«So etwas haben wir seit Pol Pot in Kambodscha nicht mehr erlebt. Das ist kriminell. Daran besteht kein Zweifel.» So kommentiert der ehemalige US-Oberst Douglas Macgregor in einem aktuellen Interview die Tatsache, dass der Kiewer Präsident Wolodymyr Selenski ukrainische Soldaten weiterhin sinnlos opfert.
Der Ex-US-Offizier geht von mehr als 400’000 gefallenen ukrainischen Soldaten aus, wie er im Interview mit der Schweizer Wochenzeitung Die Weltwoche erklärt. Es gebe «mehr Gefallene, als die Vereinigten Staaten während des gesamten Zweiten Weltkriegs hatten.»
Seit längerem meldet sich Macgregor mit kritischen Positionen und Analysen zur Politik des Westens im Krieg in der Ukraine zu Wort. Er nimmt dabei keine Rücksicht auf Befindlichkeiten und Vorgaben der herrschenden Kreise im Westen.
Macgregor warnt in dem Interview auch vor einer nuklearen Eskalation des Krieges in der Ukraine. Zugleich fordert er die europäischen Regierungen auf, sich von den USA zu lösen und mit Russland ins Gespräch zu kommen. Die Welt benötige dringend Frieden, betont der Ex-Offizier.
Die Kiewer Truppen hätten seiner Einschätzung nach «weder die Mittel noch die Fähigkeiten», die tief gestaffelten russischen Linien tatsächlich zu durchbrechen. Mit Blick auf die hohen Todeszahlen sagt er:
«Die Sache ist, dass Präsident Putin sich immer gegen jede Operation gewehrt hat, die unnötigerweise noch mehr ukrainische Leben zerstören würde.»
Doch das scheine in Kiew niemanden zu interessieren.
Die Tatsache, dass die ukrainische Führung von Nachbarländern verlangt, vermeintliche «Deserteure» auszuliefern, zeige, «wie verzweifelt sie sind». Macgregor weiter:
«Ich weiss nicht, wie lange das so weitergehen kann, aber leider werden sie, solange wir ihnen Waffen liefern, warme Körper finden, die sie in die Schlacht werfen können.»
Aus seiner Sicht führe Selenski inzwischen nur aus, was Washington, London und Paris von ihm verlangten. In der Ukraine wachse dagegen der Unmut über diese Politik und es werde diskutiert, wie der Präsident entmachtet werden könne.
Macgregor kritisiert die europäischen Regierungen deutlich dafür, dass sie dem US-Kriegskurs folgen. Er zeigt sich am meisten enttäuscht von Deutschland, wo er vor Jahren US-Botschafter werden sollte.
Im Gegensatz zu den US-Amerikanern seien die Europäer näher an der Realität und fühlten sich stärker betroffen. Dennoch würden sie nicht aufstehen und «harte Antworten» einfordern, beklagt der Ex-US-Offizier. Er verstehe auch nicht, warum die Schweizer ihre Neutralität aufs Spiel setzten.
Weiterhin warnt er davor, an Kiew Waffen zu liefern, die Ziele auf russischem Gebiet erreichen könnten. Wenn das geschehe, dann werde Russland «keine Wahl haben, als nach Westen zu marschieren». Er hoffe, dass sich in Washington die «kühleren Gemüter» durchsetzen werden und dies verhinderten.
Zugleich widerspricht Macgregor fortgesetzten westlichen Behauptungen, Russlands Führung wolle nach Westen marschieren und Osteuropa zurückerobern. «Nun, dafür gab es nie Beweise. Die russische Armee war zu klein für die Operation, die ihr zugedacht war.»
Russlands Präsident Wladimir Putin habe mit dem Befehl zum Einmarsch in der Ukraine Signale in Richtung Westen senden wollen. Das Ziel sei gewesen, endlich zu Verhandlungen über die Sicherheitsinteressen zu kommen.
«Er hat sich geirrt. Er hat den rücksichtslosen Hass, den man in Washington und London auf Russland hegt, völlig falsch eingeschätzt. Jetzt hat er es begriffen, aber er hält sich immer noch zurück, weil er keine direkte Konfrontation mit der Nato will.»
Der Ex-US-Oberst erklärt, der Westen habe in den bisherigen Kriegen nie mit einem Gegner wie Russland zu tun gehabt. Er fordert die eigene Seite auf «aufzuwachen» und aufzuhören, «so zu tun als hätten wir die Oberhand. Haben wir nicht.»
Macgregor schätzt ein, dass die Menschen in Europa sich zunehmend gegen den Krieg gegen Russland wenden werden. Das habe auch Bundeskanzler Olaf Scholz noch nicht begriffen. Aus seiner Sicht werde sich die bundesdeutsche Regierung nicht halten können, wenn sie keinen Kurswechsel vornehme.
«Die Europäer könnten es beenden – wenn sie die richtigen Leute wählen und an die Macht bringen würden. Washington wird es nicht tun. Niemand in Washington wird sich hinstellen und sagen: Na ja, wissen Sie, wir haben uns geirrt.»
In den USA werde niemand zugeben, einen Fehler gemacht zu haben, meint der frühere Oberst. Er ist sich stattdessen sicher:
«Wir werden uns aus diesem Krieg in der Ukraine zurückziehen. Glauben Sie mir, ich weiss nicht, wie bald, aber wir werden es tun.»
Mit Blick auf die EU sagt er: «Die Frage ist, was werden sie tun?» Der Konflikt um die Ukraine müsse so schnell wie möglich beendet werden. Dazu müssten insbesondere die Deutschen und Franzosen aufhören, weiter dem Kurs Washingtons zu folgen.
Aus Macgregors Sicht handelt es sich um einen «von Washington und seinen Vasallenstaaten in Europa künstlich erzeugter Krieg mit Russland. Er ist unnötig. Russland stellt keine Bedrohung dar.»
Um ihn zu beenden müsse zuerst die militärische Hilfe für die Ukraine eingestellt werden. Da in Washington niemand die eigenen Irrtümer zugeben könne, müsse «eine führende europäische Macht» damit beginnen.
Er habe immer gedacht, dass Berlin das sein könnte, «weil Berlin schon immer ein Gespür für Russland hatte». Doch das sei zerstört worden. Er diagnostiziert, dass in Berlin inzwischen Leute regierten, «die meiner Meinung nach geistesgestört sind und genauso wenig Ahnung von der realen Welt haben wie die Leute, die uns regieren».
Russland wolle keinen dysfunktionalen Rumpfstaat Ukraine, widerspricht Macgregor unter anderem dem Politikwissenschaftler John Mearsheimer:
«Russland will eine neutrale Ukraine. Eine Ukraine, die Russland nicht feindlich gesinnt ist. Aber auch das ist etwas, wozu die Europäer aufstehen und sich bereit erklären müssen: zu verhandeln.»
Macgregor rechnet damit, dass die NATO an dem Krieg in der Ukraine zerbrechen werde. Das westliche Bündnis sei zur Verteidigung gegründet und spätestens mit dem Angriff auf Jugoslawien 1999 für Kriege missbraucht worden. Ähnlich schätzt er die Zukunft der EU ein.
Er rechne nicht mit einem neuen Weltkrieg, sagt der bekennende Optimist gegenüber der Weltwoche: «So sehr ich diese Leute in Washington auch verabscheue, sie sind nicht wahnsinnig.»
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