Josep Borrell sei keineswegs eine Taube, sondern als Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik habe er sich oft als Falke geoutet, schreibt das Portal Popular Resistance. Als Beispiel wird unter anderem seine berüchtigte «Garten-gegen-Dschungel»-Rede angeführt, in der er eine sehr rassistische, herablassende Sicht auf die Mehrheit der Weltbevölkerung im globalen Süden an den Tag gelegt habe.
Auch an der Angstmacherei gegenüber Russland und der Militarisierung Europas ist der Vizepräsident der EU-Kommission nicht unbeteiligt. Russland sei «die größte existenzielle Bedrohung für Europa», sagte Borell vor kurzem. Auch er forderte die westlichen Regierungen auf, noch mehr Waffen in die Ukraine zu schicken: «Wir können es uns nicht leisten, dass Russland diesen Krieg gewinnt».
Trotzdem sei Borell auch dafür bekannt, dass er manchmal «die leisen Töne laut ausspricht», fährt Popular Resistance fort. Das bedeute, dass er Wahrheiten unverblümt ausspreche, die in elitären Kreisen weithin bekannt seien, aber normalerweise nicht erwähnt würden.
So habe er kürzlich eingeräumt, dass der Westen «heuchlerische Doppelstandards» anwende. Der Leiter der EU-Außenpolitik machte diese Bemerkungen bei einem Vortrag an der Universität Oxford. Der diplomatische Dienst der EU hat eine Mitschrift seiner Rede veröffentlicht.
Borrell argumentierte, dass «Diplomatie die Kunst ist, mit zweierlei Maß zu messen». Als Beispiele für die westliche Heuchelei nannte der EU-Spitzendiplomat das Völkerrecht, den Russland-Ukraine-NATO-Krieg, Israels Bombardierung des Gazastreifens, die von den USA angeführte Invasion im Irak und den Klimawandel.
«Wo immer ich hinkomme, werde ich mit dem Vorwurf der Doppelmoral konfrontiert», erinnerte sich Borrell. «Ich habe meinen Botschaftern immer gesagt, dass Diplomatie die Kunst ist, mit zweierlei Maß zu messen. Sicherlich etwas schwierig, aber darum geht es: mit zweierlei Maß zu messen.»
Das Völkerrecht sollte der beste Schutz gegen die Normalisierung der Gewaltanwendung sein, die wir überall auf der Welt beobachten, so Borrell. Er räumte ein, dass Europa in dieser Hinsicht heuchlerisch gewesen sei:
«Ich weiß jedoch, dass wir, um die Welt um diese Prinzipien zu versammeln, zeigen müssen, dass wir Europäer sie immer und überall respektieren. Tun wir das gerade? Nun, nicht in dem Maße, wie wir es sollten. Und das ist für Europa ein Problem.»
Wenn andere Länder auf Europa blickten, so Borrell, werde der Eindruck erweckt, dass das Leben von Zivilisten in der Ukraine einen anderen Stellenwert habe als im Gazastreifen. Und man habe den Eindruck, dass es uns weniger kümmere, wenn Resolutionen des UN-Sicherheitsrates verletzt würden. Das sei bei Israel in Bezug auf die Siedlungen der Fall, im Gegensatz zu der Verletzung durch Russland, fügte Borrell hinzu.
Der EU-Spitzendiplomat, der früher auch schon zugegeben hatte, dass es «auf unserer Seite eine Menge autoritärer Regime gibt», forderte jetzt:
«Wenn wir etwas an einem Ort als ‹Kriegsverbrechen› bezeichnen, müssen wir es auch so nennen, wenn es an einem anderen Ort geschieht. (...) Eine Grausamkeit kann nicht eine andere rechtfertigen.»
Tatsächlich habe sich jedoch Borrells Weltanschauung seit der «Garten-Rede» 2022 nicht geändert, konstatiert Popular Resistance. In seinen Ausführungen in Oxford habe der Politiker erneut eine Art arroganten europäischen Exzeptionalismus demonstriert.
Denn das europäische System bezeichnete Borrell abschließend als «die beste Kombination aus politischer Freiheit, wirtschaftlichem Wohlstand und sozialem Zusammenhalt, die die Menschheit je erfunden hat».