Die meisten Menschen kämpfen heute nur gegen das, was geschieht,
und dann ist es meistens schon zu spät.
Robert Jungk
Liebe Leserinnen und Leser
Zu Beginn eine gute Nachricht in eigener Sache: Wir haben zuletzt intensiv an unseren technischen Newsletter-Problemen gearbeitet. Die Durststrecke dürfte vorbei sein und der Versand zukünftig wieder wie vorgesehen funktionieren. Wir wissen, dass viele Leser den NL vermisst haben und freuen uns, dass wir von nun an wieder regelmässig im elektronischen Postfach aufzutreffen sind.
Das ist umso wichtiger, denn die Konflikte auf der Welt toben weiter. Auch beim jüngsten Beispiel, dem Israel-Palästina-Konflikt, wird ein biblisch-manichäisches Gut-Böse-Bild gezeichnet, das an alle appelliert, sich auf der vermeintlich richtigen Seite zu positionieren.
Bei dieser Art der Politik wird jeder über Nacht zum Experten. Jeder Twitterer will in wenigen digital ausgespülten Zeichen komplexe Probleme verstanden haben. Polemik ersetzt Debatte. Es zählt nur, die richtige Flagge aufzuhängen. Alle wollen die Guten sein. Bei so viel Gutheit spielt Doppelmoral keine Rolle.
«Wir sind alle Israelis», posaunte die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock hinaus. Da braucht es offenbar nicht zu interessieren, dass Israel laut Amnesty mutmasslich Kriegsverbrechen begeht. Natürlich ist der Hamas-Anschlag zu verurteilen, aber gehört eine Gegenoffensive mit vielen zivilen Opfern noch zur Selbstverteidigung?
Zumal es eine wichtige Rolle spielt, zu wissen, ob Israel den Anschlag wirklich nicht kommen sah oder ihn in Kauf genommen hat, um eine Legitimationsgrundlage zu schaffen, gegenüber Palästina «aufzuräumen». Die Geschichte ist voll solcher Beispiele.
Politik verkommt immer mehr zu einer banalen Tugendhaltung, wo jeder diffamiert wird, der eine andere Meinung als das dominante Mediennarrativ vertritt. Das ist bei Corona so, bei der Ukraine, beim Klima und jetzt bei Israel. Eine UNO-Resolution, die eine «humanitäre Waffenruhe» verlangt, ist gemäss Blick «umstritten» und zählt für das Boulevardblatt bereits als Israel-Kritik – immerhin nicht gleich als Antisemitismus.
So basteln sich die Medien ihre eigene Wirklichkeit. Dahinter steckt tatsächlich ein biblisches Muster: Rede den Leuten ein schlechtes Gewissen für ihre eigene Meinung ein. Leiste Busse ab, dann kommst du ins gelobte Land. Man kennt es. Stichwort Cancel Culture. Die ist zutiefst antichristlich. Einmal draussen, immer draussen. Keine Vergebung. Auch (oder gerade) in säkularisierten Gesellschaften gibt es Glaubensgemeinschaften.
Interessiert sich noch jemand für die Ukraine? Auch hier gibt es ein Muster: Als im Februar 2022 Russland die Ukraine angriff, interessierte sich die mediale Öffentlichkeit plötzlich nur noch für den «Kreml-Diktator» (so etwa die Bild). Kaum zwei Wochen zuvor hatte man sich noch gefragt: Maske? Impfung?
Corona war an den meisten Orten weg, einfach so, nach gut zwei Jahren Panikmache in Dauerschleife. Ähnliches jetzt: Nach knapp zwei Jahren scheint sich eine Ukraine-Müdigkeit einzupendeln. Die mit viel Tam Tam angekündigte Gegenoffensive im Sommer hat nichts gebracht, was inzwischen auch ukrainische Top-Militärs einräumen.
Und jetzt ist im Nahen Osten durch einen Anschlag die Gewaltspirale angefacht worden. Die Ukraine ist Nebenschauplatz geworden. Der öffentliche Diskurs beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Nahen Osten.
Dabei ist die Geschichtsvergessenheit frappant. Wie schon der Ukrainekrieg nicht erst 2022 begonnen hatte, ist der Israel-Palästina-Konflikt nicht am 7. Oktober ausgebrochen. Die Historizität hinter Konflikten zu beachten, heisst, sie besser zu verstehen. Wenn man das auslässt, bleibt man in der affektiven Moralismus-Falle stecken und geht den Meinungsinquisitoren und Aufmerksamkeitsmanagern auf den Leim.
Ich wage zu behaupten: Viele Journalisten in den bequemen Redaktionsstuben der westlichen Leitmedien verstehen kaum etwas vom Nahen Osten. Es ist hart, als Journalist zugeben zu müssen, sich in einem Themengebiet nicht ausreichend auszukennen. Denn genau das erwartet die Leserschaft. Also macht man sich etwas vor. Man bedient die Schwarz-Weiss-Schublade.
Mein Tipp: Auf Fast-Food-News und digitale Bildhäppchen verzichten und besser in einer ruhigen Minute jemandem zuhören, der sich seit Jahrzehnten mit dem entsprechenden Thema befasst. Noch besser: Bücher lesen. Im Fall Israel-Palästina kann ich zum Beispiel unseren Beitrag zum Nahost-Experten und Politikwissenschaftler Michael Lüders empfehlen.
Herzliche Grüsse
Armin Stalder
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Transition TV, Stand der Dinge am 15. Oktober: «Irgendetwas ist hier sehr falsch»
Israel behauptet, vom bevorstehenden Angriff überrascht worden zu sein. Trotzdem will es gewusst haben, dass Iran Hamas bei der Planung des Angriffs unterstützt habe. Diese und andere Ungereimtheiten legen die Frage nahe: Ist der neuste Krieg gewollt, und was könnten die Absichten sein? Die Vorgeschichte, die Rätsel und die Zukunft eines Konflikts, der gefährlich eskalieren könnte.
Redaktion und Moderation: Christoph Pfluger
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Die brandneue Ausgabe von «DIE FREIEN» ist da, diesmal unter dem Motto: «Aufsteigen im Umsturz – über Evolution und Revolution».
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In der neusten Ausgabe mit dabei: Kai Stuht, Carlos A. Gebauer, CJ Hopkins, Franzobel, James Corbett, Prof. Dr. Stefan Hockertz, Bruno Würtenberger, Sylvie-Sophie Schindler, Marco Caimi, Andreas Thiel, Titus Gebel, Marko Kovic u.v.m. ... Bestellen Sie die neunte Ausgabe hier!
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