Ich muss niesen. «Gesundheit», sagt mein Gesprächspartner. «Vielen Dank» sage ich. Und versichere, ich werde mein Bestes tun. Wir verabschieden uns. «Bleiben Sie gesund», ruft mir mein Gegenüber noch zu. «Sie auch», erwidere ich.
Auf dem Weg nach Hause denke ich über diese Worte nach. «Bleiben Sie gesund» − eine Floskel, die seit der C-Zeit fast schon das «Tschüss» oder «Adieu» oder «Mach’s gut» abgelöst hat. Es ist gar nicht so einfach, gesund zu bleiben. Körperlich kann ich bewusst darauf achten: ausgewogene Ernährung, möglichst wenig Fast Food, aber viel Bewegung, nicht Rauchen, Alkohol nur in homöopatischen Mengen, etc. etc. Bücher und Zeitschriften mit diesen Themen sind Legion.
Aber geistig? Seelisch? Ich frage mich, was Gesundheit eigentlich ausmacht. Denn wenn wir ehrlich sind, dann fühlen sich viele zumindest auf der geistigen Ebene nicht mehr gesund. Viele, mich eingeschlossen, haben in den letzten Jahren eine Ausgrenzung erfahren, die niemand in unserem demokratischen Land für möglich gehalten hätte. Es war fast so, als hätte eine kollektive Psychose die Gesellschaft erfasst.
Also hab ich bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nachgelesen. Es gebe keine einheitliche Definition für Gesundheit, heißt es dort. Stattdessen sind dort «vier charakteristische wissenschaftliche Kernvorstellungen für Gesundheit» zu lesen:
- Idealzustand mit völligem Wohlbefinden ohne jede körperliche, psychische und soziale Störung
- Persönliche Stärke, die auf körperlichen und psychischen Eigenschaften beruht
- Leistungsfähigkeit zur Erfüllung von gesellschaftlichen Anforderungen, insbesondere von alltäglichen Rollenverpflichtungen
- Gebrauchsgut (Ware), das hergestellt und ’eingekauft’ werden kann»
Ausgehend von einem Idealzustand, sind wir eigentlich alle krank; die einen mehr, die anderen weniger. Selbst wenn es uns körperlich gut geht und wir uns auch psychisch grossartig fühlen, dann haben wir es doch derzeit mit sozialen Störungen zu tun, die über kurz oder lang auch die Psyche angreifen.
Wo ich auch hinschaue, scheint die Prämisse zu gelten: «Habt Angst!» − «Habt Angst vor dem Virus, es wird euch töten. Habt Angst vor der Impfung, sie wird euch töten. Habt Angst vor dem Klimawandel, er wird euch töten. Habt Angst vor dem Russen, er steht bald in Berlin. Habt Angst vor den Rechten, sie gefährden unsere Demokratie.» Unsere Innenministerin würde vielleicht noch hinzufügen: «Habt Angst vor jenen, die eine Meinung vertreten, welche nicht die unsere ist, denn sie zerstören auf jeden Fall unseren Staat.»
Jedem die ganz eigene Angst seiner je eigenen Blase. Ich möchte nicht Meister Yoda aus Star Wars I bemühen, der wusste, dass Angst zu Hass und Hass zu unsäglichem Leid führt; der Weg der dunklen Seite der Macht eben. Aber ich denke, allen ist klar, dass Angst letztlich krank macht.
Nun scheint es auf eine Eskalation hinauszulaufen: Immer mehr Waffen für die Ukraine. Niemand spricht der Ukraine das Recht ab, sich verteidigen zu können und zu dürfen. Der Angriffe Russlands war nach der UN-Charta nun einmal illegal wie auch die Bombardements der USA im Nahen Osten. Nur müssen wir uns schon die Frage stellen: Wann haben Kriege je zu Frieden geführt?
Die Massnahmen gegen den Klimawandel eskalieren, und die Versuche unsere Demokratie zu schützen, schaukeln sich hoch zur drohenden Abschaffung der Meinungsfreiheit und damit der Demokratie, die wir doch so vehement schützen wollen.
Der Satz, der Voltaire zugeschrieben wird und jedem Demokraten gut zu Gesicht stünde, scheint nicht mehr zu gelten: «Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie vertreten dürfen.»
Gesundheit! − Ja, danke. Aber wie, wenn eine Gesellschaft krank ist und jeder sich nur in seiner eigenen Blase oder vor dem Bildschirm bewegt, berieselt von TicToc-Videos? Wie lustig sind doch Katzenvideos!
Wenn ich nicht mehr weiter weiss, denke ich an Jesus; vor allem dann, ja. Er war ein phantastischer Menschenkenner. Er würde vielleicht sagen: «Dann geht doch mal aus eurer Blase und reicht einander die Hände. Verurteilt nicht vorschnell.» (Matthäus 7) Er würde vielleicht sagen: «Fangt damit an, eure Angst abzulegen und einen Prozess der Heilung einzuleiten.»
Als ein Aussätziger Jesus gebeten hatte: «Herr, wenn du willst, kannst du mich rein machen» (Matthäus 8,1-4), da sagte Jesus nicht: «Nein, komm am Montag wieder.» Oder: «Vergiss das mit der Heilung. Aber ich kann dir eine hübsche Geschichte darüber erzählen.» Gesund werden, so denke ich, braucht Taten, keine Sonntagsreden. Das heisst heute vor allem: Ängste benennen, im Gespräch, im Gebet.
In der Frage des Aussätzigen schwingen Angst und Hoffnung mit: «Ohne dich bleibe ich krank!» Aber er fragt, aber er bittet! Sein Weg zu umfassender Gesundheit weist also eine geistige Bewegung auf, heraus aus einer bisherigen Gefangenschaft der Gewöhnung ans Kranksein. Es ist gleichsam ein Weg aus der eigenen Blase.
Gehen wir heraus aus bisherigen Mustern auch der Ablehnung, des Widerwillens. Kämpfen in der Sache ist gut, ankämpfen gegen Menschen ist zweifelhaft. Auch wer eine ganz andere Meinung hat, zählt zu den Geschöpfen Gottes, einschliesslich einer Nancy Faeser.
Gesundwerden braucht die ganz praktischen Bewegungen wie: Raus aus dem Haus, rein in die Natur; Fernseher aus, Lagerfeuer an; mit realen Menschen lachen und tanzen. Und es braucht den Wechsel der Wahrnehmung: Raus aus den Festlegungen, hin zu angstfreien Begegnungen.
In diesem Sinne sage ich nicht: «Bleiben Sie gesund», sondern: «Keine Angst; werden Sie gesund!»
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Wort zum Sonntag vom 11. Februar 2024: Die Jagd ist eröffnet!
Edgar Rebbe ist Gemeindepfarrer in der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Varel. Er hat sich während der Coronazeit mit seinen kritischen Äusserungen zu diversen Massnahmen nicht nur Freunde gemacht. In Gottesdiensten und Gemeindeveranstaltungen ermutigt er zu offener Diskussion und respektvollem Miteinander.
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