Karriere ist etwas Herrliches,
aber man kann sich nicht
in einer kalten Nacht an ihr wärmen.
Marilyn Monroe
Liebe Leserinnen und Leser
Morgen findet in der Schweiz der Frauenstreik statt. Um die Frage, ob ich mich daran beteiligen soll, komme ich in diesem Jahr herum, da ich morgen ohnehin einen freien Tag habe. Diesen werde ich vermutlich dafür nutzen, im See zu baden, ein Buch zu lesen und zu tanzen.
Denn offen gestanden habe ich ein höchst ambivalentes Verhältnis zum Feminismus und damit auch zum Streik. Das liegt nicht etwa daran, dass ich glauben würde, der Feminismus habe bereits alles erreicht und heute stünden Frauen ja alle Möglichkeiten offen. Ähnliches ist zuweilen insbesondere von älteren Frauen zu hören.
Im Gegenteil: Ich denke, dass wir in höchst verlogenen Zeiten leben und – Achtung, steile These – Frauen (in der Schweiz und auch in Deutschland) heute wesentlich weniger Freiheit und Möglichkeiten haben, als, sagen wir, vor 30 Jahren. Denn die allermeisten haben gar nicht die Wahl, ob sie nur «Teilzeit» arbeiten (was oftmals gar nicht Teilzeit ist, sondern lediglich weniger Lohn und Absicherung bedeutet) oder etwa «nur» Mutter sein wollen.
Die wirtschaftlichen und sozialen Zwänge lassen den allermeisten heute weniger reale und qualitativ ernst zu nehmende Wahlmöglichkeiten, als gemeinhin behauptet wird. Zumal eine «gute Ausbildung» auch kein Garant für gar nichts mehr ist.
Allerdings trifft das ebenso auf die Männer zu. Bei aller Kritik an der heutigen «Linken», muss man doch eines feststellen: Mehrere Jahrzehnte Neoliberalismus, Marktradikalismus, Karrierismus und «Individualisierung» haben es geschafft, dass ein grosser Teil der heutigen Männer und Frauen mittleren Alters glaubt, der Gipfel der Emanzipation bestünde darin: Ohne eigene Familie sein, den grössten Teil der wachen Zeit für einen «Arbeitgeber» aufopfern und mit wenig Geld und viel Ideologie abgespeist werden.
Sicher, die Privilegierteren unter meinen Zeitgenossen werden immerhin mit reichlich Geld, «Benefits» und Konsummöglichkeiten abgespeist. Doch auch oder gerade da macht sich irgendwann die innere Leere breit.
Um es kurz zu machen: Ich teile durchaus die Anliegen, die im Frauenstreik adressiert werden: Höhere Renten und bessere soziale Absicherung von Frauen, Schutz vor Übergriffen jeglicher Art, mehr Anerkennung respektive Bezahlung bislang unentgeltlicher Arbeit etc.
Aber: Meine persönliche Erfahrung ist einerseits, dass es häufig bei blosser Symbolpolitk bleibt (auch ein neoliberales Phänomen, nebenbei gesagt). Andererseits habe ich immer wieder erlebt, dass gerade Frauen besonders gut darin sind, andere Frauen auszubeuten. Insbesondere in sehr ideologisch aufgeladenen Zusammenhängen, also gerade dort, wo nach aussen hin das gegenteilige Bild vermittelt wird: an Universitäten, beim Theater, in Kultureinrichtungen, in der sozialen Arbeit etc.
Mein persönliches Fazit lautet darum: Die Anliegen des Frauenstreiks sind zu begrüssen, sofern es sich dabei nicht um blosse Symbolpolitik handelt. Die gesellschaftlichen Verwerfungen liegen indes wesentlich tiefer und verlaufen keineswegs zwischen Männern und Frauen. (Keine Angst, ich werde jetzt nicht die Diskussion eröffnen, was eine Frau ist und ob es nicht vielleicht doch Dutzende Geschlechter gibt ...)
In diesem Sinne wäre es eher angebracht, einmal unser gesamtes Arbeitssystem und die damit psychisch tief verwurzelte Arbeitsideologie zu hinterfragen. Und gegebenenfalls einen gemeinsamen Generalstreik anzuzetteln. Und mehr zu leben als zu arbeiten.
Herzliche Grüsse
Susanne Schmieden
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Die TTV-News vom 2. Juni 2023 mit den Themen:
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Redaktion und Moderation: Christoph Pfluger
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