«Verteidigungsbündnis und Wertegemeinschaft» – das soll die NATO aus Sicht der bundesdeutschen Regierung sein. «In Wirklichkeit zieht sie eine Blutspur der Verwüstung durch die Welt», schreibt dagegen die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen von der Gruppe «Bündnis Sahra Wagenknecht» (BSW) in ihrem neuen Buch «Die Nato. Eine Abrechnung mit dem Wertebündnis».
Die Schweizer Wochenzeitung Die Weltwoche hat in ihrer aktuellen Ausgabe einen Auszug aus Dagdelens Buch veröffentlicht. Darin werden die drei grossen Mythen des westlichen Militär- und Kriegsbündnisses widerlegt.
Der erste Mythos ist laut der Politikerin der, dass die NATO ein Verteidigungsbündnis auf Grundlage des Völkerrechts sei.
«Doch ein Blick in die Geschichte des Militärpakts zeigt: Weder stand bei der Gründung der Nato die gegenseitige Verteidigung im Vordergrund, noch kann bei dem Auftreten der Nato in den vergangenen Jahrzehnten von einer defensiven Ausrichtung die Rede sein.»
Sie macht darauf aufmerksam, dass der 1949 von zwölf Staaten in Washington abgeschlossene Nordatlantik-Vertrag dem Muster des Interamerikanischen Vertrages von 1847 folgte: Die Unterzeichnerstaaten sind macht- und militärpolitisch völlig ungleichgewichtig und die USA die Führungsmacht. Beide Verträge dienten einer «Pax Americana», «ein exklusives Einflussgebiet, das den USA als unbestrittener Führungsmacht Kontrolle über die Aussen- und Sicherheitspolitik der anderen Bündnispartner verschafft».
«Die Grundlage der Nato ist ein Tausch. Die übrigen NATO-Mitglieder verzichten auf Teile ihrer demokratischen Souveränität und werden dafür mit der NATO-Sicherheitsgarantie belohnt, die de facto eine Sicherheitsgarantie der USA ist.»
Mit dem völkerrechtswidrigen Angriff auf Jugoslawien 1999 habe sich die NATO zu einem «Kriegsführungspakt» entwickelt, «der bereit ist, das Völkerrecht zu brechen», schreibt Dagdelen. Dieser «Ursünde» seien der Überfall auf den Irak 2003 gefolgt, zuvor der Krieg in Afghanistan ab 2001, und dann 2011 der Überfall auf Libyen.
Der zweite grosse Mythos sei der, dass es der NATO um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gehe. So steht es in den Gründungsdokumenten des westlichen Bündnisses, das aber von Beginn an mit faschistischen Diktaturen wie der in Portugal zusammenarbeitete. Auch darauf macht Dagdelen aufmerksam, die auch an die von der NATO unterstützten Militärputsche in Griechenland von 1967 und an den in der Türkei 1980 erinnert.
Zum dritten grossen Mythos von der «Wertegemeinschaft», der es laut eigener Aussage im NATO-Strategie-Konzept von 2022 um «individuelle Freiheit, Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit» geht, schreibt die ehemalige Linkspartei-Politikerin:
«Durch die Kriege der USA und ihrer Verbündeten seien allein in den vergangenen zwanzig Jahren viereinhalb Millionen Menschen gestorben, bilanziert hingegen die renommierte Brown University in Rhode Island, USA.»
Die NATO sei keine Gemeinschaft, die Menschenrechte schütze, sondern «der Schutzschirm für die Menschenrechtsverletzungen ihrer Mitglieder». Das gelte nicht nur angesichts der Tatsache, dass soziale Menschenrechte durch die massive Aufrüstung verletzt werden. Dazu gehöre auch eine «Politik der Straflosigkeit gegenüber Kriegsverbrechen ihrer Mitgliedsstaaten».
«Wer es wie der australische Journalist Julian Assange wagt, diese Kriegsverbrechen öffentlich zu machen, der wird gefoltert und mit 175 Jahren Haft in den USA bedroht.»
Dagdelen verweist auf zahlreiche Beispiele für Verbrechen und Verstösse gegen die Menschenrechte durch die NATO-Staaten, allen voran die USA, so in Afghanistan und durch das Gefangenenlager Guantanamo. Sie zählt auch das Beispiel der Unterstützung für Saudi-Arabien zu den Belegen, dass die Menschenrechte für die NATO wenig zählen.
Ebenso macht sie auf doppelte Standards der Politik der NATO-Staaten aufmerksam: So werfe die NATO Russland vor, in der Ukraine «wiederholte Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht» zu begehen. Gleichzeitig stärke sie Israel «bei seinen offensichtlichen Verstössen gegen das humanitäre Völkerrecht in Gaza den Rücken und sichert dem Land volle Solidarität zu».
Die USA hätten bis Ende März mit ihrem Veto im Uno-Sicherheitsrat jede Resolution für einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza verhindert. Ohne die Waffenlieferungen aus den NATO-Staaten USA, Deutschland und Grossbritannien könne Israel seinen Krieg gegen die Palästinenser nicht führen, so Dagdelen.
Für die Länder im globalen Süden erscheine die NATO längst als «Wächterorganisation einer zutiefst ungerechten Weltordnung mit neokolonialen Tendenzen». Das zeige sich daran, «dass NATO-Mitglieder beim Wirtschaftskrieg gegen Russland mit sogenannten Sekundärsanktionen Drittstaaten wie China, der Türkei oder den Vereinigten Arabischen Emiraten unter Verletzung von deren Souveränität die eigene Politik aufzuzwingen versuchen».
Die BSW-Politikerin stellt in dem Auszug aus ihrem Buch fest:
«Die Mythen der NATO verklären den Blick auf die Wirklichkeit. Um Auswege aus der gegenwärtigen Krise zu finden, bedarf es ihrer Enthüllung. Heute, 75 Jahre nach seiner Gründung, treibt der Militärpakt mit seiner globalen Expansion und seinen Konfrontationen die Welt näher an den Rand eines dritten Weltkrieges als jemals zuvor.»
Buchtipp: Sevim Dagdelen: «Die NATO – Eine Abrechnung mit dem Wertebündnis»; Westend Verlag 2024. 128 Seiten; ISBN 9783864894671; 16 Euro
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