Ein Mangel an politischem Vertrauen
beeinträchtige die Regierungsfähigkeit.
Henrieke Stahl, Professorin
für slawische Literaturwissenschaft
an der Universität Trier

Liebe Leserinnen und Leser

Die Literaturwissenschaftlerin Henrieke Stahl warnte kürzlich, dass staatliche Kontrollmaßnahmen zur Wiederherstellung von Vertrauen in Politik, Institutionen und Wissenschaft, etwa durch Informationslenkung und Einschränkungen, die Demokratie untergraben könnten, da echte Demokratie auf Transparenz, individuelle Autonomie und kritischen Dialog angewiesen sei.

Studien zeigen einen historischen Tiefststand des Vertrauens. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist Vertrauen die Grundvoraussetzung für das gerechte und effektive Funktionieren staatlicher Institutionen. Ein Mangel an politischem Vertrauen beeinträchtigt nicht nur die Regierungsfähigkeit, sondern gefährdet auch die Stabilität einer Demokratie – insbesondere in Krisenzeiten. Gerade dann sei, so Experten, ein «umfassendes Reservoir an Vertrauen» vonnöten, um gesellschaftliche Herausforderungen zu meistern.

Der Verlust des Vertrauens betrifft nicht nur die Politik, sondern auch die Wissenschaft. Die Debatten rund um Corona und Impfungen haben gezeigt, wie schnell das Vertrauen in wissenschaftliche Autoritäten erschüttert werden kann. Hierbei stehen sogenannte «Gatekeeper» der Wissenschaftskommunikation im Fokus.

Gestern schrieb ich über ein kaum bekanntes Paper eines Wissenschaftlers, das im Zuge von Diskussionen über Wahlmanipulation bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich die Briefwahl in Deutschland einer vertieften Prüfung unterzieht. Es gibt statistische Auffälligkeiten und strukturelle Schwachstellen, die Manipulationen erleichtern könnten und einer Erklärung harren.

Um Vertrauen in den deutschen Wahlprozess zu schaffen, könnte man die vollständigen Wahlergebnisse, aufgeschlüsselt nach Briefwahl und Urnenwahl bis auf Wahlkreisebene zeitnah veröffentlichen. Im Unterschied zu Österreich sieht die Wahlordnung in Deutschland das aber nicht vor. Dies würde Transparenz schaffen und das Vertrauen in den demokratischen Prozess stärken. Stattdessen werden die verdächtigen Vorgänge bei der Briefwahl ignoriert.

Doch diese Versuche, Vertrauen durch Informationskontrolle zurückzugewinnen, bergen Risiken. Der Kampf um Vertrauen könnte sich in einen Kampf um Informationshoheit verwandeln. Kritiker wie Stahl warnen, dass durch Maßnahmen wie Zensur, Desinformationskontrolle und eine staatlich gelenkte Kommunikationsstrategie totalitäre Tendenzen gestärkt werden könnten, die nicht nur die Meinungsfreiheit, sondern auch die Demokratie insgesamt bedrohen.

Die tiefere Ursache der aktuellen Krise der Demokratie liegt, so die Analyse von Stahl, in der «behavioristischen Revolution», die ein lange akzeptiertes Menschenbild verdrängt hat. Dieses Verständnis, das auf antike Wurzeln zurückgeht, beruht auf einem «wissenden Vertrauen» und einem prinzipiellen, aber konstruktiven Misstrauen gegenüber dem Staat, seinen Institutionen und Repräsentanten. Der Behaviorismus hingegen betrachtet den Menschen nicht mehr als autonomes, vernunftbegabtes Wesen, sondern reduziert ihn auf ein steuerbares Tier. In der heutigen transhumanistischen Ausprägung wird der Mensch zunehmend wie eine programmierbare Maschine gesehen.

Ein solches Menschenbild steht jedoch im Widerspruch zu den Grundprinzipien einer freiheitlichen Demokratie. Diese setzt voraus, dass der Mensch als vernunftbegabtes Wesen betrachtet wird, das durch universelle Vernunft mit anderen in Dialog treten kann. Sie geht zudem davon aus, dass der Mensch sich aktiv an der Gesellschaft beteiligt und bereit ist, Verantwortung für das Gemeinwohl zu übernehmen.

Angesichts dieser Entwicklungen ist ein Umdenken erforderlich, schreibt Stahl. Vertrauen darf nicht durch Zwang oder Informationskontrolle erzwungen werden, sondern muss durch Transparenz, Offenheit und einen respektvollen Umgang mit kritischen Stimmen aufgebaut werden. Nur durch die Rückbesinnung auf diese Prinzipien kann die Vertrauenskrise überwunden und die Demokratie gestärkt werden.

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Daniel Funk