisten wohl Frauen und Kinder, sterben mussten. Dass 1,8 Millionen Menschen laut UNO von ihren Grundstücken und aus ihren Häusern und Wohnungen vertrieben wurden. Dass Kranke und Verletzte nicht mehr nach medizinischen Standards versorgt werden können. Dass Vertriebene und Überlebende hungern und verdursten müssen.
Die Siedlungen im Gazastreifen werden von der israelischen Armee unbewohnbar gemacht. Noch debattieren internationale Rechtsexperten, ob Absicht dahintersteckt und ob der «Domizid», die massive Zerstörung von Gebäuden, um das Gebiet unbewohnbar zu machen, ein Kriegsverbrechen oder schon ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt.
Wer das kritisiert und dagegen protestiert, muss eigentlich zuerst den Gessler-Hut «Schlimmstes Massaker der Hamas am 7. Oktober» grüssen. Ich verweigere diesen Gruss, nicht weil ich die Verbrechen an diesem Tag leugne, sondern weil diese keine Rechtfertigung sind für das, was die derzeitige israelische Regierung in Palästina anrichtet. Verbrechen müssen geahndet werden, aber nicht, in dem eine ganze Bevölkerung vertrieben wird – und wer nicht geht, wird erschossen oder von Bomben getötet.
Inzwischen rückte ein Musiker mit jüdischen Wurzeln meine Sicht in die Nähe des Antisemitismus und kündigte den Kontakt auf. Wir hatten uns durch die Proteste gegen die Corona-Politik kennengelernt. Nun trennen sich unsere Wege wieder – obwohl es die gleichen Kräfte sind, die Profiteure des Kapitalismus, die verantwortlich sind für den «Krieg gegen ein Virus» und für Kriege mit Waffen wie den Israels gegen die Palästinenser.
Abgesehen von der Frage nach dem absurden Vorwurf des Antisemitismus – auch die Palästinenser wie alle anderen arabischen Menschen sind Semiten – macht mich ein solches Erlebnis aber auch ehrlich gesagt ratlos. Wie schaffen es die Herrschenden und Mächtigen, die Profiteure von Krieg und Vertreibung, immer wieder, uns zu spalten, die wir sie kritisieren und in irgendeiner Form gegen sie kämpfen?
Für mich ist egal, woher ein Mensch kommt und erst recht, woran er glaubt. Entscheidend ist für mich, dass er ein Mensch ist und bleibt. Dass er andere nicht zu «Untermenschen» oder «menschlichen Tieren» erklärt und sie so behandelt.
Für mich gilt das, was der jüdische Dichter Erich Fried in seinem Gedicht «Worauf es ankommt» schrieb:
«Ein Mensch/der ein Mensch ist/kann nicht schweigen/zudem was geschieht».
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen ein besinnliches und friedvolles drittes Adventswochenende und grüsse Sie herzlich.
Tilo Gräser
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