Meine Menschengesichter sind wahrer als die wirklichen.
Paul Klee
Liebe Leserinnen und Leser
Die Oper Wilhelm Tell behandelt, wie das gleichnamige Drama von Friedrich Schiller, den Kampf der Schweizer Urkantone gegen die Herrschaft der Habsburger. Die Handlung der Oper von Rossini folgt dabei mehr oder weniger derjenigen, die Schiller vorgezeichnet hat. Die Habsburgererbin Berta von Bruneck wurde durch die Prinzessin Mathilde ersetzt. Auch sie wechselt im Verlaufe der Oper auf die Seite der Schweizer. In einer eindrucksvollen Aufführung im Oktober 2022 in Bern wurde die Rolle der Mathilde von der südafrikanischen Sporanistin Masabane Cecilia Rangwanasha gesungen.
Die Kritiker sparten nicht mit Lob und der Premierenapplaus wollte nicht enden. Ich genoss die Aufführung von der ersten bis zur letzten Minute, die aktuelle, aber stimmige Inszenierung, die wunderbare Musik mit den eindrucksvollen Chorszenen und dem berühmten Englischhornsolo, aber auch das hintergründige Rollenporträt von Rangwanasha.
Szenenwechsel: Im Sommer 2022 brach die Berner Brasserie Lorraine ein Konzert der Reggae-Band Lauwarm ab, nachdem Gäste ihr Unwohlsein darüber geäussert hatten, dass die Musiker afrikanische Kleider getragen hatten und zwei Bandmitglieder Rastalocken. Der Vorwurf: kulturelle Aneignung oder in englischer Sprache: cultural appropriation (wir berichteten).
Das Ereignis schlug Wellen über die Landesgrenzen hinaus und auch Menschen, die die «Brass», das linkeste aller linken Lokale in der linkesten alle linken Gegenden Berns, nicht kannten, war sie nun ein Begriff.
Die junge Schweizerischen Volkspartei (SVP) reichte dann gegen das Lokal Anzeige wegen Rassendiskriminierung ein. Vorerst hatten sie damit Erfolg (wir berichteten). Gegen den Strafbefehl erhob die Brasserie jedoch Einspruch. Deshalb landet der Fall vor Gericht und die Strafe ist deshalb noch nicht rechtskräftig.
Zwei kulturelle Ereignisse, zwei völlig verschiedene Publikumsreaktionen. In der «Brass», die aus Prinzip keine Uniformierte (Polizisten, Soldaten) bedient, scheint man der Meinung zu sein, dass ein Unwohlsein im Publikum wenn weisse Bandmitglieder Rastalocken und afrikanische Kleider tragen, einen Konzertabbruch rechtfertigen würde. Hätte man sich bei der Opernaufführung in der Pause über die Besetzung der Rolle der Mathilde beim Intendanten beklagt, wäre man wohl richtigerweise aufgelaufen.
Halt! wird man einwerfen. Als «kulturelle Aneignung» gilt heute, wenn sich Vertreter einer angeblich privilegierten Dominanzkultur aus dem Reservoir anderer Kulturen bedienen. Das heisst also, dass sich europäisch und weiss geprägte Menschen nicht mehr zum Beispiel als Indianer verkleiden dürfen, dass das aber umgekehrt nicht gilt. Schwarze Opernsängerinnen dürfen dann sehr wohl eine mittelalterliche, europäische Heldin spielen.
Ich verstehe die Debatte bis zu einem gewissen Punkt. «Blackfacing» ist aus der Zeit gefallen und es gibt heute genügend Opernsänger und Schauspieler, die zum Beispiel den Othello authentisch spielen können.
Der Ausdruck der kulturellen Aneignung wurde in der Wissenschaft ursprünglich neutral geprägt. Er beschreibt einfach, wie sich eine Kultur bei einer anderen inspiriert. Das ist im Grunde genommen etwas ganz Normales. Kultur bedeutet kulturelle Aneignung.
Viele wichtige kulturelle Innovationen entstehen aus kultureller Aneignung. Denn Kultur entwickelt sich nicht nur eindimensional. Sie reibt sich an anderen Kulturen und inspiriert sich. So entstehen Meisterwerke! Die drei Maler Paul Klee, August Macke und Louis Moilliet unternahmen im April 1914 eine Reise nach Tunesien. Dort erfuhren besonders Klee und Macke starke, fremde Eindrücke von Farben, Formen und Licht. Das hat die klassische Moderne enorm beeinflusst und geprägt.
Die Werke von Paul Klee, dem Maler, der ein paar Kilometer von meinem Wohnort das Licht der Welt erblickte und auch in Bern starb, wären nicht Klee ohne seine Inspiration durch seine Reisen, Eindrücke und Erfahrungen. Und das Zentrum Paul Klee, wo ein grosser Teil seiner Werke ausgestellt sind, wäre nicht das, was es heute ist.
Der Kampf gegen kulturelle Aneignung führt zu Denk- Inspirations- und Schaffensverboten. Das geht nicht und würde die Kultur auf Dauer verarmen lassen. Wir täten also gut daran, uns nicht davon beeinflussen zu lassen. Natürlich darf die schwarze Schauspielerin Halle Bailey im bewegenden Kunstmärchen des dänischen Schriftstellers Hans Christian Andersen die kleine Meerjungfrau spielen. Und natürlich ist der Applaus für Masabane Cecilia Rangwanasha verdient und ihr Gesicht und ihre Darstellung sind eine wahre Interpretation der schillerschen Figur – in Abwandlung des eingangs erwähnten Zitats. Ebenso dürfen weisse Raggae-Musiker Rastalocken und afrikanische Kleidung tragen oder Kinder Indianer spielen.
Die Grenze ist erreicht, wo die intellektuelle Redlichkeit nicht mehr gegeben ist. Bei einer historisch verbürgten Figur geht es dann zum Beispiel nicht mehr um kulturelle Interpretation, Inspiration und Freiheit, sondern um korrekte Darstellung der Fakten.
Herzlich
Daniel Funk
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