Neutralität ist die ehrenwerte Kunst,
sich zwischen allen Stühlen als Tisch zu behaupten.
Justus Vogt
Liebe Leserinnen und Leser
Ende letzter Woche fand in der Schweiz eine sehr wichtige Personalentscheidung in der Politik statt. Es geht dabei um vieles, im Extremfall sogar um alles: die Existenz der Schweiz. Der Knackpunkt ist die Schweizer Neutralität. Es steht der Verdacht im Raum, dass es sich bei dem Entscheid um eine Täuschung handelt.
Doch von vorne: Aufgrund des Ukraine-Kriegs und der angeblichen Bedrohung aus Osten durch Iwan dem Schrecklichen hatte der Bundesrat im April beschlossen, im Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) ein neues Staatssekretariat zu schaffen. Dessen Aufgabe: Eine gesamtheitliche Sicherheitspolitik erarbeiten und koordinieren.
Der Wahl des Chefs des neuen Sekretariats sei «ein längeres parteipolitisches Hick-Hack» vorausgegangen, berichtete SRF am Freitag in der «Tagesschau». Der Bundesrat hatte dafür eine fünfköpfige Findungskommission ernannt. Diese hat sich nun für Jean-Daniel Ruch entschieden, ehemaliger Berater von UNO-Chefanklägerin Carla Del Ponte und gegenwärtiger Schweizer Botschafter in der Türkei. Ab 2024 soll er sein Amt ausführen.
Gemäss der Verteidigungsministerin Viola Amherd ist Ruch ein «profunder Kenner der schweizerischen Sicherheitspolitik». Das neue Sekretariat wird laut SRF rund hundert Mitarbeiter haben.
An der Pressekonferenz letzten Freitag betonte Ruch mehrmals, wie wichtig die Neutralität sei. SRF zufolge grenzte er sich damit bewusst von der bisherigen Chefin für Sicherheitspolitik Pälvi Pulli ab, die sich ebenfalls für das neue Amt beworben hatte (was laut der Basler Zeitung allerdings offiziell vom VBS weder bestätigt noch dementiert werde). Die Politikerin mit finnischem Pass will nämlich die Kooperation mit der NATO ausbauen.
Dass Pulli «abblitzte», wie die BaZ schrieb, ist unter anderem dem SVP-Nationalrat und Präsidenten der Sicherheitspolitischen Kommission Mauro Tuena zu verdanken. Gegenüber SRF hob er die Bewahrung der Neutralität hervor. Der Chef des neuen Sekretariats müsse im Ausland entsprechend auftreten, so Tuena. Mit Pulli wäre das sicherlich nicht der Fall gewesen. Man wisse, dass sie sehr «NATO-affin» sei. Die FDP, die Partei von Verteidigungsministerin Viola Amherd, sei ebenfalls gegen Pälvi Pulli gewesen, teilt SRF mit.
Dabei sei im Bundeshaus das Gerücht umgegangen, Amherd habe die Stelle der Staatssekretärin eigens für Pulli geschaffen, schreibt die BaZ. Laut Amherd bleibt Pulli weiterhin in einer «zentralen Rolle» im Departement.
Kritische Stimmen zu Pulli kamen gemäss der BaZ auch von anderen SVP-Politikern und aus den beiden Departementen der Partei, Wirtschaft und Umwelt. Pulli gelte als «Internationalistin». Im Wirtschaftsdepartement sei die Idee eines neuen Staatssekretariats für zivile Sicherheit prinzipiell nicht gut angekommen. Laut dem Departement rechtfertigt der geplante Aufgabenbereich «absolut nicht die Schaffung eines Staatssekretariats».
Auch andere Kreise hätten Amherds Vorschlag für das neue Staatssekretariat kritisiert: «eine Schwächung der Armee. Ein Tritt ins Gärtchen anderer Departemente. Und überhaupt: zu viele Unklarheiten», so die BaZ. Das Justizdepartement habe in diesem Geschäft «eine gewisse Hast» ausgemacht. Erst eine Überarbeitung des Vorschlags seitens von «Amherds Leuten» hätte dazu geführt, dass der Bundesrat zustimmt.
Wie ist diese Wahl nun zu interpretieren? Bedeutet sie, dass sich die Schweiz in nächster Zeit nicht an die NATO annähern oder sich sogar vom Bündnis distanzieren wird? Oder ist Ruch nur ein Feigenblatt? Dieser Ansicht ist jedenfalls die Weltwoche. Sie definiert Ruch als «Amherds NATO-Mann für alle Fälle». Der «Friedensapostel» soll bei der NATO-Annäherung den Kopf hinhalten.
Die Zeitung hebt hervor, dass Ruch kein Offizier oder Militärvertreter, sondern ein Diplomat ist, und sinniert:
«Man wird irgendwie den Verdacht nicht los, dass Bundesrätin Amherd hier nur einen Vollzugsgehilfen sucht für eine engere Zusammenarbeit mit der NATO – an den Schweizer Generälen vorbei.»
Derweil empfahlen der ehemalige Bundeswehr-Generalinspekteur und frühere hochrangige NATO-Offizier, Harald Kujat, und der US-Colonel Douglas MacGregor: Die Schweiz sollte neutral bleiben. Oder, würde ich ergänzen, wieder völlig neutral werden.
Herzlich
Konstantin Demeter
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Redaktion und Moderation: Christoph Pfluger
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