Von kognitiver Dissonanz spricht man, wenn Menschen Unbehagen empfinden aufgrund von Diskrepanzen in ihren eigenen Gedanken oder Überzeugungen. Ein Beispiel: Jemand, der stolz darauf ist, ehrlich zu sein, fühlt sich unwohl, wenn er lügt.
Ein weiteres Beispiel für kognitive Dissonanz ist das Unbehagen von Mitgliedern einer Sekte, wenn sie – nachdem ihre apokalyptische Prophezeiung nicht eingetreten ist – zu erklären versuchen, wie das Ende der Welt verschoben werden konnte. Der Psychologe Leon Festinger prägte diesen Begriff in den 1950er Jahren in seinen Studien über solche Sekten.
Das Gegenteil von kognitiver Dissonanz ist «Doublethink» – Doppeldenke. Der Begriff taucht erstmals in George Orwells «1984» auf. Doppeldenke ist die Fähigkeit, zwei widersprüchliche Überzeugungen gleichzeitig zu akzeptieren, ohne sich des Widerspruchs bewusst zu sein. – In Orwells eigenen Worten:
«Zu wissen und nicht zu wissen, sich des vollständigen Vertrauens seiner Hörer bewusst zu sein, während man sorgfältig konstruierte Lügen erzählte, gleichzeitig zwei einander ausschließende Meinungen aufrechtzuerhalten, zu wissen, dass sie einander widersprachen, und an beide zu glauben; die Logik gegen die Logik ins Feld zu führen; die Moral zu verwerfen, während man sie für sich in Anspruch nahm; zu glauben, Demokratie sei unmöglich, die Partei jedoch die Hüterin der Demokratie; zu vergessen, was zu vergessen von einem gefordert wurde, um es sich dann, wenn man es brauchte, wieder ins Gedächtnis zurückzurufen, und es hierauf erneut prompt wieder zu vergessen; und vor allem, dem Verfahren selbst gegenüber wiederum das gleiche Verfahren anzuwenden. Das war die äusserste Spitzfindigkeit: bewusst die Unbewusstheit vorzuschieben und dann noch einmal sich des eben vollzogenen Hypnoseaktes nicht bewusst zu werden. Allein schon das Verständnis des Wortes Doppeldenke setzte eine doppelbödige Denkweise voraus.»
Heute Morgen sah ich auf Facebook ein hervorragendes Beispiel dafür (übersetzt aus dem Isländischen):
«Bitte lassen Sie sich impfen. Obwohl ich im Februar Covid bekommen habe und dreifach geimpft bin, war ich selten so krank wie jetzt. Es ist klar, dass wir auch in den nächsten Jahren mit diesem aggressiven Virus leben müssen - und eine Impfung verringert die Schwere der Symptome und die Zahl der Todesfälle erheblich. Glauben Sie mir: Machen Sie sich selbst ein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk und lassen Sie sich gegen Covid impfen.»
Tertullian, einer der Kirchenväter, aus dem späten zweiten Jahrhundert, machte die folgende Beobachtung über Geburt, Tod und Auferstehung von Christus:
«Gottes Sohn ist geboren worden: Ich schäme mich dessen nicht, gerade weil es etwas Beschämendes ist. Gottes Sohn ist gestorben: Es ist ganz glaubhaft, weil es ungereimt ist (und sich nicht begreifen lässt). Er ist begraben und wieder auferstanden: Das ist gewiss, weil es unmöglich ist.»
Hier ist der Widerspruch religiös: Nur Gott kann sich selbst widersprechen, das Absurde ist nur Gott erlaubt; wir Normalsterblichen sind an die Regeln der Natur und die Regeln der Logik gebunden. Die einzige Ausnahme ist, dass wir durch tiefe religiöse Erfahrung die Regeln der Logik überschreiten und das Absurde glauben können, daher: «Das ist gewiss, weil es unmöglich ist.»
Hat das Doppeldenken also eine religiöse Dimension? Hat derjenige, der zwei widersprüchliche Aussagen gleichzeitig glaubt, auf irgendeine Weise die Vernunft hinter sich gelassen und ist in eine religiöse Dimension eingetreten? Oder hat er einfach den Verstand verloren?
Hier finden Sie den Artikel auf englisch.
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Thorsteinn Siglaugsson ist ein isländischer Berater, Unternehmer und Autor. Er schreibt regelmässig für The Daily Sceptic sowie für verschiedene isländische Publikationen. Er hat einen BA-Abschluss in Philosophie und einen MBA von INSEAD. Thorsteinn ist zertifizierter Experte für die Theory of Constraints und Autor von «From Symptoms to Causes - Applying the Logical Thinking Process to an Everyday Problem».
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