Die Autorin Sonja Silberhorn hat vor wenigen Wochen ihren neuen Kriminalroman «Im Schatten des Waldes» vorgelegt. Anders als zuvor war der Weg bis zur Veröffentlichung sehr beschwerlich. Das lag an dem Inhalt: Silberhorn stellt in ihrem Werk zwar wieder genretypisch einen Mordfall in den Mittelpunkt, verarbeitet aber zugleich die gesellschaftlichen Verwerfungen während der Corona-Krise. Den Maßnahmenkritikern wird mehr Sympathie entgegengebracht, als es sich die Meinungswächter an den Schalthebeln sämtlicher Institutionen wünschen.
So kam es, dass Silberhorns Verlag das Manuskript ablehnte. Die Autorin machte diesen Fall daraufhin in einem vielbeachteten Artikel auf den NachDenkSeiten publik. Durch ihn erfuhr die Verlegerin Katarina Graf Mullis von dem Kriminalroman und war von dessen Inhalt so begeistert, dass sie Silberhorn das Angebot unterbreitete, das abgelehnte Manuskript in ihrem Schweizer Verlag KaMeRu zu veröffentlichen. Im Interview spricht die Autorin nun über ihre Erfahrungen. Sie erklärt, warum die Literaturbranche zum Thema Corona schweigt und welche Kraft fiktionalen Texten innewohnt.
Transition News: Frau Silberhorn, vor wenigen Wochen ist Ihr neuer Roman erschienen. Der Weg war ein langer und steiniger. Wie viel bedeutet Ihnen diese Veröffentlichung?
Sonja Silberhorn: Für mich ist sie wahrscheinlich, zusammen mit meiner ersten Veröffentlichung als Wegbereiter, die bedeutsamste von allen bisherigen. Wenn man in einem Roman unter anderem die rapide fortschreitende Verengung des zulässigen Meinungskorridors thematisiert und dieser Roman dann, weil er nicht in diesen verengten Meinungskorridor passt, vom bisherigen Verlag abgelehnt wird, entbehrt das zwar rückblickend nicht einer gewissen Komik, aber damals kam das zunächst einem schriftstellerischen Knockout gleich. Umso beglückender ist es für mich jetzt also, das Buch im Handel zu sehen und festzustellen, dass ich als Autorin mit dem, was ich in meinem Roman erzählt habe, doch nicht k.o., sondern nur angezählt war.
Wie in jedem Kriminalroman geht es um einen Mordfall. Allerdings scheint dieser in Ihrem aktuellen Werk eine Nebenrolle zu spielen und wird vom Subtext überlagert. Wie würden Sie ihn in zwei, drei Sätzen umreißen?
Ich persönlich sehe den Mordfall weniger in einer Nebenrolle, denn als tragischen Höhepunkt dessen, was den Handlungsrahmen der Geschichte bestimmt, nämlich die im Zuge der Corona-Pandemie aufgetretene und von Politik und Leitmedien massiv befeuerte Diskursverengung sowie die daraus entstandenen gesellschaftlichen Verwerfungen, die sich längst auch auf zahlreiche andere Themen ausweiten und zu einer zutiefst polarisierten, aufgehetzten und vergifteten Gesellschaft geführt haben. In meinem Roman zeige ich diese gesellschaftliche Spaltung und ihre Folgen anhand eines kleinen, fiktiven Orts am Rande des Bayerischen Waldes auf.
Sie haben sich eines aktuellen gesellschaftlichen Themas angenommen. Haben Sie das auch in Ihren vorherigen Romanen getan? Um welche Themen ging es da – abseits der Mordaufklärung?
Natürlich wurden gesellschaftliche Themen auch in meinen früheren Romanen angeschnitten oder dienten als Inspirationsquelle, wie zum Beispiel die damalige #MeToo-Bewegung für meinen zweiten Band der aktuellen Krimireihe. So zentral wie in meinem aktuellen Roman aber habe ich zuvor kein anderes gesellschaftliches Thema platziert, ganz einfach, weil für mich bis 2020 kein anderes Thema eine solch fatale gesamtgesellschaftliche Wirkung und Brisanz mit sich brachte. Die seitherige Entwicklung, die ich persönlich als gefährlichen Irrweg betrachte, der in rasantem Tempo immer weiter beschritten wird oder zumindest beschritten werden soll, hat einfach weitaus mehr Raum benötigt.
In gewisser Hinsicht haben Sie eine Corona-Aufarbeitung in fiktionaler Form geleistet. Welche Vorzüge hat die Literatur bei einem solchen Vorhaben – zum Beispiel im Gegensatz zu aktivistischen, journalistischen oder wissenschaftlichen Beiträgen?
In Sachtexten verbergen sich menschliche Schicksale naturgemäß hinter Zahlen und Fakten oder bekommen nicht den Raum, den sie bräuchten, um wirklich verstanden und verinnerlicht zu werden. Die fiktionale Form hingegen ermöglicht den detaillierten Blick auf Charaktere, wenn auch frei erfundene, mit all ihren Emotionen und Beweggründen. Natürlich berührt das dann im besten Fall den dafür aufgeschlossenen Leser auch auf der Gefühlsebene und sorgt für Nachvollziehbarkeit, eventuell sogar für Empathie oder Identifikation. Was übrigens auch, trotz oder gerade wegen des Genres Kriminalroman, mein persönlicher Antrieb ist: Größtmögliche Blutrünstigkeit fand ich immer langweilig, menschliche Beweggründe und der Blick hinter die Fassade haben es mir angetan. Zudem bietet die Fiktion natürlich die Möglichkeit, im Laufe der Geschichte verschiedene Blickwinkel zu beleuchten.
Lassen Sie uns doch hier ein wenig konkreter werden. Welche Blickwinkel auf die Maßnahmen-Politik haben Sie ausgemacht und schließlich verarbeitet?
Ganz klar liegt mein Schwerpunkt hier auf dem Blickwinkel derjenigen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen eine kritische oder ablehnende Haltung gegenüber der Pandemiepolitik oder einzelnen Maßnahmen hatten. Denn das sind diejenigen, die während der Pandemie durch das Narrativ der «Alternativlosigkeit» nicht nur bestenfalls als «unsolidarische Wissenschaftsfeinde» öffentlich vorgeführt oder aber schlichtweg im Diskurs außen vor gelassen wurden. Schlimmer noch: Es war plötzlich nicht nur legitim, sondern sogar moralisch geboten, Kritiker der Regierungslinie aktiv auszugrenzen.
Sie wurden verurteilt, beschimpft und entmenschlicht, und keiner der Betroffenen wusste, wie weit die aufgehetzte Masse in ihrer vermeintlichen moralischen Überlegenheit noch gehen würde. Heute ist jedem, der die Augen nicht vehement davor verschließt, klar: Dies geschah zu Unrecht. Genau dieses erlittene Unrecht bekommt in meinem Roman viel Raum.
Der zweite Blickwinkel ist der derjenigen, die von der Maßnahmenpolitik nicht oder kaum berührt waren, deren Leben ohne große Veränderung weiterging, vielleicht, weil sie keine leidenden Kinder oder Jugendlichen, keine isolierte, verzweifelte Mutter im Heim, keinen trotz, wie ja heute klar ist, berechtigter Vorbehalte aus beruflichen oder sozialen Gründen zur Impfung genötigten Menschen in ihrem Leben hatten, die sich aber auch nicht überlegt haben, wie es stärker Betroffenen wohl ergehen mag; Menschen also, die gar nicht erst auf die Idee gekommen sind, die vorgegebene Regierungslinie zu hinterfragen, ob nun aus einem Mangel an eigener Betroffenheit und Empathie oder vielleicht auch aufgrund blinden Vertrauens in die politischen Entscheidungsträger.
Der dritte Blickwinkel, grob zusammengefasst, ist der der Befürworter der Maßnahmenpolitik, die durch die politisch und medial verbreitete Angst und Hetze die politischen Maßnahmen tatsächlich für alternativlos und die Ausgrenzung Andersdenkender für geboten hielten. Ich habe also versucht, ein breites Spektrum an Perspektiven abzubilden. Meine persönliche Gewichtung innerhalb der Geschichte darf aber gerne als deutliche Kritik an der Pandemiepolitik verstanden werden.
Die Corona-Krise ist nun seit mehr als einem Jahr vorbei. Wie sehen sie die Aufklärungsbemühungen in Deutschland?
Wie vermutlich jeder, der der Pandemiepolitik insgesamt oder in einigen Aspekten kritisch gegenüberstand, sehe ich Aufklärungsbemühungen nach wie vor nur innerhalb ebendieser Gruppe kritischer Stimmen. Vom Mainstream werden neue Erkenntnisse und Enthüllungen wie zum Beispiel die RKI-Files nur dann überhaupt erwähnt, wenn sie sich partout nicht mehr totschweigen lassen, aber selbstverständlich dann auch nicht in dem Umfang und mit der Bewertung, die derartigen Skandalen zustünde. Allerdings überrascht mich das Ausbleiben von Aufklärung und Aufarbeitung keineswegs. Solange diejenigen, die für die deutsche Pandemiepolitik verantwortlich zeichnen, in Amt und Würden sind, gibt es schlichtweg niemanden, der sowohl über genug Macht als auch Interesse daran verfügt, eine ehrliche Aufarbeitung voranzutreiben.
Wie müsste die Aufarbeitung Ihrer Meinung nach aussehen? Einige sprechen sich für Bürgerräte aus, andere für einen Untersuchungsausschuss. Welchen Weg würden Sie vorschlagen?
Vermutlich wenig überraschend: Ich halte die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses für geboten, denn es braucht aus meiner Sicht eine schonungslose Aufarbeitung mit größtmöglicher Signalwirkung. Dabei geht es nicht nur um die klare Benennung der Verantwortlichen, die unter anderem Einfluss auf wissenschaftliche Institutionen genommen, in exorbitantem Ausmaß Steuergelder verschwendet und uns in eine desolate gesellschaftliche Situation geführt haben, in der im Übrigen immer noch die öffentlichen Unterstützer des Regierungskurses mit Orden behängt werden, während zeitgleich in Bayern ein Soldat wegen Verweigerung der Covid-Impfung im Gefängnis darbt.
Für mindestens ebenso wichtig halte ich, dass im Zuge der Aufarbeitung auch weniger an den damaligen Vorgängen interessierte Bürger endlich nicht mehr die Augen vor alledem verschließen können. Letztlich ist das aus meiner Sicht die einzige Chance, eine Wiederholung in ähnlicher Form in der vermutlich nicht allzu fernen Zukunft zu vermeiden.
Der Literaturbetrieb ist im Hinblick auf die Corona-Politik besonders still. Außer Ihnen gibt es kaum jemanden, der dieses Thema verarbeitet hat – zumindest nicht im sogenannten Mainstream. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Das hat aus meiner Sicht mehrere Gründe, persönliche wie gesellschaftliche. Einerseits hat die Spaltung in Befürworter und Kritiker der Corona-Politik natürlich auch vor den Menschen im Literaturbetrieb nicht Halt gemacht, sodass diejenigen, die sich zu den Befürwortern zählen, wohl wenig bis kein Interesse daran haben dürften, diese Zeit literarisch zu bearbeiten.
Wie immer in oder nach Krisenzeiten steigt zudem das Bedürfnis der Menschen, sich in eine heile Scheinwelt zu flüchten und unangenehme Themen auszusparen – für Autoren selbst und natürlich auch im Hinblick auf eine potenzielle zukünftige Leserschaft. Hinzu kommt, dass vielleicht sogar die kritischen Stimmen – zumindest ging und geht es mir so – die Misere der vergangenen Jahre und ihre unschönen Folgen, die uns jetzt beschäftigen, gelegentlich dann doch ausblenden müssen, um nicht daran zu verzweifeln. Es erfordert also auch für Kritiker eine gewisse Leidensbereitschaft, sich tagtäglich über einen langen Zeitraum hinweg – das Schreiben eines Romans dauert ja bekanntermaßen länger als das Lesen – mit dem Thema Corona-Politik zu befassen. Dazu muss man vermutlich etwas unbequem veranlagt und der Drang nach Aufarbeitung zu groß sein, um ihn ignorieren zu können.
In einem größeren Kontext spielt dann natürlich auch die Situation eine Rolle, in der sich viele öffentliche Kritiker befinden. Die Aussicht darauf, für eine kritische oder zumindest abwägende Auseinandersetzung mit der Corona-Zeit vielleicht gar nicht erst veröffentlicht oder aber diffamiert oder gecancelt zu werden, bietet natürlich wenig Motivation, sich mit dem Thema literarisch zu befassen.
Sie haben gerade die Cancel Culture erwähnt. Welche Gefahren birgt sie Ihrer Meinung nach für die Kulturbranche im Allgemeinen und für die Literatur im Besonderen?
Kulturschaffende im Allgemeinen legen den Finger in gesellschaftliche Wunden – oder sollten dies zumindest in freien Gesellschaften jederzeit tun können. Das betrifft auch und gerade die Literatur, die diesbezüglich so umfangreich und explizit agieren kann wie kaum eine andere Kunstform. Zugleich produziert aber natürlich langfristig niemand in der Branche mit uneingeschränkter Leidenschaft, zeitlichem Aufwand und beträchtlicher Energie weiter, wenn die eigenen Werke aufgrund eifrigen Cancelns ohnehin nicht den Weg zum Publikum finden. Wenn kritische Stimmen und kontroverse Themen außen vor bleiben, stellt sich für die breite Öffentlichkeit der gesamte kulturelle Bereich nur noch in gleichförmiger Belanglosigkeit dar.
Kritischen Kulturschaffenden bleibt also letztlich nur der komplette Rückzug oder die Flucht in Nischen, wie wir das ja auch heute schon erleben – und natürlich die Hoffnung darauf, dass sich der Wind in Bezug auf gelebte Meinungsvielfalt wieder dreht und wir zu einer Kultur der konstruktiven Auseinandersetzung zurückfinden.
Sie haben anfangs in der Metaphorik des Boxens gesagt, dass Sie durch die Manuskriptablehnung angezählt seien. In welcher Verfassung befinden Sie sich jetzt als Autorin? Werden weitere Romane folgen? Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
Ich war angezählt, jetzt aber stehe ich wieder ziemlich aufrecht im Ring. Ein neuer Roman ist bereits in Planung.
Das Gespräch führte Eugen Zentner.
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