Man konnte es praktisch nur in Pressemitteilungen und auf speziellen Websites lesen. Die Presse blieb stumm. Trotz ihrer Gefährlichkeit für Insekten, Menschen und Umwelt hatte das deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) im März 2025 insgesamt 16 sogenannte Notfallzulassungen für Pflanzenschutzmittel erteilt – darunter mehrere mit dem Wirkstoff Acetamiprid.
Dieses Insektizid gehört zur Gruppe der Neonicotinoide, die als besonders gefährlich für Insekten, Wasserorganismen und das Nervensystem gelten. Nun gibt es Kritik. Und zwar von mehreren Umweltverbänden, darunter dem Bund Naturschutz Bayern (BN), dem Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbund (DBIB) und dem Bündnis für Neonicotinoidfreie Landwirtschaft (BNL), wie das Presseportal des Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbundes e.V. meldete (oder auch hier).
Wie Rita Rott, Agrarexpertin beim BN, erklärt, genügen bereits kleinste Mengen dieser systemisch wirkenden Mittel, um Insekten massiv zu schädigen. Eine aktuelle Studie der Universität Hohenheim zeigt, dass Acetamiprid für bestimmte Arten über 11.000-mal giftiger ist als frühere Tests vermuten ließen. Besonders brisant: Die giftige Wirkung beschränkt sich nicht nur auf die Zielfläche – durch Abdrift und Auswaschung gelangen Rückstände weit in die Umwelt. Zudem verbleiben sie dort lange: Die Halbwertszeit von Acetamiprid beträgt bis zu 450 Tage.
Die Zulassungen betreffen vorerst die Bekämpfung der Schilfglasflügelzikade in Zuckerrüben und seit Ende April auch in Kartoffeln. Weitere Anwendungen in anderen Gemüsekulturen sind in Planung. Kritiker warnen vor einer zunehmenden Belastung von Lebensmitteln mit Rückständen – nicht nur des Wirkstoffs selbst, sondern auch seiner giftigen Abbauprodukte.
Imker zeigen sich besonders besorgt. Anders als in früheren Jahren werden die genauen Flächen, auf denen die Spritzmittel ausgebracht werden, nicht mehr veröffentlicht. «Früher konnten wir unsere Bienenvölker rechtzeitig umstellen – heute tappen wir im Dunkeln», sagt Imker Matthias Rühl aus Sugenheim. Hinzu kommt, dass Auflagen offenbar kaum kontrolliert und nur unzureichend eingehalten werden, wie das BNL nach Recherchen in Bayern festgestellt hat.
Nach Angaben der Umweltverbände wird mit den 2025 genehmigten Maßnahmen auf über 125.000 Hektar gespritzt – durch Abdrift könnten jedoch mehr als 500.000 Hektar betroffen sein. Auch mehrfache Anwendungen pro Jahr sind vorgesehen. Die Verbände sprechen von einem «ökologischen Kahlschlag» und sehen in den sich wiederholenden Notfallregelungen de facto eine schleichende Wiederzulassung hochgefährlicher Stoffe.
Doch Alternativen wären vorhanden: «Durch kluge Fruchtfolgen ließe sich der Befall mit Zikaden deutlich verringern», betont Claudia Lehner-Sepp vom BNL. Studien wie die der Berner Fachhochschule zeigen, dass der Verzicht auf Wintergetreide nach Zuckerrüben oder Kartoffeln den Schädlingsdruck spürbar reduziert – ganz ohne chemischen Pflanzenschutz.
Der Widerstand gegen die aktuelle Praxis wächst – nicht nur aus Sorge um Bienen und Biodiversität, sondern auch wegen möglicher Gesundheitsrisiken für die Bevölkerung. Spaziergänger, spielende Kinder oder Haustiere können direkt mit gespritzten Pflanzen in Kontakt kommen. Kritiker fordern daher ein sofortiges Umdenken in der Agrarpolitik – hin zu transparenter Information, strengeren Kontrollen und vor allem: nachhaltigen Alternativen.
Die Medien blieben weitgehend stumm. Sie kümmern sich um den Klimawandel und die Sommerhitze.
In der Schweiz sind Neonicotinoide nicht vollständig verboten, aber streng reguliert. Im Freiland ist nur noch Acetamiprid (und keine anderen) erlaubt. Andere Stoffe wie Imidacloprid, Thiamethoxam und Thiacloprid dürfen nicht mehr verwendet werden oder nur in Gewächshaus-Kulturen (bzw. inzwischen gar nicht mehr).