Nun ist Syrien innerhalb von zehn Tagen gefallen, besiegt von islamistischen Gruppen – was zuvor in einem jahrelangen Krieg verhindert wurde. Doch genau dieser jahrelange Krieg – gefördert, finanziert und unterstützt vom Westen – gegen das einst säkular orientierte arabische Land hat es nun in die Knie gezwungen.
Weil es durch die jahrelangen Kämpfe ausgezehrt und geschwächt wurde, Territorien wie die Islamistenhochburg Idlib und die von Kurden beherrschten nordsyrischen Gebiete sowie die von den USA besetzten Ölfelder nicht mehr unter Kontrolle der Regierung in Damaskus waren. Und weil die westlichen Wirtschaftssanktionen in Namen von «Demokratie» und «Menschenrechten» verhinderten, dass das Land sich wirtschaftlich wieder erholen kann.
Bereits im September 2016 war dazu in einem Beitrag des Onlinemagazins The Intercept zu lesen, dass die von den USA und der EU verhängten Sanktionen gegen Syrien die schlimmste humanitäre Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg verursacht haben. Das Portal berief sich dabei auf einen UN-Bericht vom Mai 2016.
Demnach beeinflussten die Sanktionen vor allem die syrische Bevölkerung negativ und erschwerten die Arbeit der Hilfsorganisationen. Der 40-seitige UNO-Bericht bezeichnete die US-amerikanischen und europäischen Maßnahmen gegen Syrien als «das komplizierteste und weitreichendste Sanktionsregime, das jemals verhängt wurde».
Die antisyrischen Sanktionen hätten maßgeblich die Wirtschaft des Landes destabilisiert, wobei sie ein selbstversorgendes Land in eine hilfsbedürftige Nation verwandelten. In der Folge wurde Syrien von Medikamenten-, Lebensmittel-, Treibstoff-, Wasserpumpen- und Ersatzteil-Lieferungen abhängig, die aber durch Washingtons Maßnahmen verhindert würden, wonach unter anderem keinerlei Waren, deren US-Produktionsanteil zehn Prozent übersteigt, nach Syrien transportiert werden durften.
Der Krieg in Syrien seit 2011, angeführt und massiv unterstützt von einer breiten Koalition des US-geführten Westens und arabischer Staaten und umgesetzt von islamistischen «Rebellen», allen voran die Muslim-Bruderschaft und ihre Ableger, sollte das Land wie zuvor Libyen schwächen und zerstören. Es ging von Anfang an um einen Regimewechsel.
Dazu gehörte die ganze deutsche politische und mediale Kriegshetze gegen Syrien, ein Land, das der EU vor dem «Arabischen Frühling» als möglicher Partner galt und mit dem unter anderem 2004 ein Assoziationsabkommen für die geplante «Europa-Mittelmeer-Partnerschaft» vereinbart wurde. Als ein Regimewechsel in Damaskus in Aussicht stand, war die Bundesregierung in Berlin nicht nur ganz schnell dabei, sich ab 2011 an den Planungen für eine Zeit ohne Bashar al-Assad zu beteiligen.
Die Bundesregierung war von Anfang an Mittäter in dem Krieg, der Syrien zerstörte. Selbst die Bundeswehr war daran beteiligt, die sogenannten Rebellen zu unterstützen: «Ein Spionageschiff der Deutschen Marine kreuzt nach Zeitungsinformationen vor der syrischen Küste, um die dortigen Rebellen für ihren Kampf gegen Machthaber Baschar al-Assad gezielt mit Informationen zu versorgen», wurde im August 2012 gemeldet.
Die bundesdeutsche Regierung ist daran mitschuldig, dass ein Land zerstört wurde, das sich unter anderem durch eine «Geschichte des Zusammenlebens über ethnische, konfessionelle und politische Trennlinien hinweg» auszeichnete, wie es der Nahostwissenschaftler Volker Perthes in seinem Buch «Das Ende des Nahen Ostens, wie wir ihn kennen» 2015 beschrieb. Die «Anerkennung dieser gesellschaftlichen und konfessionellen Vielgestaltigkeit« sei «eines der Charaktermerkmale, ja vielleicht ... die Raison d’etre gerade des syrischen Staates» gewesen, so Perthes.
«Der Westen ist schuldig» hatte der deutsche Rechtswissenschaftler Reinhard Merkel 2013 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) bemerkenswert festgestellt:
«Wie hoch darf der Preis für eine demokratische Revolution sein? In Syrien sind Europa und die Vereinigten Staaten die Brandstifter einer Katastrophe. Es gibt keine Rechtfertigung für diesen Bürgerkrieg.»
Was in Syrien geschah, sei dem Anschein nach die mildere Form des Regimewechsels, «da sie den Sturz des Regimes dessen innerer Opposition überlässt, die von außen nur aufgerüstet – und freilich auch angestiftet – wird». Merkel bezeichnete sie als «die verwerflichste Spielart: nicht so sehr, weil sie neben dem Geschäft des Tötens auch das Risiko des Getötetwerdens anderen zuschiebt. Eher schon, weil sie die hässlichste, in jedem Belang verheerendste Form des Krieges entfesseln hilft: den Bürgerkrieg.»
Dieser Text von 2013 ist bis heute bemerkens- und empfehlenswert. Der Publizist Jakob Augstein schrieb noch 2018 im Magazin Der Spiegel von «unserem Krieg» und stellte unter anderem fest:
«Nirgends entlarvt sich westliche Heuchelei so wie in Syrien. Auch wir tragen Schuld an diesem Krieg.»
Schon 2012 war in der Online-Ausgabe des Magazins zu lesen, «Wie der Westen in Syrien heimlich Krieg führt». Der Westen sehe nicht tatenlos zu, hieß es in dem Bericht, der Markus Kaim von der regierungsfinanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zitierte: «Man kann inzwischen von einem militärischen Engagement sprechen.»
Ins Bild passt die Reaktion des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz auf die Meldungen vom Sonntag, wonach Damaskus kampflos gefallen ist und Präsident Bashar al-Assad das Land verließ. Scholz bezeichnete das als «gute Nachricht» und wiederholte die Anti-Assad-Hetze, als sei er der «Rebellen»-Sprecher.
Syrien konnte dem Krieg mit allen offenen und verdeckten Mitteln viele Jahre standhalten, dank der Unterstützung aus Russland, dem Iran und anderer Kräfte wie der libanesischen Hisbollah. Am Ende waren der Krieg des Westens und seine Sanktionen gegen das souveräne Syrien doch erfolgreich, weil sie den syrischen Staat auszehrten und auch das normale Leben der Bevölkerung so belasteten, dass die Unzufriedenheit mit der Regierung massiv anwuchs.
Hinzu kommt, dass die Unterstützer kraft- und machtlos wurden: Russland ist mit dem Krieg in der Ukraine massiv abgelenkt und Experten zufolge sind der Iran sowie pro-iranische Milizen und Kräfte wie die libanesische Hisbollah durch israelische Angriffe so geschwächt, dass sie der Regierung in Damaskus nicht mehr helfen konnten. Inzwischen ist Israel in Syrien einmarschiert, wie gemeldet wurde.
Der britische Journalist Afshin Rattansi erklärte in einem Post am Sonntag auf der Plattform X:
«Die USA und Israel haben endlich den schmutzigen Krieg gegen Syrien gewonnen, das jahrelang durch strafende Sanktionen, eine illegale US-Besatzung, die Syriens Öl gestohlen hat, was zu chronischem Treibstoffmangel führte, und mehr als ein Jahrzehnt Waffen und Finanzmittel für ISIS, Al-Qaida und ihre Ableger dezimiert wurde. HTS-Führer Abu Mohammad al-Jolani, der faktische Führer Syriens, wurde in den westlichen Medien vom fanatischen Extremisten zum vielfaltsliebenden ‹gemäßigten Dschihadisten› umgetauft.»
Die USA setzen ihr ungezügeltes, völkerrechtswidriges Treiben in Syrien fort: Der amtierende US-Präsident Joseph Biden ließ mitteilen, dass das US-Militär, das sich illegal in Syrien befindet, dort weiterhin bleiben werde. Außerdem griff die US-Luftwaffe Meldungen zufolge 75 Ziele des «Islamischen Staates» (IS) in Syrien an, einer Terrororganisation, die Washington mit ins Leben rief.
Wer wissen und verstehen will, was in Syrien geschah und geschieht, dem seien die Informationen und Berichte von Karin Leukefeld empfohlen. Sie ist eine der wenigen westlichen Journalistinnen und Journalisten, die seit Jahren immer wieder vor Ort sind und dort recherchieren.
So berichtete Leukefeld unter anderem am Sonntag auf den NachDenkSeiten, wie die Menschen in Syrien die Entwicklung und die Ereignisse erleben und sehen, seitdem die sogenannten Rebellen unter Führung der Islamisten-Miliz HTS ihren Überfall am 27. November begannen. Sie zitiert einen Gesprächspartner aus Damaskus, der Respekt vor Assad äußerte, der immer unter Druck von allen Seiten gestanden habe.
«Er hat angeordnet, dass nicht gekämpft wird, um ein Blutvergießen zu vermeiden. Er wollte verhindern, dass das Land in Flammen aufgeht.»
Assad, der noch im Abgang die westlichen Lügen über ihn als «blutrünstigem Diktator» widerlegt, konnte seinen endgültigen Sturz nicht verhindern, nachdem er 2011 auf die beginnenden Proteste, von außen angeheizt, in seinem Land auch mit Gewalt reagierte, um eine ähnliche Entwicklung wie zuvor in Libyen zu verhindern. Hinzuweisen ist noch auf einen Text des indischen Journalisten Vijay Prashad, der ähnlich wie Leukefeld die aktuelle Situation in Syrien auf Basis von Gesprächen mit Menschen in Damaskus kurz analysierte.
«Der syrische Staat war durch den Krieg, der 2011 begann, und dann durch die Sanktionen, die die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten gegen das Land verhängten, am Boden zerstört worden. Die Syrische Arabische Armee (die offizielle Staatsarmee) hatte sich nach den großen Kämpfen nie vollständig erholt und war nicht in der Lage, die wichtigsten Städte Hama, Homs und Aleppo zurückzuerobern.»
Prashad wies auch auf die Rolle Israels hin, das mit dazu beitrug, Syrien sowie dessen Unterstützer zu schädigen und zu schwächen. Die Islamisten der HTS, die sich in der Region Idlib auf den Angriff seit Jahren vorbereiteten, hätten auch verdeckte israelische Hilfe bekommen. Und er stellt fest:
«Der fast drei Jahre andauernde Konflikt in der Ukraine hatte Syrien sicherlich die Möglichkeit genommen, weitere russische Hilfe zum Schutz von Damaskus oder für den russischen Marinestützpunkt in Latakia anzufordern. Daher hatte die syrische Regierung nicht mehr die Unterstützung ihrer iranischen und russischen Militärverbündeten gegen die erstarkten Rebellen.»
Russlands Präsident Wladimir Putin hatte unter anderem 2017 noch erklärt, dass die islamistischen Terroristen in Syrien mit allen Mitteln bekämpft würden, damit sie nie wieder Unheil anrichten könnten. Am Ende kam es 2020 nach massiven Kämpfen der syrischen Armee, unterstützt von russischen Kräften, mit den verschiedenen Gruppen in der Region Idlib zu einer Verhandlungslösung, vermittelt von Russland und der Türkei, ohne den Westen.
Jetzt blieb Moskau nur noch, Präsident Assad aus Syrien zu evakuieren und ihm «humanitäres Asyl» zu gewähren, wie gemeldet wurde. Wie das russische Portal RT DE berichtet, kontrollieren die «Rebellen» zwar das Gouvernement Latakia, auf dessen Gebiet sich russische Militärbasen befinden. Diese würden aber nicht bedroht und befänden sich seit Sonntag im Alarmmodus.
Westliche Medien können ihre Freude über die Ereignisse und die Folgen nicht verhehlen: «Russland ist der große Verlierer» war bei Welt online zu lesen. «Für Putin ein Zeichen der Schwäche» titelte die FAZ und zitierte Alexandr Baunow von der Carnegie-Denkfabrik, der auf der Plattform Telegram geschrieben habe, was Russland für Assad in zwei bis drei Jahren erobert habe, habe es «in zwei, drei Tagen verloren».
Nun wird auch Syrien von Islamisten beherrscht. Es wird das Schicksal Libyens und zuvor des Iraks erleiden, nachdem der US-geführte Westen diese Länder offen und verdeckt angegriffen hat: Ein einst für arabische Verhältnisse modernes Land, aufgeteilt in Einflussbereiche, verschiedener Gruppen, darunter terroristische Islamisten, zerrissen und zerstört mit westlicher Hilfe, mit einer Bevölkerung, für die der Kampf um die tägliche Existenz das Wichtigste ist und bleibt, egal, wer an der Macht ist oder sich darum streitet.
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