Transition News: Sie beobachten den Prinz-Reuß-Prozess von Anfang an, und wir haben zuletzt Ende März miteinander gesprochen. Beim wievielten Verhandlungstag sind wir inzwischen angelangt?
Prozessbeobachter (Name der Redaktion bekannt): Wir sind annähernd beim 80. Verhandlungstag angelangt.
Wie viele sind noch anberaumt?
Verhandlungstage sind bis Januar 2027 angesetzt, wenn ich das richtig verfolgt habe. Aber inzwischen wissen wir aus gut informierten Kreisen, dass der Wachdienst, der diese mit Zäunen und NATO-Stacheldraht gesicherte Halle in Frankfurt 24 Stunden, sieben Tage die Woche bewacht, bis Ende Dezember 2027 beauftragt worden ist.
Sie meinen die Halle in Frankfurt, die eigens für diesen Prozess errichtet worden ist?
Genau, eine Halle in einem Industriegebiet und mit der optischen Anmutung eines KZ, wie es Konrad Adam neulich bei Kontrafunk so schön ausgedrückt hat.
Die 26 Angeklagten stehen wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens vor Gericht. Warum wird denn an drei verschiedenen Standorten verhandelt?
Das würden wir alle gerne wissen. Der Generalbundesanwalt hat dies mit der Prozessökonomie begründet. Und hat die ursprünglich 27 Angeklagten – einer ist inzwischen gestorben – auf die Gerichtsstandorte München, Stuttgart und Frankfurt verteilt.
Wobei in Frankfurt gegen einen sogenannten «Rat», in Stuttgart gegen den angeblichen «militärischen Arm» und in München gegen den «esoterischen Flügel» – oder wie auch immer man das nennen will – verhandelt wird. Das erscheint allerdings äußerst willkürlich verfügt worden zu sein.
Zum Beispiel sitzt in Frankfurt ein Peter Wörner auf der Anklagebank, der nach meiner Kenntnis nie Teil des Rates war, sondern eigentlich dem militärischen Bereich zugerechnet werden müsste – wenn es denn so etwas überhaupt gegeben hat, es gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung. Wörner hätte man also aufgrund seiner Ausbildung und seiner beruflichen Tätigkeit nach Stuttgart verschicken müssen. Hat man aber nicht. Diese fragwürdigen Kriterien ergeben überhaupt keinen Sinn.
Und die Aufteilung auf mehrere Standorte führt dazu, dass man zum Beispiel in München ein Telefonat zwischen zwei Personen abgespielt hat, die in Frankfurt angeklagt sind, um daraus für den Münchner Prozess Erkenntnisse zu gewinnen. Aber diejenigen, deren Telefonat abgehört wurde, waren gar nicht im Gerichtssaal. Und damit ist natürlich der Interpretation Tür und Tor geöffnet, ohne dass die Beteiligten sagen konnten, was sie sich damals dabei gedacht haben.
Oder jetzt ist in Frankfurt ein Telefonat abgespielt worden zwischen dem Marco von H., der eine sehr fragwürdige Rolle spielt und in Stuttgart angeklagt ist, und einem Mann, der in München vor Gericht steht. Da ging es darum, dass von H., ein mehrfach vorbestrafter Betrüger, versucht hat, einem der anderen Angeklagten 20.000 Euro aus den Rippen zu leiern. Dieses Telefonat zog sich über 65 Minuten hin und wurde nur auf mehrfaches Drängen der Anwälte in voller Länge angehört, wobei sich dann herausstellte, dass die Verschriftlichung, die sich in den Akten befand, nur 43 Minuten umfasste und diese 43 Minuten teilweise falsch wiedergegeben waren.
Die Generalbundesanwaltschaft meinte, die 20.000 Euro wären für Waffen für den geplanten Reichstagssturm gedacht gewesen. Doch davon ist in dem ganzen Gespräch nie die Rede. Laut der Generalbundesanwaltschaft wäre es um nichts anderes als Waffenbeschaffung gegangen. Unter dieser Brille sieht sie wirklich alles.
In der Strafprozessordnung steht, dass die Staatsanwaltschaft Belastendes, aber auch Entlastendes ermitteln muss. Aber als Prozessbeobachter bekommt man den deutlichen Eindruck, dass sämtliche Staatsanwälte der Republik eine andere Fassung der Strafprozessordnung haben, in der das mit dem Entlastenden überhaupt nicht vorkommt.
Können Sie sich erklären, wie der Staatsanwalt aus dem Telefonat schließen konnte, dass es um einen Reichstagssturm gehen könnte?
Wenn man etwas aus einem bestimmten Blickwinkel sehen will, kann man natürlich aus jedem Satz irgendwas basteln. Und genau das zeichnet sich hier ab: Hier wird mit Vorsatz und mit einer perfiden Bösartigkeit wirklich alles, soweit es nur irgendwie machbar ist, unter dem Aspekt einer Vorbereitung zum Reichstagssturm ausgelegt. Und das ist natürlich abartig.
Laut Rechtsanwalt Dirk Sattelmeier, der den Angeklagten Michael Fritsch vertritt, handelt es sich nur allein bei den Audiodateien, die Teil der Ermittlungsakte sind, also nicht die gesamten Audiodateien, um 67.000 Dateien, die man 275 Tage nonstop anhören könnte, also 6600 Stunden.
Das muss man sich mal vorstellen, da sitzen 26 Leute auf der Anklagebank, die mutmaßlich ab Mitte 2021 bis Ende 2022 abgehört worden sind. Da merkt man, mit welcher Intensität diese Leute überwacht worden sind. Und vor allem stelle ich mir bei diesem Volumen an Abhörmaterial die Frage, ob das wirklich nur in diesen ein bis anderthalb Jahren zustande gekommen sein kann?
Die Angeklagten wurden also vor der Verhaftung mindestens eineinhalb Jahre lang abgehört?
Es zeichnet sich ab, dass dieser Staat offensichtlich in massivster Weise die Grundrechte seiner Bürger missachtet und das Post- und Fernmeldegeheimnis völlig ignoriert, zumindest bei jedem, der in irgendeiner Weise politisch auffällig geworden ist. Wir können getrost davon ausgehen, dass jeder, der zum Beispiel für die AfD tätig ist, kritisch berichtet oder einen kritischen Kommentar absetzt, in irgendeiner Weise von diesem Staat beobachtet wird.
Das ist auch eine Nebenerkenntnis, die man aus diesem Prozess gewinnt: Das Abhören in Deutschland hat ein Maß angenommen, das mit den Grundrechten, dem Grundgesetz und einem Rechtsstaat überhaupt nicht mehr vereinbar ist.
Aus den Akten der ehemaligen Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann, die in Frankfurt vor Gericht steht, können wir mit hoher Wahrscheinlichkeit schließen, dass sämtliche AfD-Abgeordnete, Bundestag und Landtag, flächendeckend abgehört werden, und zwar anlasslos.
In 80 Verhandlungstagen ist das Gericht beim Zeugen Nummer 20 angelangt. Wie viele sollen denn noch gehört werden?
Weitere 240 Zeugen. Wenn es in dem Tempo weitergeht, ist der Prozess irgendwann in den 2040er-Jahren abgeschlossen.
Haben sich denn vor Gericht schon irgendwelche konkreten Handlungen herauskristallisiert, die die bisher zwei Jahre und acht Monate Untersuchungshaft rechtfertigen könnten?
Das ist genau der Punkt: Es gibt weder in Frankfurt noch in Stuttgart oder in München irgendetwas, das man als Smoking Gun bezeichnen könnte – die Mainstream-Presse wäre sofort darauf angesprungen. Es gibt nichts. Diese 26 Untersuchungshäftlinge haben nicht mal eine Fensterscheibe eingeworfen.
Sie haben davon geträumt, dass irgendwann eine «Allianz» bestehend aus Xi Jinping, Donald Trump, Wladimir Putin und irgendwelchen Außerirdischen vom Himmel herabsteigt und uns alle erlöst. Das kann man machen, das ist nicht staatsgefährdend.
Auf der anderen Seite hat man den Mitangeklagten Norbert G. im Knast verrecken lassen. Der Mann war schwer an Krebs erkrankt und hat nur noch von Schmerztabletten gelebt. Und im Gefängnis hat man versucht, den Krebs mit Physiotherapie zu bekämpfen. Als erkennbar war, dass er bald sterben würde, hat man ihn entlassen. Sechs Wochen später war er tot. Vermutlich wollte die Staatsanwaltschaft sich die Peinlichkeit ersparen, dass ihnen ein Untersuchungshäftling im Knast verreckt. Und unmittelbar nach einer Hausdurchsuchung bei einem Zeugen soll der Zeuge selbst oder der Ehepartner vor Aufregung gestorben sein. Die Staatsanwaltschaft hat damit schon zwei Tote auf dem Gewissen. Und, wie gesagt, die Angeklagten noch nicht mal eine eingeschlagene Fensterscheibe. Das ist alles dermaßen unverhältnismäßig.
Im Gefängnis in Stuttgart hat man jetzt nach über zweieinhalb Jahren bei Besuchen die Panzerglas-Trennscheibe abgeschafft. Bei Mördern, Vergewaltigern, Schwerstkriminellen gibt es keine Trennscheibe – vom ersten Tag an nicht. Aber diese Leute, die rund um Heinrich XIII. Prinz Reuß verhaftet wurden, werden in einer Art und Weise behandelt, die wirklich abenteuerlich ist.
Die Trennscheiben wurden bei den Gefängnisbesuchen also erst vor Kurzem beseitigt. Hat sich die Behandlung im Knast auch sonst verbessert?
Es dringt wenig nach außen. Von manchen hört man, dass sie korrekt behandelt werden. Bei anderen gibt es anscheinend Probleme.
Nochmal zurück zu diesen drei Standorten. Ist Ihnen konkret aufgefallen, dass dadurch ein faires Verfahren behindert wird?
Theoretisch müssten alle Anwälte und eigentlich auch alle Angeklagten regelmäßig informiert werden, was an den jeweils beiden anderen Standorten passiert. Die Staatsanwaltschaft hat sich auch zu Beginn des Verfahrens verpflichtet, das zu tun. Macht sie aber nicht. Das heißt, die Anwälte – und die Angeklagten sowieso – stochern im Nebel, wenn es darum geht, was an den anderen Verhandlungsorten vonstatten geht.
Andererseits weiß die Staatsanwaltschaft stets, was überall vor sich geht, weil die an allen drei Standorten vertreten ist. Die Staatsanwaltschaft hat einen immensen Informationsvorsprung, den sie anscheinend auch nicht aufgeben möchte. Und das verletzt natürlich die Grundsätze eines fairen Verfahrens.
Und wie fair läuft es denn bei den einzelnen Verhandlungen ab? Bei einem Zeugen soll das Fragerecht für den Generalbundesanwalt anders als für die Anwälte gewesen sein?
Es gab einen Zeugen, einen Polizisten der Bundestagspolizei. Es ging im Wesentlichen um die Besichtigung, die im August 2021 stattgefunden hat. Anhand der Fotos, die bekanntlich bereits gelöscht waren und mit Spezialsoftware wiederhergestellt wurden, wurde dieser Rundgang rekonstruiert.
Und im Rahmen dessen stellte sich zunächst heraus, dass der Rundgang ausschließlich in allgemein zugänglichen Bereichen stattgefunden hat. Und zwar in etwa 40 Prozent der allgemein zugänglichen Bereiche. Und nie irgendein Bereich berührt wurde, der irgendwie sicherheitsrelevant war.
Dieser Zeuge wurde an drei Tagen vernommen. Am ersten Tag hatte er eine ganz normale Aussagegenehmigung, da wurde er vom Gericht und vom Generalbundesanwalt befragt. Dann wurde er für die nächste oder übernächste Woche wiedergeladen. Das Fragerecht war dann bei den Anwälten und den Angeklagten, als der Bundespolizist plötzlich eine sehr weit eingeschränkte Aussagegenehmigung präsentierte und er zu bestimmten Fragen nichts mehr sagen durfte. Dieser Zeuge hat selber gesagt, das wäre ihm in seiner gesamten beruflichen Laufbahn noch nie passiert. Und auch die Anwälte haben dann recherchiert und festgestellt, das so etwas sehr ungewöhnlich ist.
Was hier wirklich auffällig ist: Die Aussagegenehmigung gegenüber dem Gericht und der Generalbundesanwaltschaft war uneingeschränkt, aber eingeschränkt gegenüber den Angeklagten und deren Anwälten. Damit ist natürlich die sogenannte Waffengleichheit verletzt worden. Die Anwälte haben dagegen protestiert, was aber das Gericht in gewohnter Weise abgebügelt hat.
In diesem Prozess finden ständig Dinge statt, die sehr ungewöhnlich sind. Es ist ja auch der erste Hochverratsprozess seit 70 Jahren.
Die Staatsanwaltschaft ist weisungsgebunden und somit Teil der Exekutive. Wir erleben hier zunehmend eine Staatsgewalt, die wirklich freigedreht. Und die Staatsanwaltschaft hat anscheinend jegliche Hemmung verloren. Man hat den Eindruck, dass sie alles unternimmt, um nur irgendwie zu den gewünschten prozessualen Erfolgen zu gelangen.
Sie haben im Vorgespräch erwähnt, dass Sie über einen Staatsanwalt einiges herausgefunden haben?
Über den Chefankläger in Frankfurt, Tobias Engelstätter, habe ich tatsächlich was herausbekommen. Laut meinen Recherchen leitet er den Arbeitskreis Juristen der CDU Schleswig-Holstein, ist Leiter des Landessatzungsausschusses und als solcher Mitglied des erweiterten Landesvorstands der CDU Schleswig-Holstein.
Engelstätter veröffentlicht auch regelmäßig Beiträge in der Zeitschrift für das gesamte Sicherheitsrecht (GSZ). Der Titel einer seiner Artikel lautet: «Delegitimierung des Staates durch Verschwörungsmythen – ein Fall für das Staatsschutzstrafrecht?». Der ist im Juni 2022 erschienen, also ein halbes Jahr bevor das Ganze losgegangen ist.
Man könnte fast sagen, dass er darin das Programm für diesen Prozess teilweise vorweggenommen hat. Er wirft hier schon alles in einen Topf, ich zitiere: «Als eine Art überdimensionale Petrischale für verschwörerische Narrative erwiesen sich die Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung. Das Spektrum der Protestierenden war heterogen und widersprüchlich zugleich. Es reichte von Familien mit Kindern und Selbstständigen, die um ihre Existenz fürchten, hinein bis in links- und auch rechtsextremistische Spektren, sowie von generellen Leugnern des Coronavirus, Esoterikern, Impfgegnern, Vertretern unterschiedlicher Verschwörungstheorien wie QAnon und wiederum „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“.»
Man merkt, er rührt da wirklich alles zusammen. Und genau diese Vorurteile finden wir dann in den Haftverlängerungsbeschlüssen des 3. Strafsenats des BGH wieder.
Und weiter schreibt Engelstätter: «Entsprechend facettenreich waren die im Umfeld der Proteste kursierenden Verschwörungstheorien. Ihre Inhalte reichten von klassisch rechtsextremen Erzählungen wie dem „großen Austausch“ über die „jüdische Weltverschwörung“ bis hin zu Themen wie „Pharma Lobby und Impfkartelle“. Über die eigenen ideologischen Grenzen vereint waren die Protestierenden in einem tiefen Misstrauen sowie einer ablehnenden Haltung der demokratischer [sic!] Institutionen.»
Hier wird alles umgedreht. Wer Kritik an staatlichen Institutionen übt, der übt also Kritik an der Demokratie? Das ist Quatsch. Aber diese Denkweise zieht sich anscheinend auch in der Anklageschrift durch.
Jemand, der so fleißig und politisch so aktiv ist, hat Ambitionen. Aus meiner Sicht ist es relativ offensichtlich, dass Engelstätter mal Justizminister in Schleswig-Holstein werden möchte. Und dieser Prozess soll wohl seiner Karriere dienen.
Der Chefankläger in Frankfurt fällt übrigens im Gerichtssaal dadurch auf, dass er Anträge oder Stellungnahmen der Verteidigung oder Einlassungen der Angeklagten häufig mit einem höhnischen Grinsen oder sogar mit abfälligem Gelächter quittiert.
Welchen Eindruck haben Sie denn von der Richterschaft?
Ich habe ja schon dargestellt, dass das Gericht den Vorstellungen der Staatsanwaltschaft zu 99 Prozent folgt.
Wenn Sie sich den Verhandlungssaal ansehen: Bei kurzen Unterbrechungen verlassen Gericht und Generalbundesanwaltschaft gemeinsam den Saal. Und absolut niemand kann ausschließen, dass das Gericht und der Generalbundesanwalt in den Pausen, vor oder nach den Verhandlungen irgendetwas miteinander besprechen. Das ist eigentlich nicht zulässig. Aber wer glaubt, dass die nicht miteinander reden, der zieht sich die Hose auch mit der Kneifzange an.
Selbst mehrere der Anwälte in Frankfurt haben schon betont, dass es ihnen so vorkomme, als ob die Generalbundesanwaltschaft das Verfahren lenkt.
Und man bekommt den Eindruck, dass das Gericht sich vorher schon darauf einigt, bestimmte Anträge oder Einlassungen der Anwälte gar nicht zur Kenntnis zu nehmen, beziehungsweise abzulehnen. Bei der Tischberatung blickt der Vorsitzende mal kurz nach links und rechts und damit ist das erledigt. Einige Prozessbeobachter meinten schon sarkastisch, dass sich das Gericht dabei offensichtlich telepathisch verständige.
Wir haben letztes Mal über einen Knastspitzel gesprochen. Wie ging es denn mit dem weiter?
Die Anwälte haben natürlich vorgebracht, dass die Aussage von jemandem mit so einem Vorleben und Geschäftsgebaren wertlos sei. Das sieht der Generalbundesanwalt völlig anders. Das Gericht hat dazu bisher gar nichts gesagt.
Ein weiterer Punkt ist natürlich die Frage, ob es sich um einen Knastspitzel handelt oder nicht. Die Darstellung von Generalbundesanwalt und Gericht ist wie folgt: Dieser Mann ist in der Justizvollzugsanstalt und kommt mit einem Mitgefangenen, der rein zufällig einer der Angeklagten ist, ins Gespräch und notiert aus eigenen Stücken, was er so erfährt und teilt das freiwillig, vermittelt durch seinen Anwalt, der Generalbundesanwaltschaft mit. Und die Generalbundesanwaltschaft sagt, wenn er auf uns zukommt, ohne dass wir ihn selber darauf angesetzt haben, dann ist er kein Knastspitzel. Und damit sei die Regel, dass das Aushorchen von Gefangenen nicht stattfinden darf, nicht verletzt worden.
Das ist natürlich Haarspalterei. Die haben ganz genau gewusst, mit welch einem feinen Früchtchen sie es zu tun haben – er ist schon in drei weiteren Verfahren in dieser Art und Weise tätig gewesen. Ich sage es mal so: Die mussten dem gar nicht sagen, was er zu tun hat. Der ist wie ein selbstlenkendes Geschoss, man muss ihn nur in Bewegung setzen und dann macht er schon, was er soll.
Empfinden Sie als Prozessbeobachter auch eine gewisse Ohnmacht?
Manchmal ist es wirklich sterbenslangweilig, wenn man TKÜ-Protokolle anhört und sich irgendwelche Bilder anschaut, bei denen man sich wundert, was damit bewiesen werden soll. Oder ein Polizist erzählt als Zeuge zwei oder drei Tage lang, wie er den Angeklagten sechs Tage lang vernommen hat. Man könnte doch gleich ins Vernehmungsprotokoll reinschauen. Ich weiß nicht, was das soll, aber ich bin ja auch kein Jurist.
Auf der anderen Seite erfährt man als Prozessbeobachter erstaunliche Dinge. Wenn zum Beispiel ein Anwalt einen Polizeibeamten fragt, wie er darauf komme, dass sein Mandant ein Verschwörungstheoretiker wäre? Die Antwort des Polizisten: «Na, der hatte doch Bücher aus dem Kopp-Verlag.» Wenn ich mir meine Bibliothek hier anschaue, dann reicht das wahrscheinlich für lebenslänglich.
Unlängst hat Markus Krall als Zeuge ausgesagt. Was kam dabei heraus?
Dazu möchte ich etwas ausholen: Im Bericht des Verfassungsschutzes, mit dem die angeblich gesicherte rechtsextreme Position der AfD nachgewiesen werden soll, taucht auch die Angeklagte Birgit Malsack-Winkemann auf. Und da findet sich in der Fußnote als Quelle der Antrag auf Ausstellung des Haftbefehls vom 28. November 2022, also neun Tage vor den Verhaftungen.
Der 28. November war ein Montag. Am selben Tag wurde Markus Krall als Geschäftsführer von Degussa Goldhandel entlassen. Fristlos. Und Markus Krall bekam dann am Tag der Razzia, dem 7. Dezember 2022, «Besuch» vom Sondereinsatzkommando, kurz SEK. Er war selber gar nicht vor Ort, nur seine Tochter. Er selbst wurde am 7. Dezember 2022 am Flughafen festgenommen und mehrere Stunden verhört, seine Rechner und seine Handys wurden beschlagnahmt.
Das Auffallende ist, wie gesagt, der 28. November 2022. Der Generalbundesanwalt beantragt Haftbefehl gegen eine lange Liste von Leuten. Die Haftbefehle werden erst am 5. Dezember vom Bundesgerichtshof gegengezeichnet, also genehmigt. Aber bereits am 28. November wird Markus Krall entlassen. Vermutlich gab es einen Anruf beim Inhaber von Degussa: «Pass mal auf, wir gehen gegen deinen Geschäftsführer vor. Trenn dich mal von dem.»
Ich vermute sogar, dass Markus Krall zunächst auf der Liste der zu Verhaftenden stand – weil er geschäftlich Kontakt zu Prinz Reuß hatte –, aber dass man in letzter Sekunde festgestellt hat, dass man so ein Schwergewicht, das international vernetzt ist und über eine große Reichweite verfügt, lieber lässt. Also hat man ihn zum Zeugen runtergestuft.
Kralls Zeugenaussage war wohl, nach allem, was man bisher mitbekommen hat, relativ unergiebig. Er hat ausgesagt, dass er vor zwei Jahren eine Hirnblutung gehabt habe, die sich auf sein Gedächtnis auswirkte. Deswegen könne er sich an manche Details und vor allen an Personen nicht mehr erinnern.
Sie meinten vorhin, der Generalbundesanwalt braucht einen Erfolg für seine Karriere. Aber was für ein Erfolg wäre das denn?
Wir kommen wieder zu dem Punkt, dass es sich hier eben nicht um ein reguläres Verfahren, sondern um einen Schauprozess handelt. Konrad Adam hat neulich bei Tichys Einblick sinngemäß geschrieben: In Wahrheit richtet sich dieser Prozess nicht gegen die Personen, die da auf der Anklagebank sitzen, sondern gemeint sei eigentlich das Publikum, der Zuschauer. Es soll gezeigt werden: Wer sich gegen uns stellt, den machen wir fertig.
Aber gegen wen haben sich diese Menschen, die hier vor Gericht stehen, denn gestellt?
Gegen niemanden, aber sie haben Kritik geübt. Es sind ja Personen dabei, die Kritik an den Corona-Maßnahmen geübt haben. Also Max Eder zum Beispiel, Michael Fritsch, Birgit Malsack-Winkemann, Johanna Findeisen. Sie waren in der Grundrechte- und Demokratie-Bewegung aktiv oder haben politisch etwas bewirkt.
Auf seine Grundrechte zu bestehen, ist also politisch?
Das ist insoweit politisch, weil die Angeklagten nicht das gemacht haben, was man verlangt hat. Es geht darum, Gehorsam zu erzwingen. Und da muss man natürlich auch mal einen Schritt weiterdenken: dieses zunehmende Kriegsgeschrei – wir müssten kriegstüchtig und die größte Landarmee Europas werden.
Man will offensichtlich den Leuten klarmachen: Egal, um was es geht, wer sich gegen uns stellt, den planieren wir, den machen wir fertig.
Dazu noch ein Zitat aus Engelstätters GSZ-Beitrag aus dem Jahr 2022: «Parallel dazu entwickeln sich die verschwörungsideologischen Inhalte gerade auch selbst in eine neue Richtung. Nachdem sich zunächst eine inhaltliche Entwicklung „von der Corona- zur Klima-Diktatur“ abzuzeichnen schien, beobachten Analysten derzeit einen Schwenk zu Erzählungen mit Bezügen zum Ukraine-Krieg. Dabei kommt es neben der zentralen These, dass nicht Russland, sondern die NATO und die USA als Aggressoren zu sehen seien, auch zur Wiederholung bekannter Argumentationsmuster.»
Und insoweit sind die Gesundheit und die Frage der Impfpflicht oder der Grundrechte eben hochpolitische Themen. Das Manifest von Querdenken sagt ja nur: Wir wollen, dass unsere Grundrechte beachtet werden. Das muss man sich mal vorstellen, das wird inzwischen als verfassungswidrig bewertet. Das ist doch kompletter Irrsinn.
Wen würden Sie denn eigentlich gern auf der Anklagebank sehen?
Die Geschichte zeigt, dass die Leute, die da eigentlich hingehören, nie auf der Anklagebank landen.
Und warum die deutsche Justiz so ist, wie sie ist? Als die Alliierten 1945 Deutschland besetzt haben, wollten sie unbelastete Richter und Staatsanwälte. Dann haben sie sehr lange gesucht und zum Beispiel in Bremen gerade mal zwei gefunden. In Bayern waren drei Viertel aller Staatsanwälte und Richter ehemalige Parteigenossen. Sprich: Die Entnazifizierung der deutschen Justiz ist komplett gescheitert. Die politische Richtung mag sich geändert haben, aber der Geist ist tradiert worden.
Und die Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft ist ein Relikt aus dem Kaiserreich. Das hat Otto von Bismarck eingeführt, weil er damit gegen die Sozialdemokraten und im Rahmen des Kulturkampfs gegen die Katholiken vorgehen wollte. Das hat man dann natürlich stehen lassen.
Jetzt kommen wir nochmal zum konkreten Fall. Es wird ja wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens verhandelt. Und dabei ist die Strafbarkeit extrem weit vorverlagert. Theoretisch könnte der Bäcker, bei dem Reuß 30 Brötchen für seine Gäste besorgt hat, wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung belangt werden. Diese extrem weite Vorverlagerung der Strafbarkeit ist 1935 oder 1936 ins Strafgesetzbuch hineingeschrieben worden. Und zwar von einem Staatssekretär im Reichsjustizministerium namens Roland Freisler, dem späteren Chef des Volksgerichtshofs. Im Klartext: Wir verhandeln in Frankfurt, in München und in Stuttgart nach Nazirecht.
Und warum sollte es jeden Bürger interessieren, was da passiert?
Weil es jeden treffen kann. Wie gesagt, für die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens reicht es, wenn drei Leute am Stammtisch zusammensitzen und sagen, ich fahr’ morgen nach Berlin und hau’ auf den Tisch. Und ein Man-müsste-mal reicht bereits für eine terroristische Vereinigung.
Offensichtlich findet eine flächendeckende Überwachung und ein flächendeckendes Abhören und Kontrollieren der Kommunikation statt – ohne richterlichen Beschluss, das ist weder vom Grundgesetz noch von anderen Gesetzen gedeckt. Der Verfassungsschutz macht das offenbar routinemäßig, in gigantischem Umfang. Ob das nun rechtmäßig ist oder nicht, scheint keinen mehr zu interessieren. Die machen das einfach, weil ihnen keiner entgegentritt.
Bekommen Sie mit, wie es den Gefangenen geht?
Unterschiedlich. In München hat der Prozess zwei Monate geruht, weil die Angeklagte Hildegard L. nicht mehr verhandlungsfähig war. Ihr Prozess ist jetzt abgetrennt worden, damit man mit den übrigen sieben Leuten weiter verhandeln kann. Und Melanie R. hatte wohl einen Nervenzusammenbruch und soll in eine psychiatrische Anstalt kommen. Sie scheidet möglicherweise aus dem Prozess aus.
Die Angeklagten sind über 60, teilweise über 70 Jahre alt. Es ist klar, dass ihnen zweieinhalb Jahre Gefängnis unter den schärfsten Haftbedingungen, die das deutsche Gesetz überhaupt hergibt, körperlich und psychisch zusetzen. Und es ist kein Ende ihrer Untersuchungshaft abzusehen.
Sie bleiben auf jeden Fall dran und werden den Prozess weiter beobachten?
Ja, natürlich werde ich das weiter beobachten. Das ist doch Zeitgeschichte. Für mich steht dieses Verfahren in seiner Bedeutung für die Republik in etwa auf derselben Ebene wie der Reichstagsbrandprozess in den 1930er-Jahren.
Denn auch diesmal geht es darum, dass der Staat die Opposition einschüchtern will. Und im Hintergrund schwebt irgendwo noch immer das AfD-Verbotsverfahren. Die herrschenden politischen Kräfte wollen ihre Macht zementieren.
Was kann man Ihrer Meinung nach tun?
Im Grunde genommen sind das zwei, drei Dinge. Früher hätte man gesagt: lesen, kopieren, weitergeben. Was man außerdem machen kann: Tatsächlich zu den Gerichtsstandorten hinfahren. Schauen Sie sich diese absurden Verhandlungen an. Öffentlichkeit ist wichtig, und es wäre wirklich schön, wenn an den Verhandlungstagen nicht nur zwei bis vier Leute im Publikum sitzen, sondern 20 oder 30. Ausreichend Plätze sind vorhanden.
Und wer wirklich was Gutes tun möchte, kann an die Gefangenen schreiben. Man sollte natürlich bedenken, dass die Post über einen Leserichter geht, also mitgelesen wird. Man sollte sich also genau überlegen, was man schreibt.
Ich weiß, dass jeder Brief, der ankommt, für die Leute sehr wichtig ist. So sehen sie, dass man an sie denkt. Das ist psychisch unglaublich wichtig. Das ist glaube ich das, was mit am meisten hilft: Einen Brief, eine Karte schreiben. Ohne etwas beizulegen – Briefmarken für eine Rückantwort oder so. Das wird alles raussortiert.
Sollte man Politiker um Unterstützung bitten?
Ja, das wäre natürlich auch nicht schlecht. Aber wen? Im Grunde genommen will sich keiner mit dieser Geschichte beschäftigen, weil alle Angst haben, sich die Finger zu verbrennen. Was vielleicht helfen könnte, wäre, diese Sache auf internationaler Ebene bekanntzumachen.
Anmerkung der Autorin: Der Haftbefehl gegen den Angeklagten Wolfram S. wurde von den Richtern inzwischen außer Vollzug gesetzt. Er kam am 7. August gegen Kaution aus der Untersuchungshaft in Stuttgart-Stammheim frei. Am selben Tag wurden in Bayern, Sachsen und Thüringen drei Männer verhaftet – sie befinden sich in U-Haft –, denen ebenfalls vorgeworfen wird, die mutmaßlichen Vorgänge rund um Reuß unterstützt zu haben. Das Interview führten wir einige Tage davor – Sophia-Maria Antonulas.