Kürzlich hatte der ehemalige Bundeswehr-Generalinspekteur und frühere hochrangige NATO-Offizier Harald Kujat in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Weltwoche der Schweiz empfohlen, «die Neutralität mit Händen und Füssen zu bewahren». Nur so könne sie ihre Zukunft «in Sicherheit und Freiheit» bewahren.
Das hat Kujat nun in einem aktuellen Interview mit dem Magazin Zeitgeschehen im Fokus (ZiF) wiederholt.
«Gerade in der angespannten Lage, in der sich Europa durch die immer stärkere Europäisierung des Ukrainekriegs befindet, der Gefahr, dass aus dem Krieg in der Ukraine ein europäischer Krieg um die Ukraine entsteht, halte ich es für wichtig, den eigenen Sicherheitsinteressen zu folgen und unabhängig im wahrsten Sinne des Wortes zu bleiben.»
Kujat macht damit implizit deutlich, dass eine mögliche NATO-Mitgliedschaft nicht nur bedeuten würde, sich den Vertragsregeln des westlichen Bündnisses zu unterwerfen. Zu den Folgen würde dann auch gehören, dass sich die Schweiz der Dominanz der USA in der NATO beugen müsste, die gegebenenfalls keine Rücksicht auf die Interessen der europäischen Staaten nehmen würde.
Wie schon im Kalten Krieg gilt: Kommt es zu einem Krieg zwischen der NATO und Russland, wird dieser auf europäischem Territorium ausgeführt, auch mit Atomwaffen. Darauf hat unter anderem auch der Schweizer Militär- und Geheimdienstexperte Jacques Baud mehrfach hingewiesen.
Bei einem Krieg mit Russland würde es für die USA nur um die eigenen Interessen, nicht die Europas gehen. Das hatte der frühere SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi 2022 in seinem Buch «Nationale Interessen» klargestellt. Er erinnerte auch daran, «dass die Entscheidungen der NATO über Krieg und Frieden in Europa letztlich von den USA getroffen würden».
Die USA «würden in Europa im Zweifel immer nur aus eigenem geopolitischen Interesse militärisch agieren, gleichgültig, ob die europäischen Staaten das befürworten und wie viel sie vorher zu diesem Schutz beigetragen hätten: Wir werden nicht gefragt!»
Anlass für das ZiF-Interview ist die zunehmende Annäherung der Schweiz an die NATO. Schweizer Soldaten unterstützen nicht nur seit Jahren NATO-Missionen wie die KFOR (Kosovo Force) im Kosovo. Die Bundesregierung in Bern hat sich nun der westlichen Politik in Russland angeschlossen und trägt die EU-Sanktionen gegen Moskau mit.
ZiF-Redakteur Thomas Kaiser erinnert ebenso wie Kujat daran, dass bis in die letzten Jahre die Schweiz vielfach Ort für Gespräche zwischen West und Ost gewesen ist, insbesondere wenn es um Fragen des Friedens und der Abrüstung ging. Diese «Sternstunden der Diplomatie» seien aber Geschichte, bedauert Kaiser.
Ex-Bundeswehr-General Kujat erklärt, dass das für solche Verhandlungen notwendige Vertrauen immer an die jeweilige Regierung gebunden sei. Eine mögliche NATO-Mitgliedschaft der Schweiz hätte einen «grossen Einfluss auf ihren neutralen Status», stellt er klar.
Er erinnert daran, dass jeder Staat bestimmte Voraussetzungen für eine NATO-Mitgliedschaft mitbringen müsse. Dazu gehört die Unterordnung der nationalen Sicherheitsstrategie unter das strategische Konzept der NATO, das laut Kujat «die Interessen aller Mitgliedsstaaten vereinen» soll.
Für den Ex-General ist die westliche Allianz immer noch ein «Bündnis gegenseitiger, kollektiver Sicherheit». Leider kommt an der Stelle von ZiF kein notwendiger Widerspruch über diese «transatlantische Illusion» des Ex-Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses. Wenn die NATO ein solches Bündnis wäre, hätten ihre Mitglieder Einspruch gegen den US-Konfrontationskurs gegen Russland unter Missbrauch der Ukraine einlegen müssen.
Einen konventionellen Angriff auf die Schweiz hält Kujat für «sehr unwahrscheinlich». Davor sei sie auch durch die Nachbarschaft von umliegenden NATO-Mitgliedstaaten geschützt.
Der ZiF-Redakteur Kaiser glaubt: Der aus seiner Sicht unwahrscheinliche Fall, dass Bern den Beitritt zur NATO beschliessen werde, würde durch das dazu notwendige Referendum der Schweizer Bevölkerung verhindert werden. «Die Bevölkerung wird die Neutralität nicht über Bord werfen.»
Kujat meint, dass die NATO-Mitgliedschaft oft «falsch verstanden wird», wie das Beispiel Ukraine zeige. Die NATO übernehme nicht nur den Schutz ihrer Mitglieder, sondern jeder dieser Staaten müsse auch in der Lage sein, «den Schutz und die Sicherheit aller Mitgliedstaaten zu erhöhen». Nach Ansicht zahlreicher Experten ist die Ukraine nicht erst mit dem derzeitigen militärischen Konflikt dazu nicht in der Lage.
Der Ex-Bundeswehr-General rät der Schweiz, für die eigene Sicherheitsvorsorge alles zu tun, «was aufgrund ihrer nationalen sicherheitspolitischen Interessen und ihrer geostrategischen Lage notwendig ist». Deshalb solle die Schweiz ihre Neutralität beibehalten.