Aus dem Ungarischen übersetzt von Éva Péli.
Andrij Parubij war eine bekannte Persönlichkeit des öffentlichen und politischen Lebens in der Ukraine. Als Kommandant der «Maidan-Selbstverteidigungskräfte» während der Euromaidan-Proteste, die Ende 2013 begannen, leitete der damals 42-jährige Politiker eine improvisierte Sicherheitsorganisation, die die Demonstranten vor den Truppen des Innenministeriums schützen sollte.
In dieser Funktion wusste Parubij möglicherweise viel über die dunklen Geheimnisse des Maidans: Wer auf dem Unabhängigkeitsplatz auf Demonstranten und Berkut-Mitglieder (Anm. Red.: Spezialeinheit der ukrainischen Miliz, die dem Innenministerium unterstellt war) schoss. Angeblich leitete er diese Auftragsmörder, die georgischen Scharfschützen. Es existiert auch ein Foto von ihm, das ihn zeigt, wie er nach den Ereignissen aus dem Hotel «Ukraine» kam.
Als Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates des Präsidenten leitete er später zudem eine Untersuchungskommission zur Aufklärung der Geschehnisse. Dies gelang jedoch nicht, da der politische Wille dazu fehlte. Inzwischen hat die ukrainische Regierung neben Bandera und seinen Mitstreitern die Opfer des Maidan, die zu Helden erhoben und als «Himmlische Hundertschaft» bekannt wurden, zum ideologischen Grundpfeiler des Systems gemacht.
Es ist peinlich, und viele meinen, es sei vielleicht besser, wenn die dunklen Geheimnisse des Maidan für immer im Dunkeln bleiben. Parubij tat sich nicht nur dadurch hervor, dass die Nationalisten unter seiner Führung die anfänglich friedlichen Euromaidan-Proteste vereinnahmten und in einem Blutbad versinken ließen.
Er war dabei zwar nur eine Marionette, die aus dem Hintergrund gesteuert wurde. Diese Marionette entwickelte jedoch manchmal ein Eigenleben. Bei den tragisch endenden Auseinandersetzungen zwischen Nationalisten und prorussischen Kräften am Gewerkschaftshaus in Odessa agierte er mit hoher Wahrscheinlichkeit als Drahtzieher. Bei dem Massaker vom 2. Mai 2014, als Dutzende russischstämmige Menschen getötet wurden, spielte Parubij eine zentrale Rolle, nachdem diese in das Gebäude gelockt und es in Brand gesetzt worden war.
Mindestens 48 Menschen starben in dem brennenden Haus, während Fliehende erschossen oder gezwungen wurden, aus den Fenstern in den Tod zu springen. Diejenigen, die überlebten, wurden von der Polizei und Zivilisten angegriffen. Nach Aussage von Vasil Prozorov, einem ehemaligen SBU-Beamten, organisierte Parubij an diesem Tag den Transport bewaffneter nationalistischer Milizionäre nach Odessa und überwachte deren Koordination.
Als Belohnung für seine Taten wurde er zunächst zum Abgeordneten und dann, von 2016 bis 2019, zum Parlamentssprecher beziehungsweise -präsidenten (Werchowna Rada) ernannt. In dieser Position drückte er das Bildungsgesetz durch, das die ungarische Minderheit in der Ukraine hart traf. Er ließ die Rada so lange abstimmen, bis das Gesetz verabschiedet war. (Anm. Red.: Das Bildungsgesetz, das 2017 vom ukrainischen Parlament verabschiedet wurde, hat zum Ziel, die ukrainische Sprache als einzige Unterrichtssprache an Schulen zu etablieren. Dies schränkt den Gebrauch von Minderheitensprachen, einschließlich Ungarisch, im Bildungssystem stark ein.) Und dass das möglich war, sagt viel über die Ukraine aus.
Parubij engagierte sich bereits mit 17 Jahren politisch und verfolgte von Beginn an eine radikal nationalistische Linie. 1988 gründete er in Lwiw die Organisation «Szpadsina», die sich der Restaurierung der Gräber von Mitgliedern der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) widmete und die ersten antisowjetischen Demonstrationen in der Westukraine organisierte. 1990 wurde er Abgeordneter des Regionalrats von Lwiw und gründete 1991 zusammen mit Oleh Tjahnybok die Sozial-Nationale Partei der Ukraine (SNPU), die später in «Swoboda» umbenannt wurde.
2004 nahm er am ersten Maidan teil und war dort Kommandant des Ukrainischen Hauses. Anschließend schloss er sich der Partei «Unsere Ukraine» von Wiktor Juschtschenko an. Parubij erlangte während des zweiten Maidan nationale Bekanntheit, wo er als einer der Hauptführer die sogenannte Selbstverteidigung koordinierte.
Nach den vorgezogenen Wahlen 2014 kandidierte Parubij auf der Liste der «Volksfront» und wurde zunächst Erster Stellvertretender Vorsitzender der Rada. Nachdem Wolodymyr Hrojsman zum Ministerpräsidenten aufgestiegen war, übernahm Parubij dessen Posten als Parlamentspräsident. Bei den Parlamentswahlen 2019 kandidierte er auf der Liste von Petro Poroschenkos Partei «Europäische Solidarität».
Nach Beginn der russischen Invasion erschienen Fotos und Videos von ihm, die ihn in Militäruniform mit einem Maschinengewehr an einem Kontrollpunkt in Kiew zeigten. In den letzten drei Jahren stand er jedoch nicht im Rampenlicht und war politisch nicht aktiv.
Wer hat die Fäden in der Hand?
Wer könnte dann ein Interesse an seiner Hinrichtung gehabt haben? Die naheliegendste Vermutung wären die Russen, da Parubij als ihr Erzfeind galt, mit zahlreichen Morden in Verbindung gebracht wurde und sehr unbeliebt war. Doch warum sollte der Mord gerade jetzt stattfinden, da er sich bereits aus der Politik zurückgezogen hatte?
Die Wahrscheinlichkeit einer Abrechnung innerhalb der ukrainischen Politik ist größer. Ein Mord aufgrund von Konflikten zwischen extremistischen Gruppen ist dabei nicht auszuschließen. So zeigte sich die neonazistische Gruppe «White Phoenix» erfreut über die Nachricht von dem Mord und bezeichnete Parubij als «Verräter und Schänder der ukrainischen Nation und der weißen Rasse».
Auch die Möglichkeit einer Abrechnung im Unterwelt-Stil sollte nicht außer Acht gelassen werden, da Parubij in den letzten zehn Jahren plötzlich sichtbar reich geworden war, und Vergesslichkeit kann in solchen Fällen das eigene Leben kosten.
Angesichts der zunehmend angespannten Lage in der Ukraine könnte aber auch in den Kreisen der Macht der Gedanke aufgekommen sein, dass Parubij besser als die meisten anderen wusste, wie eine Revolution zu organisieren ist. Es wird oft betont, dass er das nötige Wissen besaß, um Maidan-Proteste zu initiieren. Zusammen mit einigen «harten Jungs» hätte er zudem die Führung einer Protestbewegung übernehmen können, die infolge eines Friedensabkommens, das als Kapitulation empfunden wird, ausbrechen könnte.
Aber es kann auch etwas anderes hinter den Ereignissen stecken. Mit dem nahenden Ende des Projekts namens Ukraine ist es sehr wahrscheinlich, dass sich solche Fälle häufen werden. In solchen Momenten beginnen die Aufräumarbeiten, die Fäden werden durchtrennt, und diejenigen verschwinden, die zu viel und unangenehme Dinge wissen – zum Beispiel, was auf dem Maidan oder in Odessa geschah.
Der Beitrag ist auf Ungarisch online hier erschienen