Am BRICS-Gipfel 2023 Ende August in Johannesburg sei Geschichte geschrieben worden, schrieb der brasilianische Investigativ-Journalist und geopolitische Analyst Pepe Escobar in The Cradle. Mit der Erweiterung der Gruppe auf BRICS 11 sei ein grosser Schritt in Richtung Multipolarität getan.
Ab dem 1. Januar 2024 werden sich zu den fünf ursprünglichen BRICS-Mitgliedern Argentinien, Ägypten, Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) gesellen.
Hier finden Sie die Johannesburg-II-Erklärung des 15. BRICS-Gipfels.
BRICS 11 sei erst der Anfang, so Escobar. Die Schlange derer, die sich anschliessen wollen, sei lang. Neben den Dutzenden von Ländern, die nach Angaben der Südafrikaner bereits «ihr Interesse bekundet» hätten, umfasse die offizielle Liste bisher Algerien, Bangladesch, Bahrain, Belarus, Bolivien, Venezuela, Vietnam, Guinea, Griechenland, Honduras, Indonesien, Kuba, Kuwait, Marokko, Mexiko, Nigeria, Tadschikistan, Thailand, Tunesien, die Türkei und Syrien.
Der Journalist ist der Ansicht, dass bis zum nächsten Jahr die meisten der genannten Länder entweder BRICS-11-Partner oder Teil der zweiten und dritten Welle vollwertiger Mitglieder sein werden.
Geopolitik, Wirtschaft und Energie
Escobar erachtet BRICS 11 «als ein Wunderwerk der transkontinentalen Integration». Er bezieht sich darauf, dass Westasien aufgenommen wurde und die arabische Welt wie auch Afrika jeweils drei Vollmitglieder haben. Brasilien habe zudem strategisch darauf hingewirkt, das in Schwierigkeiten geratene Argentinien einzubeziehen.
Der Analyst ging dann auf die wirtschaftliche Situation der BRICS 11-Länder im Gegensatz zu denen der G7-Gruppe ein. Die globale BIP-Kaufkraftparität (KKP) der BRICS 11 beträgt jetzt 36 Prozent der globalen BIP-KKP und ist somit bereits grösser als die der G7, wie aus den folgenden Grafiken ersichtlich ist. BRICS 11 umfasst nun 47 Prozent der Weltbevölkerung.
BIP, BIP (KKP) und Verschuldung der BRICS+-Länder. (Bild: The Cradle)
BIP, BIP (KKP) und Verschuldung der G7-Länder. (Bild: The Cradle)
Die Diagramme zeigen auch, dass die G7-Staaten wesentlich mehr Schulden haben als die BRICS 11-Länder, nämlich 55,5 Billionen Dollar im Gegensatz zu 8,9 Billionen.
Mehr noch als ein geopolitischer und geoökonomischer Durchbruch ist BRICS 11 laut Escobar ein echter Paukenschlag an der Energiefront. Durch den Beitritt von Teheran, Riad und Abu Dhabi werde BRICS 11 zu einem Öl- und Gashaus. In der Tat kontrollieren diese Länder laut InfoTEK 39 Prozent der weltweiten Ölexporte, 45,9 Prozent der nachgewiesenen Reserven und 47,6 Prozent des weltweit produzierten Öls. Eine direkte Symbiose zwischen BRICS 11 und OPEC+ – unter der Führung Russlands und Saudi-Arabiens – sieht Escobar als unvermeidlich, ganz zu schweigen von der OPEC selbst. Er erläuterte:
«Der kollektive Westen könnte bald seine Macht verlieren, die globalen Ölpreise zu kontrollieren, und damit auch die Mittel, seine einseitigen Sanktionen durchzusetzen. Ein Saudi-Arabien, das sich direkt mit Russland, China, Indien und dem Iran verbündet, bietet einen verblüffenden Kontrapunkt zur von den USA herbeigeführten Ölkrise in den frühen 1970er Jahren, als Riad begann, sich in Petrodollars zu suhlen. Dies ist die nächste Stufe der von Russland initiierten und von China vollzogenen Annäherung zwischen Riad und Teheran, die kürzlich in Peking besiegelt wurde.»
Nachgewiesene Ölreserven von BRICS+ und G7. (Bild: The Cradle)
Escobar weist auf die Ankündigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin hin, dass der BRICS-11-Gipfel im nächsten Jahr in Kasan, der Hauptstadt des russischen, autonomen Tatarstan stattfinden werde. Das sei ein weiterer Schlag gegen die «irrationale Isolations- und Sanktionspolitik des Westens». Der Journalist weiter:
«Erwarten Sie im kommenden Januar eine weitere Integration des Globalen Südens/der Globalen Mehrheit/des Globalen Globus, einschliesslich noch radikalerer Entscheidungen, die von der mit Sanktionen belegten russischen Wirtschaft getroffen werden – die übrigens mit einem PPP-Wert von über fünf Billionen Dollar inzwischen die fünftgrösste der Welt ist.»
G7 im Koma
Die G7 liegen Escobar zufolge nun praktisch auf der Intensivstation. Die G20 könnten die nächsten sein. Die BRICS 11 könnten sich hingegen sogar zu BRICS 40 ausweiten. Bis dahin werde auch der Petrodollar auf der Intensivstation am Leben gehalten.
Escobar führt BRICS 11 auf eine «herausragende Leistung» Putins und des chinesischen Präsidenten Xi Jinping zurück. Die strategische Partnerschaft zwischen Russland und China habe in Johannesburg im Vordergrund gestanden und habe die wichtigsten Leitlinien vorgegeben: Mut zur Expansion, eine Reform des derzeitigen institutionellen Rahmens, vom UN-Sicherheitsrat über den IWF bis hin zur Welthandelsorganisation, die Befreiung von jenen Institutionen, die der künstlichen «regelbasierten internationalen Ordnung» unterworfen sind.
Xi bezeichnete den Moment denn auch als «historisch». Putin hat sogar alle BRICS 11 öffentlich aufgefordert, den US-Dollar aufzugeben und die Handelsabrechnungen in nationalen Währungen auszuweiten. Er machte klar, dass die BRICS «Hegemonien jeglicher Art» und «den Ausnahmestatus, den einige Länder anstreben, ablehnen». Er beanstandete auch die «Politik des fortgesetzten Neokolonialismus».
In Anbetracht der Tatsache, dass die chinesische Belt and Road Initiative (BRI) im nächsten Monat ihr zehnjähriges Bestehen feiert, betonte Putin die Notwendigkeit:
«(...) eine ständige BRICS-Verkehrskommission einrichten, die sich nicht nur mit dem Nord-Süd-Projekt [gemeint ist der INTSC-Verkehrskorridor, dessen wichtigste BRICS-Mitglieder Russland, der Iran und Indien sind] befasst, sondern auch in einem breiteren Rahmen mit der Entwicklung von Logistik- und Verkehrskorridoren, sowohl interregional als auch global.»
Russland und China sind gemäss Escobar bei den Verbindungskorridoren auf einer Wellenlänge. Sie würden sich darauf vorbereiten, ihre kontinentalen Verkehrsprojekte weiter zu verknüpfen.
An der Finanzfront seien die Zentralbanken der derzeitigen BRICS-Staaten angewiesen worden, den Handel in Landeswährungen ernsthaft zu prüfen und auszubauen. Putin äusserte sich sehr realistisch zur Entdollarisierung:
«Die Frage der einheitlichen Abrechnungswährung ist ein komplexes Thema, aber wir werden diese Probleme auf die eine oder andere Weise lösen.»
Damit ergänzte er die Ausführungen des brasilianischen Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva, wonach die BRICS eine Arbeitsgruppe eingesetzt haben, um die Durchführbarkeit einer Referenzwährung zu untersuchen.
Escobar stellt zudem fest, dass parallel dazu die Neue Entwicklungsbank (NDB) der BRICS drei neue Mitglieder aufgenommen hat: Bangladesch, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate. Ihr Weg zu einer prominenten Stellung werde von nun an allerdings noch steiler sein, so der Analyst.
NDB-Präsidentin Dilma Rousseff betonte erneut, dass die Bank nur 30 Prozent der gesamten Kredite in Währungen vergeben will, die den US-Dollar umgehen. Das reicht laut Escobar kaum aus. Warum es nur 30 Prozent sind, erklärt Sergey Glazyev, Minister für Makroökonomie der Eurasischen Wirtschaftskommission, die im Rahmen der von Russland geführten Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) arbeitet:
«Es ist notwendig, die Statuten dieser Bank zu ändern. Als sie gegründet wurde, habe ich versucht, unseren Finanzbehörden zu erklären, dass das Kapital der Bank auf die nationalen Währungen der Gründungsländer verteilt werden sollte. Aber die amerikanischen Vertreter glaubten wie verrückt an den US-Dollar. Das Ergebnis ist, dass diese Bank heute Angst vor Sanktionen hat und halb gelähmt ist.»
Keine Berge können einen mächtigen Fluss aufhalten
Trotz der immensen Herausforderungen sei der Wille zum Erfolg ansteckend, urteilt Escobar. Das werde vielleicht am besten durch Xis Rede bei der Abschlusszeremonie des BRICS-Gipfels dargestellt, die vom chinesischen Handelsminister Wang Wentao verlesen wurde. Er zitierte ein chinesisches Sprichwort: «Keine Berge können den Strom eines mächtigen Flusses aufhalten.» Er erinnerte daran, dass der Kampf sowohl edel als auch notwendig sei:
«Ungeachtet aller Widerstände werden die BRICS, eine positive und stabile Kraft für das Gute, weiter wachsen. Wir werden eine stärkere strategische Partnerschaft der BRICS schmieden, das ‹BRICS-Plus›-Modell ausbauen, die Erweiterung der Mitgliedschaft aktiv vorantreiben, die Solidarität und Zusammenarbeit mit anderen EMDCs [Schwellenländern] vertiefen, die globale Multipolarität und mehr Demokratie in den internationalen Beziehungen fördern und dazu beitragen, die internationale Ordnung gerechter und fairer zu gestalten.»
Escobar weist darauf hin, dass Russland vom Globalen Süden als «einer der Unseren» wahrgenommen wird. Dies, obwohl die Kaufkraftparität der russischen Wirtschaft inzwischen höher sei als die «der imperialen europäischen Vasallen, die sie zu vernichten versuchen». Die Ereignisse in Südafrika hätten dies noch deutlicher gemacht und Russlands Aufstieg zur BRICS-Präsidentschaft in vier Monaten werde es noch weiter verdeutlichen. Der Journalist schliesst:
«Es ist kein Wunder, dass der kollektive Westen, benommen und verwirrt, nun zittert, da er spürt, dass sich die Erde – zumindest 85 Prozent davon – unter seinen Füssen bewegt.»
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