Transition News: Warum haben Sie nach 20 Jahren Ihre Stelle als Journalistin bei den Nürnberger Nachrichten aufgegeben, um nach Südamerika zu ziehen?
Michaela Tanja Zimmermann: Dafür gab es viele Gründe. Die Zeitung war eigentlich nicht vorrangig, sondern es waren hauptsächlich private Gründe. Es gab vielleicht noch den letzten Schub in diese Richtung, weil sich während der Corona-Zeit der Journalismus doch recht gewandelt hat.
Was war anders?
Wir haben nicht mehr so frei und unvoreingenommen berichtet wie früher. Die Spaltung, die in der Gesellschaft vor sich ging, war auch in den Medien zu spüren. Die Medien haben auf die Corona-Demonstranten herabgeblickt und sie diffamiert. Das war auch die Redaktionslinie, die in unserem Haus gefahren wurde. Wir haben, so wie andere Medien, den Begriff «Covidioten» verwendet und intern abgesprochen, dass bei Reportagen über Corona-Demos nicht mit den Demonstranten gesprochen wird. Stattdessen wurde der Event an sich in den Mittelpunkt gerückt – die vielen Menschen, die vielen Autos, das Verkehrschaos. Über die korrekten Teilnehmerzahlen wurde nie berichtet – man nahm die Zahl der Polizei und nicht die der Veranstalter. Man hätte auch beide Zahlen nennen können, um dem Leser die Einordnung zu überlassen.
Ich hatte eine Festanstellung, war sozusagen Kind des Hauses, da ich bei den Nürnberger Nachrichten schon volontiert hatte. Aber ich konnte meinen Beruf nicht mehr in der Form ausführen, wie ich ihn verstehe. Soviel zu meinen beruflichen Gründen.
Wie hat sich in diesen zwei Jahrzehnten die Zeitungsarbeit verändert?
Es gab, abgesehen von der Digitalisierung, doch einen großen Umbruch in den Zeitungsverlagen. Und eines muss man ganz ehrlich sagen: Die Digitalisierung haben wir als Verlag komplett verschlafen – traurig eigentlich. Als ich bei den Nürnberger Nachrichten anfing, schrieb ich eine Diplomarbeit über die Online-Strategie von Qualitätszeitungen im Internet. Bei meiner Zeitung fand jeder das Thema aus der Luft gegriffen. Und mein Chefredakteur meinte damals, das Internet wäre nur eine vorübergehende Erscheinung. So ging es dann mindestens zehn Jahre weiter.
Die gesamte Redaktionskultur hat sich sehr verändert. Es wurde ein Newsdesk eingeführt, um Arbeiten zu vereinfachen, und damit gingen Newsdesk-Manager einher, die die Themen vorgeben.
Wie wurde bis dahin bei den Nürnberger Nachrichten gearbeitet?
Davor war es wie in jedem normalen Medium. Man schlägt seine Themen vor und diskutiert sie mit den Kollegen. Klar, manchmal wird das Thema nicht angenommen, aber in der Regel schreibt man seine Themen und Kommentare völlig frei. Es wurde kein Einfluss genommen. Aber das hat sich später geändert und ging so weit, dass man mir sagte, in welche Richtung Kommentare zu gehen haben.
Wann wurde der Newsdesk eingeführt?
Ungefähr so ein Jahr vor Corona. So war es natürlich in der Corona-Zeit sehr einfach, die Themen entsprechend zu platzieren. Es gab auch unter den Kollegen keine Diskussionen darüber.
Und es gab ziemlich viel Druck, wenn es um die sogenannte Corona-Impfung ging. Als Mitglied des Betriebsrats habe ich die Gängelungen von Anfang an mitbekommen: Kollegen, die sich nicht impfen ließen, mussten sich vorm Betreten ihrer Arbeitsstelle testen lassen und sich in eigenen Räumen aufhalten.
Haben noch weitere Kollegen die Nürnberger Nachrichten verlassen?
Sehr viele. Es gab Freiwilligenprogramme, weil es, so wie allen Zeitungen in Deutschland, auch unserem Verlag schlecht geht.
Insgesamt hat sich die Arbeit sehr verdichtet. Am Anfang waren wir nur Schreiber – Fotos wurden von Fotografen, der Satz von Layoutern gemacht. Am Schluss machten wir das Layout der Seiten, lieferten und bearbeiteten Fotos, nahmen Videos und Audios für die Online-Ausgabe auf. Dadurch hat die Qualität der Zeitung extrem nachgelassen. Ich war nicht mehr glücklich mit der Berichterstattung und auch nicht mehr mit der Ausführung. Man hat den Fotos angemerkt, dass die nicht von Profis geschossen worden sind.
So haben sich 32 Kollegen von insgesamt 160 Ende 2020 aus der Redaktion verabschiedet. Ein Jahr später gab es ein zweites Freiwilligenprogramm mit den gleichen sehr guten Konditionen. Da habe ich den Hut genommen. Durch mein Ein-bisschen-gegen-den-Strich-gebürstet-sein hat mich der Verlag wohl gehen lassen. Obwohl ich Betriebsrätin war und das natürlich teuer kam – ich war 20 Jahre dabei und in einer unkündbaren Position.
Und was waren Ihre privaten Gründe, Deutschland zu verlassen?
Ich wollte eigentlich schon zweimal in meinem Leben auswandern: einmal nach Namibia und in jungen Jahren nach Chile. Jetzt beim dritten Mal habe ich es einfach gemacht.
Aber ich habe nach wie vor große Sorge, dass ein Krieg ausbricht. Ich gehe fest davon aus, dass das Finanzsystem crasht. Man wird irgendetwas tun müssen, wie zum Beispiel einen Krieg entfesseln, um von den tiefliegenden Gründen abzulenken. Wir befinden uns seit 2008 in einer Finanzkrise, das wurde immer nur totgeschwiegen, und gleichzeitig werden weitere Schulden aufgetürmt. Auch Unruhen schließe ich nicht aus.
Und unser Verhalten in der Ukraine, wie sich Deutschland dabei positioniert, das bekommt dem Land nicht. Wenn wir Russland so dermaßen ausklammern und verteufeln, ist das für unsere Wirtschaft katastrophal. All das waren Gründe, die mich dazu bewogen haben, mein Heimatland zu verlassen und neu anzufangen.
Wie alt war Ihr Sohn, als Sie im August 2022 nach Südamerika ausgewandert sind? Und wie sind Sie vorgegangen?
Mein Sohn war damals zehn, inzwischen ist er 13 Jahre alt. Ich wusste zu dem Zeitpunkt schon, wo wir uns niederlassen. Im Februar desselben Jahres hatte ich mir in Asunción, der Hauptstadt Paraguays, ein Auto gekauft und bin einen Monat lang herumgefahren, um Menschen zu besuchen, mit denen ich über das Internet schon in Kontakt stand. Ich brauchte eine gute Schule für meinen Sohn. Und ich war mit zwei Familien verabredet, mit denen ich gemeinsam ein Grundstück suchen wollte. Wir haben uns auch etliche Grundstücke angeschaut, aber aus diesem Vorhaben wurde nichts, weil wir doch andere Vorstellungen hatten. Was sich in einem Online-Kontakt gut anhört, muss sich ja an der Realität messen, und diese Idee hat den Realitätscheck nicht überstanden.
Ich habe damals im Februar auch Itapúa im Süden Paraguays besucht. In diesem Dreiländereck an der Grenze zu Argentinien und Brasilien hat es mir einfach am besten gefallen. Der Río Paraná, in dem man baden kann, fließt hier, und es ist mehr oder weniger eine Urlaubsregion für Paraguayer. Und wir wohnen jetzt auf 52 Hektar oberhalb des Paranás.
Und warum ausgerechnet Paraguay?
Ich hatte zuerst überlegt, nach Norwegen zu gehen – Hauptsache weg aus Deutschland. Dann wurde mir aber klar, dass Europa keine Option ist. So wie bei der europäischen Corona-Politik werden immer alle mitziehen. Eigentlich kann man nirgendwo auf der Welt dem entkommen, dem wir heutzutage ausgesetzt sind. Und ich dachte mir, in einem Land, das letztendlich ein Entwicklungsland auf dem Weg zum Schwellenland ist, kann ich die Zeit aufhalten. Ich möchte fünf Jahre gewinnen.
Wie kommen diese fünf Jahre zustande?
Ich wollte meinen Sohn in Sicherheit bringen. Ich möchte, dass er in einem Wertesystem aufwächst, das mehr dem entspricht, was ich als Kind erlebt habe. Dieser Gender-Wahnsinn hat mich aufhorchen lassen, aber genauso die Art und Weise, wie mit Kindern und Jugendlichen während der «Pandemie» umgegangen wurde. Das war für mich ausschlaggebend.
Mein Themenschwerpunkt war Bildung. Ich war viel mit Schulen, dem Bildungsministerium und auch mit Politikern in Kontakt. Und wie das alles gelaufen ist sowie all die Probleme, die es dabei gab, haben mich dazu bewogen, zu sagen: Mein Sohn ist in Deutschland nicht mehr gut aufgehoben. Auch weil die Kinder an die Bundeswehr herangeführt werden. Die Bundeswehr fährt weltweit Einsätze – es geht ja nicht mehr nur um die Verteidigung Deutschlands – und ich möchte nicht, dass mein Sohn in diese Kriegsmaschinerie gerät.
Zehn Jahre wären noch besser, aber ich glaube, so viel Zeit haben wir nicht mehr. Zehn Jahre der Zeit hinterherrennen und dann an den Punkt kommen, an dem wir heute sind, das wäre mein Traum gewesen. Aber daran glaube ich nach bald drei Jahren in Paraguay nicht mehr. Ich glaube nicht, dass diese Länder, auch wenn sie noch nicht so weit fortgeschritten sind, noch so viel Zeit haben.
Was ist in Paraguay anders?
In Paraguay haben Familie, Kinder und traditionelle Werte einfach noch eine ganz große Bedeutung. Die Kinder stehen im Mittelpunkt, mehr noch als bei den Italienern. Alles dreht sich um die Kinder. Den Kindern muss es gut gehen. Die Leute passen auf die Kinder auf – auch auf die Kinder der anderen. Kinder sind in Paraguay einfach die Zukunft und haben deswegen einen ganz hohen Stellenwert.
Könnten Sie ein Beispiel dafür geben? Wie sieht Ihr Alltag aus?
Mein Sohn geht in eine private Schule, die ein ganz tolles Menschenbild hat – so etwas hätte ich mal gerne in Deutschland gefunden –, es ist wie eine große Familie.
Er betritt die Schule und muss erst mal zehn Leute umarmen, bevor er in sein Klassenzimmer gelangt. Es ist eine kleine Schule mit 300 Schülern. Jeder kennt jeden und man hilft sich gegenseitig.
Alles geschieht sehr vereinend und auch klassenübergreifend. Man sieht es an den Schulfesten: Alle helfen mit, nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt.
Wie hat sich Ihr Sohn in diesen zweieinhalb Jahren verändert?
Ich glaube, er ist auf jeden Fall selbstbewusst geworden. Es war nicht leicht für uns. Paraguay ist kein einfaches Einreiseland. Die Einreise und die Formalitäten sind unkompliziert, aber die Mentalität der Menschen ist schwierig, so ganz anders als unsere, und damit muss man erst mal klarkommen.
Paraguay ist gefährlicher. Es kommt zu Überfällen und es wird viel geklaut, da die Schere zwischen Arm und Reich sehr groß ist. Man muss natürlich die Augen offen halten. Mein Sohn hat das relativ schnell gelernt, weil uns auch Sachen passiert sind: Einmal ist in unser Haus eingebrochen worden, da waren wir aber nicht daheim. Wir haben keine großen Werte, daher wurde nicht viel geklaut, ein Handy mal. Auf unserer Baustelle wurden etliche Maschinen und Werkzeuge geklaut. Der Raubüberfall allerdings war ein sehr traumatisches Erlebnis. Aber das alles hat uns letztendlich in unserer Beziehung gestärkt, auch in unserem Auftreten und in unserem täglichen Leben.
Mein Sohn ist schneller erwachsen und selbstständiger geworden. Er spricht die Sprache jetzt fließend, Unterrichtssprache ist Spanisch, und fünf Stunden in der Woche lernt er die Landessprache, Indio. Und er ist sehr stolz auf das, was er da so schafft und macht. Wir haben ja eine Farm zusammen und viel Arbeit.
Blick über die Pferdekoppel mit dem Río Paraná im Hintergrund; Foto: Michaela Tanja Zimmermann
Wie genau leben Sie?
Wir wohnen außerhalb der Stadt. Ich habe 52 Hektar Land gekauft und auf dem Grundstück stehen zwei alte Häuser. Das eine habe ich bereits renoviert, in dem leben wir jetzt. Das ist ein ganz interessantes Gebäude, sechseckig, aus hochwertigen Baumaterialien, die alle vom Grundstück stammen. Der Vorbesitzer war ein Deutscher, der diese beiden Häuser mit ganz viel Wissen und Liebe gebaut hat.
Das zweite Haus dient als Gästehaus. Es steht an einem herrlichen Platz mit einem 360-Grad-Rundumblick auf den Río Paraná und die Täler – wunderschön.
Das Gebäude liegt oben auf dem Berg, genau auf dem höchsten Punkt des Grundstücks. Und man blickt auf den silberglänzenden Fluss, auf drei Schlaufen des Flusses, und in der anderen Richtung schaut man in ein Tal, es sieht so ein bisschen aus wie Irland – alles ist sehr ländlich geprägt. In dieser Gegend gibt es viele Rinder, wenig Soja- oder Weizenanbau – also keine Monokulturen. Das hat mich schließlich dazu bewogen, dieses Grundstück zu kaufen.
Wir haben 30 Hektar zusammenhängenden Wald und deswegen gibt es ganz viele Tiere: Affen, Gürteltiere, Ameisenbären, Nasenbären, Warane, Füchse und Wild mit Kitzen – was in Paraguay sonst kaum zu finden ist, da die meisten Grundstücke gerodet wurden und somit der Lebensraum dieser Tiere verschwunden ist. Die Paraguayer essen leider auch alles, was ihnen über den Weg läuft.
Betreiben Sie auch Landwirtschaft?
Ich baue das Futter für meine Tiere selbst an. Ich habe Kühe und verkaufe meine Kälber nach sechs bis acht Monaten. Ich züchte Brangusrinder, also eine Kreuzung aus Brahman- und Angusrindern. Die lassen sich am besten verkaufen und sind pflegeleicht. Die Herde ist noch gemischt – lauter Cruzados – da muss ich noch ein bisschen Tiere auswechseln und Management betreiben. Aber mir macht das großen Spaß. Ich mache das alles alleine: Ich impfe die Kühe und behandle sie, falls notwendig. Mein Nachbar arbeitet als Angestellter bei einem Großgrundbesitzer und kümmert sich dort um 350 Kühe. Von ihm lerne ich alles, was ich wissen muss.
Und Sie arbeiten mit Pferden?
Ich habe während meiner Zeit bei der Zeitung eine Bereiterlehre gemacht. Ich hatte immer eine 25- bis 30-Stunden-Stelle, den Rest der Zeit habe ich Reitunterricht gegeben, Pferde eingeritten, korrigiert und so weiter. Jetzt in Paraguay halte ich sechs Pferde und habe eine kleine Reitschule eröffnet. Derzeit werden der Reitplatz, ein Roundpen und ein Springplatz gebaut. Ich möchte das auf einem semiprofessionellen Niveau betreiben, denn das gibt es in dieser Art nicht in Paraguay. Und es macht Spaß, so sein Geld zu verdienen.
Man muss, was die Einnahmequellen angeht, immer mehrgleisig fahren. Mal läuft das eine nicht gut oder der Reitunterricht kann nicht stattfinden, weil es regnet. Dann übersetze ich zum Beispiel Bücher aus dem Englischen ins Deutsche.
Was war die größte Umstellung?
Alles! Das Härteste war, dass ich plötzlich lauter Sachen machen musste, die ich vorher noch nie gemacht hatte und wo ich früher gesagt hätte: Kann ich nicht, will ich nicht, muss jemand anders machen. Aber diesen jemand anders gab es nicht und so musste ich doch ziemlich aus meiner Komfortzone raus. Das fällt mir bis heute schwer, aber es gibt einem so viel Auftrieb.
Und ich bin mittlerweile noch positiver und noch optimistischer, da ich mir immer denke, es gibt für jedes Problem eine Lösung. Man muss manchmal nur länger überlegen, Geduld haben oder sich reinfuchsen.
Haben Sie das Gefühl, Sie und Ihr Sohn sind in Paraguay willkommen?
Mittlerweile ja. Ich habe mir meinen Traum verwirklicht. 15 Jahre lang wollte ich einen Hof und eigene Pferde haben, wollte ganz eng mit meinen Tieren zusammenleben. Es ist jetzt so, wie ich es mir vorgestellt habe – es ist sogar noch schöner.
Und vor diesem Hintergrund bin ich natürlich bereit, zu kämpfen, weil ich mir das nicht so schnell wieder vom Brot nehmen lasse. Es war hart, das zu erreichen, was ich immer wollte. Wir haben jetzt Anfang 2025, das sind nur zweieinhalb Jahre. Sich etwas 15 Jahre lang zu wünschen und keinen Weg zu sehen. Ich hatte auf die Erfüllung meines Traums hingearbeitet – zum Beispiel im Keller Trensen und Halfter gesammelt –, ohne zu wissen, ob das jemals Erfolg haben würde. Das war alles Vorbereitung, jetzt kann ich die Dinge tatsächlich verwenden.
Selbst die Möbel aus meinem ehemaligen Haus passen so gut in mein neues Heim hier in Paraguay, als wären sie dafür gemacht. Ich hatte in Deutschland eine Doppelhaushälfte, die ich fast fürs Dreifache verkaufen konnte. So konnte ich mir das Ankommen und das Grundstück in Paraguay leisten. Alles Weitere muss ich erarbeiten.
Fühlen Sie sich in Paraguay freier als in Deutschland?
Keine Frage, ich bin komplett frei. Natürlich bezahle ich auch hier meine Steuern und die Bürokratie ist nicht so einfach, man muss sich genauso mit dem System auskennen. Ich habe eine Steuerberaterin und eine gute Anwältin. Aber ich fühle mich total frei.
Ich mache das, was ich immer wollte. Dadurch habe ich unheimlich viel Antrieb und eine große Kraft, um meinen Alltag zu meistern.
Mittlerweile, bin ich auch mit meinen beiden Nachbarn – Großgrundbesitzer, unwahrscheinlich reich, eigentlich sehr distanziert – ganz eng. Sie sehen inzwischen, dass ich sie nicht störe, hier mein Ding mache und mich auch nicht so schnell verjagen lasse – dass ich gekommen bin, um zu bleiben. Beide sind total umgeschwenkt und ich habe ihre absolute Unterstützung. Wir sind alle paar Tage in Kontakt und sie fragen nach, wie es mir und meinem Sohn geht. Dabei sind das sehr herbe Männer, die in der Gegend fast alles aufgekauft haben, um ihre Viehherden auszuweiten. Früher war das eine besiedelte Gegend, aber heute wohnen hier nur wenige Menschen.
Ich hatte Riesenglück, dass ich an das Grundstück gekommen bin. Der eine Nachbar leiht mir seine Stiere zum Decken meiner Kühe, der andere ist so ein Pferde-Fan wie ich. Er hat Rennpferde, und wenn ich mit einem Pferd ein Problem habe, kommt er vorbei. Ansonsten sind wir gute Nachbarn und halten uns auf dem Laufenden, wenn sich Leute herumtreiben, weil es immer sein kann, dass Kühe geklaut werden – Fleischklau ist üblich.
Direkt nach dem Raubüberfall hatte ich überlegt, ob ich die Reißleine ziehe und mit meinem Sohn innerhalb von Paraguay in sichere Gefilde umziehe oder zurückgehe und noch mal neu starte. Mein Grundstück ist so wunderschön, ich könnte das sofort verkaufen, aber ich will das nicht.
Ich will einfach noch sehen, was geht: Schaffe ich das mit dem Tourismusprojekt alleine? Ich werde Angestellte brauchen, aber in Paraguay gute Angestellte zu finden, ist nahezu unmöglich. Mit dieser Regelmäßigkeit haben die meisten Riesenprobleme: Wenn man genug zu essen hat, warum soll man am nächsten Tag arbeiten gehen?
Das heißt, man kann Sie besuchen?
Ja. Ein Ferienhaus ist schon fertig, mit zwei Schlafzimmern, einer schönen Wohnküche und einer tollen Aussicht. Es liegt ungefähr 100 Meter von meinem Haus entfernt. Das heißt, selbst wenn man ängstlicher sein sollte, hat man Anbindung. Und die Gäste können sich entweder selbst versorgen oder bekommen Frühstück. Man kann Ausritte und Tagesritte buchen, 2,5 bis 3 Stunden, und wird mit einem kleinen Picknick versorgt.
Ich suche derzeit Volontarios, also Freiwillige, die Lust haben, vielleicht mal für einen Monat mit anzupacken. Dafür können sie dann kostenlos wohnen. Entweder eine Person oder auch ein Pärchen oder zu viert. Es gibt genug Arbeit. Ein bisschen Affinität zu Tieren sollten sie mitbringen, denn die Pferde müssen bewegt und gepflegt werden. Oder vielleicht reitet jemand auch gut und hat Lust, Ausritte zu führen.
Würden Sie Paraguay als Auswanderungsland empfehlen?
Manche kaut Paraguay ab und spuckt sie im hohen Bogen aus wie einen Kirschkern. Viele kommen und gehen genauso schnell wieder. Ich mache das, was ich immer wollte. Und war deswegen wirklich bereit, komplett aus meiner Komfortzone zu treten und Landwirtschaft statt Büro zu machen.
Um es mal auf eine ganz einfache Formel zu bringen: Wenn jemand ein Online-Einkommen hat, also feste Bezüge, und unabhängig und überall auf der Welt arbeiten kann, dann ist Paraguay wirklich zu empfehlen. Spanisch muss man auf jeden Fall sprechen, ohne Spanisch ist man verloren.
Es gibt einiges zu beachten: Es fängt damit an, dass man nicht alles bekommt, was man von zu Hause gewöhnt ist. Man muss die Ernährung umstellen, am besten Brot selber backen und so. Man muss das alles so wollen. Wenn man mehr Geld zur Verfügung hat, dann gibt es bestimmt Länder auf der Welt, die attraktiver sind, eine höhere Lebensqualität haben. Auch das kulturelle Angebot ist in Paraguay eher reduziert.
Es kommen demnächst 7000 Holländer, die sich hier ansiedeln wollen. Und es sind in den letzten Jahren unzählige deutsche, aber auch deutsch-russische Familien nach Paraguay gezogen.
Unterstützen sich die Einwanderer aus Deutschland gegenseitig?
Manche haben die Vorstellung, dass man sich gegenseitig hilft und unterstützt. Und die anderen, die schon länger da sind, wollen die Neuankömmlinge immer abzocken – da geht es eigentlich nur um Kohle. Die deutschen Einwanderer untereinander sind unmöglich.
Und die Paraguayer sind am Anfang sehr schwierig. Aber wenn man mal Fuß gefasst und sie auf seiner Seite hat, dann sind sie wahnsinnig treu und helfen bei allem, was geht – bis auf die intimste Ebene. Bestes Beispiel: Ich muss demnächst operiert werden. Für meine paraguayische Freundin ist es selbstverständlich, dass sie bei mir im Krankenhaus schläft, sich kümmert und mir alle Medikamente besorgt. Man muss immer jemanden ins Krankenhaus mitnehmen, da es wenige Krankenpfleger gibt.
Sie sind also schon gut vernetzt?
Mittlerweile kennt uns schon jeder, weil mein Sohn und ich immer nur zu zweit auftauchen, also ohne Mann. Viele der deutschen Einwanderer hier haben nicht daran geglaubt, dass wir das schaffen. Das hat man einer alleinerziehenden Mutter nicht zugetraut.
Andere Einwanderer haben Ihnen also nicht zugetraut, dass Sie es als Frau in Paraguay schaffen. Werden Sie denn diskriminiert?
Ja, auf jeden Fall bin ich anfangs diskriminiert worden, auch von den Paraguayern. Aber selbst in der paraguayischen Gesellschaft stößt es auf Beachtung, wenn eine Frau, eine «Señora», so viel schafft und so viel alleine macht. Und sie sagen immer: La señora es como un hombre – die Frau ist wie ein Mann, da ich hier die Arbeit eines Mannes mache.
Das Interview führte Sophia-Maria Antonulas.
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