Der US-amerikanischer Politikwissenschaftler John Mearsheimer, Professor an der University of Chicago, ist bekannt für seine scharfsinnigen geopolitischen Analysen. So warnte er vorausschauend 2015 vor den Gefahren, die das internationale Politgebaren für die Ukraine birgt.
In einem Interview mit dem US-amerikanischen Juristen Andrew Napolitano gab Mearsheimer nun eine Einschätzung zum aktuellen Nahost-Krieg ab sowie ein Update zum Ukraine-Krieg. ZeroHedge hat seine wichtigsten Aussagen zusammengefasst:
Versagen des israelischen Geheimdienstes
Das unerwartete Ausmass und die Art des jüngsten Hamas-Angriffs auf Israel haben den israelischen Geheimdienst laut Mearsheimer überrascht. Er glaubt nicht, dass Israel oder Ägypten wirklich wussten, was geschehen würde.
Mearsheimer vergleicht dieses Versäumnis mit dem Krieg von 1973, bei dem Israel in ähnlicher Weise überrascht wurde.
Das Versagen schreibt er einer Mischung aus möglicher Arroganz, dem Vertrauen auf KI anstelle menschlicher Intelligenz und einer Fehleinschätzung der von der Hamas ausgehenden Bedrohung zu.
Hamas und israelische Politik
Mearsheimer gibt einen kurzen Überblick über die Geschichte der Hamas und darüber, wie sie sich aus der islamischen Bruderschaft heraus entwickelt hat. Er erklärt auch, wie einige israelische Fraktionen die Hamas als nützliche Einheit betrachteten, um den von der Palästinensischen Autonomiebehörde favorisierten Ansatz der Zweistaatenlösung zu untergraben.
Mearsheimer meint auch, dass Netanjahus politische Karriere, wie die von Golda Meir nach dem Versagen des Geheimdienstes 1973, wahrscheinlich dem Untergang geweiht ist.
Die US-Politik und die russische Sichtweise
In seinem Interview mit Mearsheimer spielt der Richter Napolitano auch einen Clip ab, in dem der russische Präsident Wladimir Putin die US-Politik im Nahen Osten kritisiert und meint, die USA hätten es versäumt, eine tragfähige Zweistaatenlösung zu ermöglichen. Mearsheimer stimmt dem zu, aber angesichts der Tatsache, dass eine Zweistaatenlösung nicht das Ziel der Hamas sei, und die Hamas den Gazastreifen kontrolliere, sei es schwer zu erkennen, wie eine solche Zweitstaatenlösung den Konflikt zwischen Israel und Gaza lösen würde.
Die Lage in der Ukraine
Die Gesprächspartner deuten an, dass die Unterstützung der USA trotz früherer Zusicherungen zu schwinden scheint.
Sie sind der Ansicht, dass die Vereinigten Staaten die Ukraine in eine prekäre Situation geführt haben, da die USA nun scheinbar «am Ende der Fahnenstange» seien, was die Hilfe für die Ukraine angeht. Das könne zu einer katastrophalen Situation für die Ukraine führen.
Mearsheimer meint, die Ukraine sollte beginnen, mit Russland zu verhandeln, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt kein gutes Ergebnis erwarten könne.
Schwieriger Blick in die Zukunft
In der Diskussion wird auch zum Thema gemacht, wie schwierig es sei, Ergebnisse sowohl im Nahen Osten als auch in der Ukraine vorherzusagen, und dass geopolitische Ereignisse und Entscheidungen von komplexer und verflochtener Natur seien.
Nach Ansicht Mearsheimers befindet sich Israel in Bezug auf den Gazastreifen in einer Zwickmühle. Er schlägt vor, Israel solle nicht in den Gazastreifen einmarschieren, und bekräftigt seine Forderung nach einer Zwei-Staaten-Lösung, räumt allerdings auch ein, dass dies für Israel derzeit politisch unmöglich umzusetzen sei.
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