Leute, die an dieses Märchen
von der Künstlichen Intelligenz glauben wollen,
machen sich selber dümmer, als sie sind,
nur damit die Maschine schlauer erscheint.
Jaron Lanier
Liebe Leserinnen und Leser
In den letzten Tagen berichteten unter anderem die Frankfurter Rundschau und der Spiegel darüber, dass Israel im Krieg gegen die Hamas eine künstliche Intelligenz (KI) einsetze, um Ziele der Hamas zu finden – und natürlich anzugreifen. Beide Artikel beziehen sich auf einen Bericht aus The Guardian. In der FR ist zu lesen: «Auf Hebräisch trägt die KI den Namen ‹Habsora›, was der Guardian ins Englische mit ‹The Gospel› (dt. etwa ‹reine Wahrheit›, ‹Evangelium›) übersetzt.»
Nomen est omen – damit ist also klar: Die KI, die Maschine, trägt nicht bloss einen Namen und wird dadurch personifiziert. Sie ist auch ganz klar in ein religiöses Narrativ eingebettet: Als «Evangelium» verkündet und vollzieht sie die «reine Wahrheit», quasi in einem Rutsch. Der Mensch erscheint da nur noch als ein Anhängsel, ein Erfüllungsgehilfe der vermeintlich unfehlbaren Maschine.
Der Spiegel berichtet dazu weiter lapidar: «Für jedes Ziel gebe es eine Datei mit einem Kollateralschadenwert.» Aha. Neuerdings wird also auch getöteten Menschen oder vielmehr solchen, die getötet werden sollen, ein Zahlen-«Wert» zugeordnet. Und zwar von einer KI. Es ist der «Kollateralschadenwert» – allein der Begriff ist an Zynismus wohl kaum zu übertreffen.
Interessanterweise wird zwar in den erwähnten Artikeln der Einsatz der Kriegs-KI durchaus kritisch betrachtet respektive auf «Experten» verwiesen, die diesen Einsatz kritisieren. Doch die Kritik besteht mehr oder weniger in der Feststellung, dass die KI (noch) nicht präzise genug sei und deswegen unter anderem zu viele zivile Opfer fordern würde.
Das Hauptproblem und die entscheidende Frage werden meines Erachtens jedoch gar nicht thematisiert: Das ist nämlich die Frage nach der Verantwortung. Auch im Krieg, auch beim Militär, auch in Extremsituationen gibt es das Prinzip Verantwortung. Wer aber ist verantwortlich für Entscheidungen, die eine KI, also eine Maschine trifft? Insbesondere dann, wenn es dabei um Leben und Tod geht? Wer ist verantwortlich für «Fehler» in der Berechnung durch die KI?
Machen wir es noch deutlicher: Wer ist verantwortlich für mögliche Kriegsverbrechen, die aufgrund der Berechnungen der KI begangen werden? Was ist, wenn die KI am Ende vorschlägt oder gar fordert, eine Atombombe zu zünden? Was, wenn sie einen Völkermord als einzige «Lösung» vorschlägt?
Ich erinnere mich noch daran, dass wir solche Fragen einmal in einem Philosophie-Seminar an der Uni besprochen haben. Das ist bereits viele Jahre her. Damals war die Diskussion – wie so oft in philosophischen Seminaren – sehr theoretisch …
Nichtsdestotrotz kann die Philosophie und deren Geschichte auch hier hilfreich sein. Die Fragen nach Verantwortung und Schuld stellen sich, wenn man sie unter den Bedingungen der Möglichkeiten der KI betrachtet, noch einmal anders, aber nicht gänzlich neu. In «Was heisst persönliche Verantwortung in einer Diktatur?» konstatiert Hannah Arendt, die 1933 als junge Jüdin aus Nazi-Deutschland zuerst nach Frankreich und schliesslich in die USA emigrierte:
«So etwas wie kollektive Schuld oder kollektive Unschuld gibt es nicht; der Schuldbegriff hat nur Sinn, wo er auf Individuen angewendet wird.»
Sich darüber im Klaren zu sein, ist nicht nur relevant im Umgang mit einer KI, sondern immer dann, wenn das eigene Urteil und das eigene Handeln des Einzelnen gefragt sind. Verantwortung und Schuld liegen immer bei Individuen, nicht bei einer Maschine und auch nicht bei einer abstrakten Gruppe, einem Kollektiv. Es bleibt zu hoffen, dass diese Differenzierungen möglichst vielen Menschen auf allen Seiten bewusst sind.
Herzliche Grüsse
Susanne Schmieden
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