Der Winter der Jahre 2021/22 dürfte noch vielen Erinnerung geblieben sein. Diverse G-Regeln, Ausgrenzung und drohender Impfzwang: Die kompromisslose Corona-Politik ließ die Stimmung hochkochen. Wer an die allseits proklamierte Gefahr durch ein Virus nicht glaubte, erlebte die Hölle.
Die Regierungen in Bund und Ländern verschärften die Maßnahmen beinahe täglich. Sie schränkten zunehmend die individuelle Freiheit ein und wurden immer übergriffiger. In der Gesellschaft breitete sich Ungewissheit aus. Was durfte man morgen noch machen? Wie weit würde der Staat gehen? Welche Maßnahmen waren als nächstes zu befürchten? Diese und andere Fragen zermarterten vielen Menschen den Kopf und absorbierten Unmengen an Lebenskraft.
An jene schreckliche Zeit erinnert nun der Musiker Klaus Armin Mertens mit einer EP. «Winter in Deutschland» heißt sie und lässt die Gefühlswelt von damals in drei Songs aufleben. Jedes von ihnen kreist um eine ganz bestimmte Gemütslage, um eine emotionale Gestimmtheit, wie sie gerade Maßnahmenkritiker nahezu täglich erlebten.
Die Schlinge zieht sich zu
Der titelgebende Song etwa beschäftigt sich mit dem Eindruck, dass sich der Raum der individuellen Entscheidung sich kontinuierlich verengt. Die Testpflicht greift immer weiter um sich, dringt in jeden Lebensbereich ein, wird zur Voraussetzung für die Teilnahme am öffentlichen Leben. Der Zwang steigert sich mit jeder neuen Verordnung, die Schlinge, heißt es in dem Song, zieht sich Tag für Tag zu.
Thematisiert «Winter in Deutschland» einen äußeren Konflikt, so steht in dem Song «Verbinde die Punkte» ein sozialer Konflikt im Mittelpunkt, einer, den Maßnahmenkritiker bis heute austragen. Geschildert wird die Auseinandersetzung mit Menschen, die konform sind, die den offiziellen Narrativen kritiklos folgen, die sich abwenden und verschwinden. Menschen, die man zuvor zu kennen glaubte, die man für reflektiert hielt. «Warum kannst Du nicht sehen, was ich seh», fragt Mertens, bevor er die Adressaten zum Handeln auffordert: «Verbinde die Punkte / Verbinde die Punkte!»
Mertens spricht in dem Song die gesellschaftliche Spaltung an, den tiefen Riss, der gerade in jenem Winter 20/21 nicht nur durch Freundschaften, sondern auch durch Familien ging:
Du sagst, Du kannst nichts ändern,
steckst den Kopf in den Sand .
Du hast es Dir bequem gemacht
und willst von nichts was wissen.Ich erkenn Dich nicht wieder .
Die Gräben werden tiefer .
Ich erkenn Dich nicht wieder ...
Auswandern oder standhalten?
Der dritte und letzte Song hebt einen inneren Konflikt hervor. «Sonderburg», so der Titel, erinnert an einen emotionalen Tiefpunkt, an dem viele Maßnahmenkritiker zu glauben begannen, sich nur durch eine Flucht vor dem Maßnahmen- und Verordnungsterror retten zu können. Das Leben in Deutschland erschien immer weniger lebenswert. Auswandern oder standhalten? Das war die Frage, die viele umtrieb. Und wenn man sich für die Flucht entscheidet, wohin sollte die Reise führen? Wo würde man so leben können wie zuvor? Wo wäre man vor dem globalen Arm der Corona-Politik sicher?
Wohin sollen wir gehen?
Wohin, wenn es hart auf hart kommt?
Wohin können wir fliehen?
Wohin, wenn es hart auf hart kommt?
Mertens hat seine EP nach langer musikalischer Schaffenspause produziert. Gekleidet ist sie aber in den gleichen Sound, den er schon in den 1980er-Jahren zu kultivieren begann.
Sturm- und Drangzeit in den späten 1980ern
Mertens ist in dieser Phase ein aufstrebender, ambitionierter Musiker, inspiriert von Gruppen aus den 60ern und 70ern: The Rolling Stones, Small Faces, Booker T. & the M.G.’s. Weitere Einflüsse üben der britische R’n’B und der Soul aus. Stilistisch fühlt sich Mertens zu Power-Pop hingezogen. Er spielt Gitarre, schreibt Songs und singt sie gleich selbst, unabhängig davon, mit welcher Gruppe er auftritt.
Im West-Berlin der späten 80er und frühen 90er musiziert er lange Zeit in dem Trio «die tanzenden herzen». Mertens spricht von einer «Sturm- und Drangzeit», wohl auch deshalb, weil er sich ausprobiert, neue Wege geht und nach den Sternen greift. Zwei Alben produziert das Trio. Doch der große Erfolg bleibt aus. 1993 löst sich die Band auf. Die verlorenen Träume werden bittere Realität.
Mertens widmet sich daraufhin einem bürgerlichen Beruf, hortet aber noch immer eine Menge Songs, die aus jener Sturm- und Drangzeit übrig geblieben sind. Nach elf Jahren Pause bekommt er wieder Lust auf Musik und gründet die Band «dunkelrot», ohne das Ziel zu verfolgen, groß herauszukommen. Bis 2008 tritt er mit ihr auf und trägt jene Songs vor, die er damals geschrieben hat.
Auferstehung während der Corona-Zeit
In dieser Zeit entsteht das Album «Ich brauch mehr Zeit», das im prestigeträchtigen Musikmagazin Rolling Stone eine Rezension bekommt. Der Titel «Lass uns tanzen» wird sogar in die Heft-CD aufgenommen. Dann geht auch diese Periode zu Ende. Lange Zeit sieht es so aus, als würde kein zweites Comeback folgen. Doch Mertens steht wieder auf, ausgerechnet während der Corona-Krise.
Wenn er sich an den Beginn der Maßnahmenpolitik erinnert, spricht er von einer «völlig irren Zeit». Ein prägender Moment für ihn war das Interview mit Bill Gates in den ARD-Tagesthemen. «Als er davon sprach, sieben Milliarden Menschen impfen [lassen] zu wollen [siehe hier bei Minute 17:28], ist auch bei mir der Schalter umgekippt», erklärt Mertens. In der Gesundheitspolitik hätten nicht Leute wie Bill Gates zu entscheiden, so der Musiker. Richtig kriminell sei es dann in jenem Winter 2021/22 geworden, als die Impfkampagne startete und die sogenannten G-Regeln eingeführt wurden.
In dieser emotional aufgeladenen Zeit nimmt Mertens an sämtlichen Demonstrationen und Montagsspaziergängen teil, vordergründig im Berliner Stadtteil Pankow. Nach und nach lernt er Künstler aus der alternativen und kritischen Kulturszene kennen, verkehrt in Bars und Kleinkunstbühnen, wo diese regierungskritische Kunst aufgeführt wird. So kommt er in Kontakt mit Musikern wie Jens Fischer Rodrian, Lüül und der BasisBandBerlin, bis er bei einem ihrer Auftritte als Gastmusiker mitwirkt.
In der alternativen Kulturszene weht frischer Wind. Dissidententum mischt sich mit Lebensfreude, Aufbruchstimmung mit dem Wunsch nach Veränderung. Mertens lässt sich von dieser kreativen Energie inspirieren. Auch er will an dieser Szene teilhaben, auch er will etwas produzieren, Musik, die die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre aus seiner Sicht zum Ausdruck bringt.
Was ihm immer noch auf der Seele brennt, ist jener Winter 2021/22. Er will ihn aufarbeiten und schreibt eine Art Corona-Trilogie, die textlich die damaligen Emotionen zusammenfasst und sich musikalisch an Vorbilder wie Gang of Four oder The Who anlehnt.
Wer sich diese EP anhört, wird vermutlich sich selbst erkennen, eben weil Mertens darin Emotionen verarbeitet, die damals wohl alle Maßnahmenkritiker hatten. Frust, Wut und Angst gingen eine gefährliche Symbiose ein. Der Musiker will dadurch zur Aufarbeitung beitragen, auch in seinem eigenen familiären Umfeld: «Dort bleibt bis heute noch einiges zu klären».