Wir beobachten, dass der Wert der Geistes- und
Sozialwissenschaften für die Gesellschaft vermehrt
erklärt werden muss.
Beat Immenhauser, Generalsekretär der SAGW
Liebe Leserinnen und Leser
Ich studierte Geschichte. Zuerst an der Universität Bern, dann an der University of East Anglia im beschaulichen, englischen Norwich. Mich hat diese Zeit im positiven Sinne geprägt. In Bern gab es Professoren vom Standing eines Walther Hofer, gleichzeitig Parlamentarier, die nicht nur wissenschaftlich und rhetorisch brillant waren, sondern auch zum Beispiel Studienreisen zu den Brennpunkten der Geschichte wie Berlin oder Brüssel organisierten. Mir sind in diesem Zusammenhang noch einige Anekdoten im Gedächtnis.
In Bern (und in Norwich in vermindertem Maße), war aber schon damals ein starker Linksdrall spürbar. Es gab nebst guten und wichtigen Vorlesungen und Seminaren auch einen prononcierten Linksdrall und Lehrveranstaltungen mit grotesken Thesen und kaum verwertbarem Wissen. Das bezog sich sehr stark auf die Studentenschaft, aber auch teilweise auf den Lehrkörper.
Einmal gelang es der Studentenschaft, die Berufung eines prononciert rechten, deutschen Professors zu verhindern, und einen linken deutschen Professor mit Schwerpunkt Lateinamerika in Stellung zu bringen. Dieser blieb dann nur wenige Jahre und zog dann weiter als er seine bekannten Lehrveranstaltungen gehalten hatte. Dann wurde der Lehrstuhl gestrichen.
Im Pausenraum am historischen Seminar sah es aus wie im alternativen Kulturzentrum Reitschule. Ich «flüchtete» mich dann meist in die Stadtbibliothek, wo eine gute Arbeitsatmosphäre herrschte und mich auch einige meiner Urahnen von alten Gemälden beobachteten. Mehr als 50% der Studenten der Geschichte schlossen ihr Studium nie ab.
Was jetzt passiert, war schon damals erkennbar. Geistes- und Sozialwissenschaften waren die Wachstumsfächer der 1970er und 1980er Jahre. Nun gehören sie zu den Fächern, die die jungen Leute meiden, insbesondere Geschichte: Vor zehn Jahren studierten in der Schweiz noch gut 3019 Leute Geschichte, 2022/23 waren es noch 2409.
Zwar sind auch andere klassische Fächer unter Druck geraten wie etwa Germanistik, moderne Sprachen oder Politologie, aber kein Fach verlor so viele Studenten wie Geschichte.
Ich finde, dass der Abstieg der früheren Paradedisziplin weitgehend selbstverschuldet ist. Und man kommt diesem Problem nicht bei, wenn man anders kommuniziert.
Wo sind denn heute die Historiker, die aktuelle Ereignisse wie die Coronazeit und den Ukrainezeit einordnen und bewerten und etwas mehr bieten, als das, was man auch in den Leitmedien liest?
Die Historiker, die das tun, sind meist emeritierte Professoren und damit ältere Semester. Ein Beispiel ist Richard Sakwa, emeritierter Professor für europäische und russische Geschichte an der Universität Kent in England.
Wenn die Universitäten wollen, dass das Fach Geschichte in der Bedeutungslosigkeit versinkt, dann können sie ruhig weiterhin Lehrveranstaltungen zum Beispiel zu folgenden Themen anbieten:
- Tierspuren im Raum. Kulturanalytische Zugänge zu Mensch-Tier-Beziehungen (Uni Zürich)
- Dekolonisation, Geschlecht und Sexualität im 20. Jahrhundert (Uni Zürich)
- Tiere im Anthropozän. Zur gesellschaftlichen Natur von Mensch-Tier-Umwelt-Verhältnissen (Uni Zürich)
- Wie von Sinnen – eine Körper-, Sinnes- und Gefühlsgeschichte der katholischen Reform (16. und 17. Jh.) (Uni Bern, Seminar mit Exkursion)
- Historiker:innen in der Klimakrise (Uni Bern)
- UnVergessen: Migration, Mehrsprachigkeit und Geschichte im Pflegeheim (Uni Bern)
- Art, Panafricanism & Global Blackness. Engaging with «When We See Us. A Century of Black Figuration in Painting» (Uni Basel)
Hinzu kommt, dass es früher noch Medien gab, die Historikern, Germanisten und Politologen Job und Perspektiven boten. Heute entlässt diese Branche laufend Leute und wenn sie einmal jemanden sucht, dann garantiert keinen Historiker.
Selbst wer sich nach dem Studium noch ein Gymnasiallehrerdiplom erarbeitet, wird kaum auf das Wissen aus dem Studium zurückgreifen können – höchstens auf die Denkkategorien und Methoden. Aber das wäre ein Thema für einen anderen Newsletter.
Als ich in den 1990er Jahren Geschichte studierte, gab es immerhin noch die Medien, die sich damals in einer Hochkonjunktur befanden, und viele Historiker (und Germanisten sowie Politologen) aufnahmen.
Heute hätten die Historiker eine einmalige Chance, sich unentbehrlich zu machen, indem sie erklären, einordnen und interpretieren, indem sie also auf die aktuellen Themen und Probleme das anwenden, was sie an der Uni gelernt haben und wofür sie ausgebildet wurden.
Wo sind sie?
Herzlich
Daniel Funk
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