In einem Gastbeitrag für die New York Times, den Infosperber in einer leicht gekürzten und übersetzten Version publizierte, argumentiert Stephen Wertheim, Senior Fellow im American Statecraft Program des Think Tanks Carnegie Endowment for International Peace und Gastdozent an der Yale Law School, dass eine bewaffnete Ukraine ohne NATO-Mitgliedschaft sicherer wäre. Er betont auch die Notwendigkeit einer Vision für eine demokratische und sichere Zukunft des Landes, statt der heutigen vagen Hoffnung auf einen Pyrrhussieg.
Wertheim kritisiert die einfache Sichtweise einiger US-Regierungsvertreter, die behaupten, der Krieg zwischen Russland und der Ukraine habe nichts mit der NATO-Osterweiterung zu tun. Er weist darauf hin, dass selbst Tyrannen nicht in einem Vakuum handeln würden, und präsentiert zahlreiche Belege dafür, dass die NATO-Osterweiterung den Unmut Russlands gesteigert und die Ukraine unsicherer gemacht habe.
Weiter erklärt er, dass Moskau nach dem Ende des Kalten Krieges erwartet habe, dass die NATO auf ihrem Territorium verharren und an Bedeutung verlieren würde. Stattdessen hätten westliche Staaten die NATO zum Mittelpunkt der europäischen Sicherheitspolitik gemacht und eine unbegrenzte Expansion Richtung Osten begonnen. Die NATO begrüsste neue Mitglieder, die Schutz vor Russland suchten, was zu Spannungen geführt habe.
Wertheim erinnert auch daran, dass die Ukraine nach ihrer Unabhängigkeit 1991 nicht sofort der NATO beitreten wollte. Doch in den frühen 2000er-Jahren änderte sich dies, insbesondere nach der russischen Einmischung in die ukrainischen Präsidentschaftswahlen 2004. Die NATO nahm sieben neue Mitglieder auf, darunter die baltischen Staaten. Die Ukraine blieb zwischen der westlichen Allianz und Russland eingeklemmt.
Danach beschreibt Wertheim den Versuch der Ukraine, 2008 einen NATO-Beitritt zu erreichen, und die Warnungen vor schwerwiegenden Konsequenzen seitens einiger US-Regierungsvertreter. William Burns, derzeitiger CIA-Direktor und damals US-Botschafter in Russland schrieb aus Moskau:
«Ein NATO-Beitritt der Ukraine ist die deutlichste von allen roten Linien für die russische Elite, nicht nur für Putin.»
Die NATO stellte Georgien und der Ukraine vage einen Beitritt in Aussicht. Das gab der Ukraine keine Sicherheit und provozierte Moskau. Führende Vertreter der NATO sprachen sich jedoch bis unmittelbar vor Kriegsbeginn im Februar 2022 für einen Beitritt der Ukraine aus.
Wertheim betont das hohe Risiko eines erneuten Konflikts, sollte die Ukraine NATO-Mitglied werden und Russland darauf mit einer neuen Invasion reagieren. Er schlägt vor, dass die Ukraine stattdessen eine starke Westanbindung ohne NATO-Mitgliedschaft anstreben sollte, ähnlich dem «israelischen Modell», mit einer grossen, modernen Armee und dem Aufbau einer exzellenten Verteidigungsindustrie.
Der Autor schlägt vor, dass die EU der Ukraine einen schnellen Beitritt ermöglichen sollte, verbunden mit Sicherheitsgarantien, und dass die USA sowie andere Nicht-EU-Staaten im Falle einer weiteren Aggression materielle Unterstützung versprechen könnten. Auch betont er die Notwendigkeit, dass europäische Staaten nach dem Ende des Konflikts die Führung übernehmen müssten, um den Eindruck einer Einkreisung Russlands durch die USA zu vermeiden.
Schliesslich fordert Wertheim auch weniger Propaganda in der öffentlichen Debatte, damit man von der Vergangenheit lerne, um die Zukunft zu gestalten.
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