Auch die Pause gehört zur Musik.
Stefan Zweig
Liebe Leserinnen und Leser
Langsam, aber sicher beginnt in der Schweiz die Ferienzeit. Und hier heissen nicht nur die Schul- oder Semesterferien «Ferien». Auch das, was in Deutschland als «Urlaub» bezeichnet wird, heisst hier «Ferien». Man «fährt» also nicht «in Urlaub», sondern man «geht in die Ferien». Daran kann ich mich bis heute nicht gewöhnen. Es wirkt auf mich immer noch so, als bestünde das ganze Land aus Schulkindern. Oder aus Studenten, die ständig Ferien haben. (Um ein Klischee zu bedienen.)
Dabei ist mir das Konzept «Ferien» respektive «Urlaub» seit jeher suspekt. Nicht etwa, weil ich nicht gerne reisen würde oder einem militant protestantischen Arbeitsethos anhängen würde. Im Gegenteil. Aber die Tatsache, dass der Urlaub bereits etymologisch eine «Erlaubnis» von oben ist, für eine gewisse Zeit nicht zu arbeiten, erinnert mich nun mal an den Feudalismus. Und es stellt sich die Frage, ob sich unsere Arbeitswelt jemals von derlei Vorstellungen entfernt hat. (Meine Antwort: Nein, natürlich nicht.)
Die Fixierung auf Ferien und teure Urlaubsreisen ist Teil eines Systems, in dem sich die Menschen selbst zur Verfügungsmasse, zum «Humankapital» degradieren (lassen). Dieses darf sich gnädigerweise natürlich auch mal ein bisschen erholen. Aber bitte nur so viel und so lange, dass es dann wieder reibungslos im Hamsterrad funktioniert.
In der Corona-Zeit hat man gesehen, wie wichtig den meisten Menschen offenbar dieses fragwürdige Konzept ist: Nicht wenige haben sich eine, zwei, drei oder wer weiss wie viele Spritzen geben lassen, «um wieder in die Ferien fahren zu können». Das habe ich zig mal gehört und es hat mich fast noch mehr erschreckt als die Leute im Panikmodus. Es macht mich noch immer fassungslos.
Und es scheint das Konzept «Ferien» auch umso wichtiger zu werden, je weniger es selbstverständlich ist. Denn es ist keineswegs so, dass vier Wochen Ferien im Jahr die Regel sind. Es gibt etliche Arbeits- und Lebensverhältnisse, in denen Sie de facto so gut wie keine «Ferien» haben, schon gar nicht bezahlt. Stichworte: Landwirtschaft, Selbstständige, Pflege von Angehörigen, Alleinerziehende, prekäre Arbeitsverhältnisse, befristete Verträge, mehrere Teilzeit-Jobs etc.
Das geht in den – Verzeihung – wohlstandsverwahrlosten gesellschaftlichen Blasen auch gerne mal vergessen. Auch was das angeht, leben wir also mindestens in einer Zwei-Klassen-Gesellschaft.
Und selbst wenn Sie zum bessergestellten, sprich «ferien-fähigen» Teil der Gesellschaft gehören: Der Stress, den diese Zeit oftmals verursacht, ist zum Teil ebenso hoch wie der durch Arbeit verursachte. Von tatsächlicher Erholung kann da keine Rede sein. Mir das anzutun, hatte ich eigentlich noch nie grosse Lust.
Die echte Kunst der Pause ist ohnehin etwas ganz anderes. Lernen kann man das zum Beispiel durch Meditation, in der Musik, im Sport. Oder im Tango.
In diesem Sinne: Machen Sie öfter mal eine Pause, aber besser nicht zu viel Ferien. Für die Pausen brauchen Sie weder Urlaub noch eine Erlaubnis. Aber vielleicht ein bisschen Musik.
Herzliche Grüsse
Susanne Schmieden
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Redaktion und Moderation: Christoph Pfluger
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