Die Verletzung der Menschenrechte ist integraler Bestandteil
des Projekts des Neoliberalismus und der globalen Hegemonie.
Arundhati Roy

Liebe Leserinnen und Leser

Im Chefsessel des deutschen Außenministeriums hat man offenbar unendliche Befugnisse. Man kann zum Beispiel Russland den Krieg erklären, umgeben von einem Medientross in High Heels über Kriegsruinen stolpern oder die Winkelmaßeinheit umwandeln. Und wenn die Gedanken den Worten hinterherhinken, was soll’s – jeder verplappert sich mal.

Jetzt durfte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sogar islamistische Terroristen in Syrien besuchen, die gerade einen Putsch durchgeführt haben. Die aus der Al-Nusra-Front, einem Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida hervorgegangene «Rebellengruppe» Haiat Tahrir al-Scham (HTS) verkauft sich jetzt als «moderat». Dennoch verweigerte ihr Chef Ahmed Hussein al-Sharaa Baerbock am letzten Freitag den Handschlag.

«Eklat!», tönte es sogleich aus dem Mediendschungel, ja sogar «Doppel-Eklat». Denn nach Baerbocks Besuch verbreitete der der Freien Syrischen Armee nahestehende Telegram-Kanal Almharar Fotos des Treffens, auf denen die Außenministerin verpixelt wurde, genauso wie zwei weitere Frauen, vermutlich Dolmetscherinnen. Zu erkennen sei Baerbock dabei «nur an ihrem auffällig legeren Outfit (helle Chino-Hose, helle Bluse)», stellt die Bild fest. Ziemlich eng anliegende Hosen, muss man hinzufügen.

Baerbocks «feministische Außenpolitik» stößt also in dem einst unter Bashar al-Assad säkular orientierten Land mit frauendiskriminierendem Islamismus zusammen. So plädierte Baerbock in Syrien unter anderem für Frauenrechte. Für «islamistische Strukturen» gäbe es kein Geld. Doch um Freiheiten und Menschenrechte geht es bei diesem Putsch nicht, sondern darum, Märkte zu öffnen, sprich: um Privatisierung. Laut dem investigativen Journalisten Kit Klarenberg planen die USA mit den neuen Machthabern den Ausverkauf Syriens.

Das Kapital kennt keine Gesinnung, die neoliberale Agenda hat keine politischen und gesellschaftlichen Präferenzen. So haben die USA, die für Assads Sturz maßgeblich mitverantwortlich sind, in zahlreichen Ländern autoritäre Regimes ermöglicht und unterstützt, wie beispielsweise in Argentinien, Brasilien, Indonesien, Zaire, den Philippinen und in Chile unter Augusto Pinochet.

Extremistische Gruppen verüben nun in Syrien Racheakte und sektiererische Morde. Dutzende von Hinrichtungen wurden bereits gemeldet. Zumindest Zweifel kämen «an der Wahrhaftigkeit der moderaten Töne aus Damaskus» immer wieder auf, wie es 20 Minuten formuliert. So habe die Übergangsregierung etwa Lehrplanänderungen vorgenommen, «die nach Ansicht von Kritikern eine ideologische Prägung erkennen lassen. Bis heute gibt es Berichte, denen zufolge die HTS-Führung den Kontakt zu al-Qaida hält».

Auch Baerbock wird bald erkennen müssen, dass Syrien unter den jetzigen Machthabern nicht «woke» werden wird. Doch bis dahin wird sie außenpolitisch vielleicht Geschichte sein.

Herzlich
Konstantin Demeter