«Heute kann die Polizei in der Regel erst einschreiten, wenn eine Person eine Straftat begangen hat», steht in den Erläuterungen des Bundesrats zum Referendum gegen das PMT-Gesetz – dem Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus –, über das am 13. Juni abgestimmt wird. Dieser Satz ist dem ehemaligen Staatsanwalt Paolo Bernasconi ein Dorn im Auge. Er droht, die Abstimmung mit einer Klage vor Bundesgericht zu «sprengen», wie das Tessiner Nachrichtenportal tio.ch gestern berichtete.
«Es ist eine verlogene Dummheit: Ein Bursche im ersten Semester Strafrecht fällt durch, wenn er so etwas sagt. Man muss kein Jurist sein, um zu verstehen, dass schon der Versuch, ein Verbrechen zu begehen, strafbar ist»,
stellte Bernasconi klar.
In der Tat sieht das Strafgesetzbuch bereits vor, dass die Staatsanwaltschaft auf Empfehlung der Polizei einschreiten muss, und sei es nur bei Verdacht auf Vorbereitungshandlungen für schwere Straftaten wie Mord, Raub, Brand, Körperverletzung, Entführung und dergleichen.
Der Jurist schliesse deshalb nicht aus, dass es ein ähnliches Nachspiel geben könnte wie bei der kantonalen Abstimmung über die Selbstverteidigung: Ende April 2021 gab das Bundesgericht einem Beschwerdeführer Recht und annullierte die Abstimmung, aufgrund falscher Aussagen im Abstimmungsbüchlein.
Bernasconi moniert, dass der erwähnte Satz nicht nur im Abstimmungsbüchlein enthalten ist, sondern in den letzten Tagen von mehreren Befürwortern des neuen Gesetzes aufgegriffen und wiederholt wurde, so zum Beispiel von Nationalrat Marco Romano und Norman Gobbi, Leiter des Departementes für Inneres, Justiz und Polizei. Zu Gobbi meinte Bernasconi:
«Ich bezeichne ihn als Polizeiminister, nicht als Justizminister, denn seit er im Amt ist, tut er alles, um Befugnisse von der Justiz auf die Polizei zu übertragen»
Mit dem neuen Gesetz würde keineswegs alles beim Alten bleiben, sondern das Ablagesystem würde geändert werden, erklärt Bernasconi:
«Die Geheimdienste, sowohl auf Bundes- als auch auf Kantonsebene, wären befugt, auf der Grundlage eines einfachen Likes auf eine als extremistisch eingestufte Äusserung eine enorme Archivierung mit anschliessenden Kontrollen durchzuführen. Es ist ein völlig freiheitsfeindliches Gesetz.»
Jemanden als potenziellen Terroristen zu definieren, der lediglich «Angst und Furcht verbreitet», sieht der Jurist als Angriff auf die Meinungsfreiheit von Bürgern und Journalisten.
Bernasconi kritisiert zudem, dass im neuen Gesetz restriktive Massnahmen auch gegen Kinder ab zwölf Jahren verhängt werden können (15 Jahre bei Hausarrest). Ein Alter, in dem man aus Neugier oder Naivität einige «Jugendsünden» begehen würde, die aber nicht als Extremismus im eigentlichen Sinne des Wortes zu definieren seien. Abschliessend fragt Bernasconi:
«Gobbi selbst nannte die Tierrechtsideologie als Beispiel von Extremismus. Wenn der Bundesrat in seiner Botschaft schreibt, dass ‹ein Like genügt›, wird dann ein Like für ein Tierrechtsmanifest genügen, um die Handys der Schweizer auszuspionieren?»