Ein Propagandasystem wird Menschen, die von feindlichen Staaten missbraucht werden, stets als würdige Opfer darstellen, während diejenigen, die von der eigenen Regierung oder ihren Kunden mit gleicher oder grösserer Härte behandelt werden, als unwürdig gelten.
Edward S. Herman und Noam Chomsky
Liebe Leserinnen und Leser
Am 7. Oktober verliess die 18-Jährige Shorouq Dwayyat ihr Haus im Ostjerusalemer Stadtteil Tsur Baher angeblich mit einem Küchenmesser. Ihrer Mutter soll sie laut der Times of Israel gesagt haben, sie wolle in der al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg beten, bevor sie zu ihren Vorlesungen an der Universität Bethlehem gehe. Zuvor habe sie jedoch auf Facebook auch ihren Wunsch geäussert, als Märtyrerin für die palästinensische Sache zu sterben, und ihre Mutter aufgefordert, nicht um sie zu trauern.
Der israelischen Zeitung zufolge stach Shorouq vor dem Eingang zur Altstadt einem jüdischen Mann – Daniel Rosenfeld – in die Schulter und den Kopf. Beim Versuch, auf einen zweiten Mann einzustechen, sei sie von Rosenfeld angeschossen und in kritischem Zustand ins Krankenhaus gebracht worden. Rosenfeld sei bei dem Angriff «mässig verwundet» worden.
Shorouqs Familie bestreitet diese Anschuldigungen. Seine Tochter sei zart und könne keinem Tier etwas antun, sagte ihr Vater damals gegenüber Al Jazeera. Gemäss der Zeitung berichteten palästinensische Zeugen, ein israelischer Siedler habe versucht, ihr den Hijab abzunehmen, um sie zu provozieren. Shorouq habe sich gewehrt, woraufhin die israelischen Streitkräfte sie mit vier Kugeln getroffen hätten. Sie sei dann eine halbe Stunde lang blutend am Boden liegengelassen worden, bevor sie festgenommen worden sei.
Wir schreiben jedenfalls nicht das Jahr 2023, sondern 2015. Seitdem sitzt Shorouq im Damon-Gefängnis in Haifa eine insgesamt 16-jährige Haftstrafe ab – laut Al Jazeera die derzeit längste Strafe unter palästinensischen weiblichen Gefangenen in israelischen Gefängnissen. Am Sonntag wurde sie nun im Rahmen des Austauschs von inhaftierten Palästinensern gegen israelische Geiseln freigelassen.
Shorouq ist eine von 33 Frauen, die auf der Liste der 300 zu entlassenden Palästinenser stehen. Die meisten der Übrigen sind männliche Gefangene im Alter von 16 bis 18 Jahren, doch auch 14-Jährige sind darunter. Unter den Straftaten ist auch die «illegale Einreise nach Israel ohne Genehmigung». Laut der Kinderrechtsorganisation Save the Children sei das Hauptverbrechen das Werfen von Steinen, was für palästinensische Kinder zu 20 Jahren Gefängnis führen könne.
Ich erwähne Shorouqs Geschichte, um den in Israel eingesperrten Palästinensern ein Gesicht zu geben. Denn dieses verschleiert der Mainstream der westlichen Medien gerne. In zahlreichen Berichten über den Austausch wurden die israelischen Geiseln erwähnt, Bilder von ihnen und vom «Platz der Geiseln» vor dem Tel Aviv Museum of Art gezeigt sowie Interviews mit den Angehörigen geführt. Zu Recht. Nur blieben die Palästinenser hingegen oft unerwähnt oder waren lediglich eine abstrakte Zahl.
Dies zeigt die tendenziöse Berichterstattung dieser Medien: Palästinenser sind darin Menschen zweiter Klasse, deren Leiden und Sorgen weniger relevant sind als die der Israelis. Und es führt uns zur Frage, die ich Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, in meinem letzten Newsletter stellvertretend für die Redaktion gestellt hatte: Sind Sie der Ansicht, dass Transition News «antisemitisch», antizionistisch oder tendenziös berichtet?
Das Verdikt unserer Leser ist klar: Nein, nichts davon könne man uns vorwerfen, findet die überwiegende Mehrheit. Lediglich einzelne Leser sehen das anders. Eine Leserin legte uns nahe, uns die Reaktion von Politikern und Mainstream-Journalisten vorzustellen, hätte Israel nur ein Zehntel der «fürchterlichen Taten» der Hamas durchgeführt.
Hier offenbart sich meines Erachtens eine verzerrte Wahrnehmung, die sicherlich auch durch ebendiese Medien verschuldet ist. Zum einen wissen wir heute, dass fast die Hälfte der offiziell rund 1200 am 7. Oktober auf israelischer Seite Umgekommenen Sicherheitskräfte waren. Und ein Teil der verstorbenen Zivilsten geht auf das Konto der israelischen Armee (wir berichteten hier und hier).
Selbstverständlich ist jedes Todesopfer eines zu viel, doch es entsteht somit ein etwas anderes Bild als das anfänglich behauptete «Massaker an 1400 Zivilisten», zumal sich die Behauptung, die Hamas hätte Babys enthauptet, als Propaganda erwiesen hat.
Laut dem Gesundheitsministerium in Gaza hat Israel seit dem 7. Oktober in der Enklave hingegen fast 15’000 Menschen umgebracht, davon etwa 10’000 Frauen und Kinder. Und auch vorher war das Verhältnis ähnlich. So wurden beispielsweise nach Angaben der UN seit 2008 6621 Palästinenser und 311 Israelis im Zusammenhang mit dem Konflikt getötet, sowohl Zivilisten als auch Mitglieder der Sicherheitskräfte.
Wir stellen also fest: Israel hat weit mehr als das Zehnfache an palästinensischen Todesopfern zu verschulden als umgekehrt. Von nicht einmal einem Zehntel kann keine Rede sein. Ein Teil der verzerrten Wahrnehmung ergibt sich daraus, dass ein Mord eines Einzelnen mit einer Schuss- oder Stichwaffe oft als schlimmer dargestellt wird als ein Massenmord mit einer Bombe durch einen Staat. Als ob die Tatsache, dass der Täter die Opfer nicht sieht, die grausame Tat und die Schuld abmildern würde. In Wirklichkeit ist diese sogar wesentlich feiger.
Ein Leser argumentierte in dieselbe Richtung: Er schrieb unter anderem, ich dürfe den israelischen Staat nicht auf eine Stufe mit einer «Terrororganisation» stellen, «die Hilfsgelder für Waffenkauf missbraucht und die Bevölkerung hungern lässt oder in den Tod schickt».
Es war sicherlich falsch von mir, den gesamten israelischen Staat als terroristisch zu bezeichnen. Das war auch nicht meine Absicht. Was ich meinte, ist die Regierung. Doch was den Begriff «Terrorismus» betrifft, so ist dieser nicht einheitlich definiert und wird oft von Krieg unterschieden. Wenn man ihn jedoch auf das Ausüben und Verbreiten von Terror reduziert, dann muss die israelische Regierung als terroristisch bezeichnet werden.
Ausserdem muss festgestellt werden, dass den Palästinensern laut dem Oslo-II-Abkommen keine Armee erlaubt wird. Und was die Hilfsgelder anbelangt, ist der Unterschied: Israel erhält mehr davon und hat es zudem nicht nötig, sie für Waffenkäufe zu «missbrauchen», denn genau dafür ist der grösste Teil davon sowieso bestimmt. Oder sie erhalten die Waffen direkt, die meisten davon aus den USA.
Wichtig bleibt bei alledem: Auf beiden Seiten gibt es blutrünstige Extremisten, die mit Hilfe mächtiger Kräfte im Hintergrund die Spaltung in der Gesellschaft vorantreiben. Doch es gibt beidseitig auch friedliebende Menschen, die für Versöhnung und Frieden plädieren. Hinter diesen steht Transition News.
Herzlich
Konstantin Demeter
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