In diesen letzten Minuten war es,
als zöge Eichmann selbst das Fazit der langen Lektion
in Sachen menschlicher Verruchtheit,
der wir beigewohnt hatten –
das Fazit von der furchtbaren Banalität des Bösen,
vor der das Wort versagt und an der das Denken scheitert.
Hannah Arendt
Liebe Leserinnen und Leser
Während meines Studiums war ich eine regelrechte Cineastin. Dass Film eine anspruchsvolle Kunstform ist, war für mich als Literatur- und Philosophie-Studentin eine regelrechte Offenbarung. Und da mir diese zwei Studienrichtungen nicht genügten, habe ich zeitweise auch noch Filmwissenschaft studiert, jedoch ohne Abschluss.
In den letzten Jahren bin ich allerdings nur noch selten ins Kino gegangen. Stichwort Corona-Zeit. Aber auch schon davor und erst recht danach haben mich viele Filme einfach nicht mehr interessiert. Schon gar nicht die Oscar-Verleihung.
Nun jedoch wurde ein Film als «Bester internationaler Film» und für den besten Ton/Sound ausgezeichnet, den ich selbst erst vor einigen Tagen gesehen habe: «The Zone of Interest» von Jonathan Glazer. Der Film handelt vom Ehepaar Höss, also vom Kommandanten des Konzentrationslagers Auschwitz und von dessen Ehefrau, die mit ihren Kindern in einer Villa wohnen, die direkt an das Konzentrationslager grenzt. Bereits diese Beschreibung genügt, um sich vorzustellen, wie bizarr die Ausgangslage ist und wie schwierig die Darstellung.
Es wurde in den grossen Medien bereits im Vorfeld viel über den Film und dessen tatsächlich grossartige Hauptdarstellerin Sandra Hüller geschrieben und berichtet. Auch Interviews mit dem Regisseur und den Hauptdarstellern gibt es einige. Der Film basiert lose auf dem gleichnamigen Roman von Martin Amis.
Der Begriff «Interessengebiet» («Zone of Interest») bezieht sich dabei auf einen tatsächlich gebrauchten Terminus der Nationalsozialisten, die unter anderem Auschwitz zynisch-euphemistisch als «Interessengebiet» bezeichneten. Das Wort «Interesse», scheinbar harmlos und auch heute inflationär verwendet, hat indessen eine interessante Etymologie:
«Interesse n., (...) Entlehnung von mlat. interesse ‹aus Ersatzpflicht entstandener Schaden›, auch ‹Zinsen› (13. Jh.), einem Wort der Rechtssprache, Substantivierung des Infinitivs lat. interesse ‹dazwischen sein, verschieden sein, gegenwärtig sein, Anteil nehmen› (vgl. lat. esse ‹sein›). Aus dem rechtssprachlichen Gebrauch entwickelt sich im 16. Jh. die Verwendung des Ausdrucks sowohl für ‹Zinsen› (aus der Position des Ersatzpflichtigen, der zu bezahlen hat) als auch für ‹Nutzen, Vorteil, Gewinn› (aus der Position des Gläubigers, an den Ersatz gezahlt wird). Daran schliessen sich spätere Bedeutungen (17. Jh.) an wie ‹Gewinnsucht, Eigennutz, persönliche Belange›, (...).»
«Inter-esse», wörtlich also «dazwischen sein», bedeutet ursprünglich und zunächst einmal somit das Gegenteil dessen, was sich im Film zeigt: «gegenwärtig sein, Anteil nehmen». Was der Film tatsächlich und emotional fast unerträglich virtuos vorführt, ist die völlige Abstumpfung und gerade das Nicht-Anteil-Nehmen an dem, was unmittelbar neben dem eigenen «Interessengebiet» geschieht. Und wofür man selbst sogar der Verursacher ist.
Gleichzeitig zeigt sich darin auch die bekanntere Bedeutung von «Nutzen, Vorteil, Gewinn». Skrupellos, ohne Rücksicht auf die Interessen oder gar das Leben anderer, ja sogar ohne jegliche emotionale Beteiligung werden die eigenen Interessen verfolgt. Ausserhalb des eigenen «Interessengebietes» existiert buchstäblich nichts Anerkennungswürdiges.
Ohne Zweifel ist den Beteiligten des Films Hannah Arendts Formel von der «Banalität des Bösen» bekannt. Der Film ist geradezu die Entfaltung dieser viel diskutierten These Arendts, die wiederum auf deren Beobachtungen beim Prozess gegen Adolf Eichmann beruht.
Dabei gelingt es dem Film, konsequent zwischen der Ebene der Darstellung und der Ebene des Dargestellten zu unterscheiden: Eine gelungene Darstellung der «Banalität des Bösen» ist selbst eben weder banal noch böse. Und schon gar nicht «gefährlich». Dies scheinen einige Kritiker allerdings nicht begriffen zu haben.
Gefährlich wäre es vielmehr, den alten Mythos aufrechtzuerhalten, dass die Bösewichte der Geschichte ausnahmslos Monster und völlig anders als «wir» waren. Das Gegenteil ist der Fall: Das «Normale», das Biedere, das dem Zeitgeist entsprechend politisch Korrekte ist nicht selten der Motor der schlimmsten Grausamkeiten. Für diese These von der «Banalität des Bösen» wurde bereits Hannah Arendt vielfach kritisiert und angefeindet. Das ändert jedoch nichts an deren Wahrheitsgehalt.
Aber wie immer: Gehen Sie mal wieder ins Kino und machen Sie sich Ihr eigenes Bild. Der Film ist in jedem Fall sehenswert.
Herzliche Grüsse
Susanne Schmieden
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