In der internationalen Politik
geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte.
Es geht um die Interessen von Staaten.
Merken Sie sich das, egal,
was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.
Egon Bahr
Liebe Leserinnen und Leser
Wolodimir Selenski beherrscht die Schauspielerei. Der ukrainische Präsident ist für die Bühne gemacht. Ein Schauspieler, der sich in die Politik verirrt hat. «Manege frei für Selenski» hiess es dann gestern auch in Bern. Im Schweizer Bundeshaus hörten die Parlamentarier eifrig dem ukrainischen Präsidenten zu – ein grosser Fehler, wie ich finde.
Genauso wie Putin betreibt auch der ukrainische Präsident unaufhörlich Propaganda. Das ist Courant normal im Krieg. Das Bild, das er der Welt vermitteln will: «Russische Räuberbanden haben unprovoziert mein Land angriffen.» Mit der Realität hat das Ganze nur wenig zu tun. Gleichzeitig ist es natürlich Selenskis gutes Recht, der Welt die Position seines Landes klar zu machen. Weiterhin sucht er internationale Unterstützung für den Krieg.
Selenski ist das eine. Was die offizielle Schweiz macht, das andere. Die einseitige Parteinahme der Mehrheit der Schweizer Politiker ist erschreckend. Viele National- und Ständeräte himmeln Selenski geradezu an.
Seine Rede habe sie sehr berührt, sagte etwa SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer. «Sie gab einen Einblick, was es heisst, in einem Krieg zu leben.» Für Nationalrat Balthasar Glättli ging Selenskis Rede gar noch zu wenig weit. Er hatte sich offenbar erhofft, dass der ukrainische Präsident noch mehr Druck auf die Schweiz ausgeübt hätte. Zum Beispiel bei der Beschlagnahmung von russischen Oligarchengeldern.
Und Nationalratspräsident Martin Candinas (Die Mitte) sagte zu Selenski: «Die Werte, für die Sie Ihr Leben riskieren, sind auch unsere Werte.» Wie kommt es zu diesen beschönigenden Aussagen?
Die Selenski-Regierung ist nun wirklich nicht über jeden Verdacht erhaben. Der ehemalige Schauspieler trat einst an, um den Krieg gegen die russischsprechenden Bürger in der Ostukraine zu beenden.
Das sagte er 2019 noch im Rahmen seiner Präsidentschaftskampagne. Tatsächlich war es Selenski, der zuletzt den Krieg eskalieren liess. Und der im Inland ein repressives Regime anführt.
Von der Kontrolle der Medien, dem Ausschalten der Oppositionsparteien bis hin zum Einfluss, den rechtsradikale Bewegungen in der Ukraine ausüben: Es dürfte klar sein: Selenski bietet nun wirklich mehr als genügend Gründe zur Kritik.
Als Schweizer Bürger fragt man sich vor diesem Hintergrund: Von welchen Werten spricht Candinas eigentlich? Die Schweiz ist ein mehrsprachiges, polyglottes Land. Sind es tatsächlich Schweizer «Werte», sprachliche Minderheiten zu unterdrücken?
Schon Egon Bahr wusste: «Wenn ein Politiker anfängt über Werte zu schwadronieren, anstatt seine Interessen zu benennen, wird es höchste Zeit, den Raum zu verlassen.»
Besonders schlimm, aber auch nicht überraschend: Die grossen Medien bejubeln Selenski für seinen Auftritt. Der Tages-Anzeiger-Kommentator Mario Stäuble schrieb heute:
«In der kurzen Rede offenbarte sich die ganze Heuchelei der Schweizer Ukraine-Politik. Selenski hielt der Schweiz den Spiegel vor – allein durch seine virtuelle Präsenz.»
In den Augen von Stäuble kann die Schweiz gar nicht genug für die Ukraine tun. Der Tages-Anzeiger-Journalist fordert die Schweiz auf, einen härteren Kurs gegen russsische Oligarchen zu fahren. Und er empört sich über die SVP-Politiker, die der Rede von Selenski fernblieben und wiederholt Kritik geäussert hatten.
Mit Sicherheit kann man sagen: Die Schweiz läuft immer mehr Gefahr, ihre vermittelnde Rolle als neutraler Staat zu verspielen. Dabei ist diese gerade heute – in Zeiten des Aufrüstens – wichtiger denn je.
Eine Position, die auch Ulrike Guérot teilt, die bekannte deutsche Intellektuelle und Buchautorin. «Die Schweiz sollte die Neutralität verteidigen und das internationale Staatensystem zurück auf die Linie der UN-Charta führen. Das wäre mein Ratschlag», sagte Guérot diese Woche gegenüber Transition News – um Ihnen schon einmal einen kleinen Vorgeschmack auf das Interview zu geben, das noch dieses Wochenende online gehen wird.
Guérot hat recht. Es braucht dringend Staaten, die sich für Deeskalation und Frieden stark machen – Kriegstreiber gibt es schon genügend.
Was es auch braucht: Mehr unabhängige Medien. Denn leider gibt es auch in den grossen Verlagshäusern zu viele schreibende Kriegsgurgeln. Hier, liebe Leserinnen und Leser, versuchen wir von Transition News unseren Beitrag zu leisten als eine Stimme der Vernunft, des balancierten und pazifistischen Denkens.
Doch das ist gegenwärtig nicht immer einfach. Ich muss an dieser Stelle leider auch noch auf ein unbequemes Thema zu sprechen kommen. Mit Pazifismus verdient man kein Geld. Damit wir unserer Arbeit weiterhin nachgehen können, sind wir auf Spenden angewiesen.
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Herzliche Grüsse und ein wunderschönes Wochenende
Rafael Lutz
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Die TTV-News vom 15. Juni 2023 mit folgendem Thema:
????Was ist 100-Prozent-Politik?
Die 100-Prozent-Politik bezweckt Lösungen, die von allen getragen werden. Wie das erreicht wird, erklärt Denis Marcel Bitterli vom «Büro für neue Politik», das er im August 2020 gegründet hat.
Videobericht: Elia Saeed
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